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02.03.18 / Ist das Kunst oder kann das weg? / Münchens Sicherheitskonferenz hat sich überlebt – Hörenswertes lässt sich trotzdem jede Menge aufschnappen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-18 vom 02. März 2018

Ist das Kunst oder kann das weg?
Münchens Sicherheitskonferenz hat sich überlebt – Hörenswertes lässt sich trotzdem jede Menge aufschnappen
Ulrike Dobberthien

Es gibt eine geflügelte Frage: „Ist das Kunst oder kann das weg?“ Genau das kann man auch zur Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) sagen. Jedes Jahr im Februar, jedes Jahr drei Tage, jedes Jahr im Hotel Bayerischer Hof, findet dieses Elefantentreffen von internationalen Militärs, Politikern und Wirtschaftsführern, von Botschaftern, Delegationen und Staatsoberhäuptern aus der ganzen Welt statt – und das bereits seit 1963. Damals hieß die Veranstaltung noch Wehrkundetagung, später dann Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik, schließlich Münchner Sicherheitskonferenz. In diesem Jahr fand sie zum 64. Mal statt.

Sie ist ein Kind des Kalten Krieges, damals, als sich NATO und Warschauer Pakt gegenüberstanden. Sie sollte eine Gelegenheit bieten, über die internationale militärische Lage zu reden, und das möglichst auch mit den Vertretern der Gegenseite. Die Zeiten haben sich geändert – die Siko, wie Insider die Sicherheitskonferenz nennen, nicht. Sie ist über den Kalten Krieg, so scheint es, nie hinausgekommen. Und über den Kalten Krieg, so scheint es, ist sie nicht hinausgekommen. „An den Abgrund – und zurück?“ („To the brink – and back?“) lautete das diesjährige Motto der Konferenz. Die Betonung auf dem Fragezeichen ist unüberhörbar, denn ein Schwerpunkt der Tagung liegt auf Atomwaffen und dem Zittern vor Russland.

„Wir können von Glück reden, dass es bisher keinen eskalierenden Zusammenstoß zwischen amerikanischen und russischen Schiffen oder Flugzeugen gegeben hat. Das Vertrauen zwischen dem Pentagon und der russischen Militärführung ist gegen null gesunken. Das macht die konfrontative Lage im Nahen Osten, in der Ukraine oder in Ostasien doppelt gefährlich. Unerträglich gefährlich“, sagte Konferenzleiter Wolfgang Ischinger vor Beginn der Siko.

Den Rhythmus der drei Tage, diesmal vom 16. bis zum 18. Februar, gibt der elektronische Gong vor: das „Ding-Dang-Dong“, das die Zuhörer in den großen Saal ruft, in dem die wichtigsten Redner auftreten. Der Gong, der die Menge von den Kaffeetassen wieder zu den Sitzplätzen fluten lässt, der Gong, der in immer kürzeren Abständen drängelt, wenn sich Militärs mit Ordensbändern, Politiker und Scheichs aus Wüstenemiraten gar zu widerwillig in Bewegung setzen und so den straffen Zeitplan gefährden. Reicht der Gong nicht aus, wird der sonst so verbindliche und freundliche Organisator und Vorsitzende der Konferenz, Ischinger, schon mal ärgerlich. In perfektem Englisch und hörbar genervt ruft er mit einem „would you please take your seats – NOW!“ seinen Kindergarten zur Ordnung. Ischinger, Berufsdiplomat, inzwischen 71 Jahre alt, ist bestens vernetzt, international erfahren, kennt fast jeden Minister zwischen Wa-shington, Afrika und dem Persischen Golf. Er war deutscher Botschafter in Washington, deutscher Botschafter in London und leitet die Siko seit 2008 – also seit einem Jahrzehnt.

Wo es in Europa brannte, wo es zwischen Washington, Bonn und Moskau kriselte, wo es später zwischen Berlin und Belgrad etwas zu regeln gab, war Ischinger beteiligt. Er formulierte die deutsche Balkan-Politik in Bosnien und im Kosovo mit, er hatte seine immer rührigen Finger in der EU- und NATO-Erweiterung nach Osten; und er reitet nach wie vor sein Lieblingssteckenpferd, das Verhältnis der NATO früher zur Sowjetunion, heute zu Russland. Seine Expertise ist so gefragt, dass er Mitglied in der im Jahr 2000 vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder und Präsident Wladimir Putin eingesetzten ständigen Deutsch-Russischen Strategischen Arbeitsgruppe für Finanzen (SAG) war. Sie soll die Zusammenarbeit zwischen  Deutschland und Russland fördern und existiert bis heute.

„Ding-Dang-Dong“. Die Schar sitzt, die Konferenz kann beginnen. Erster Gastredner in diesem Jahr ist die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen; und was sie sagt, wird im Publikum mit manchem höhnischen Grinsen quittiert. Angesichts der desaströsen Lage der Bundeswehr (PAZ 

Nr. 8, Seite 2) redet sie das deutsche Engagement in der NATO schön; verspricht endlich die von der NATO geforderten Ausgaben von zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Streitkräfte – was der Koalitionsvertrag so nicht hergibt – und schwärmt von dem „Prozess“ in der EU, der endlich dafür sorgen soll, dass die EU eigene Streitkräfte aufstellt. PESCO heißt der, eine Abkürzung für Permanent Structured Cooperation, also Ständige Strukturierte Zusammenarbeit. Es war eines der großen Themen, ob durch EU-Streitkräfte nicht eine Parallelstruktur zur NATO aufgebaut wird, was wiederum die USA dazu bringen könnte, sich aus Europa zurückzuziehen.

In von der Leyens Rede klingt das alles leicht. Probleme? Nirgendwo in Sicht. Die ersten sehnen sich nach Kaffee. Es geht weiter, nach von der Leyen spricht die französische Verteidigungsministerin Florence Parly, auch hier ist viel von PESCO und EU-Streitkräften die Rede. Der interessanteste Teil ist wie üblich die anschließende Fragerunde, kurz „Q & A“ für Questions and Answers, für Fragen und Antworten. Das dabei Interessanteste ist wiederum, welche Fragen nicht beantwortet sondern weitschweifig umgangen werden. In diesem Fall die an Parly, ob Frankreich denn bereit sei, seine Atomwaffen der EU zu unterstellen. Keine Antwort ist auch eine Antwort …

Fragen können nur wenige Journalisten. Denn obwohl rund 1000 von ihnen akkreditiert sind und durch die rigorosen Sicherheitschecks kommen, dürfen sie noch lange nicht mit den Rednern auf Tuchfühlung gehen – kommen auch nur in den seltensten Fällen in den großen Saal –, sondern sitzen ein Haus weiter im Pressezentrum, wo sie die Reden per Livestream verfolgen müssen. Genau den Livestream, den jedermann zu Hause auf dem Sofa per Laptop verfolgen kann; den Livestream, den auch der Bayerische Rundfunk sowie Phoenix anbieten. Was allemal gemütlicher ist als ein Pressezentrum, in dem Journalisten andere Journalisten interviewen.

Auch die „Mixed Zones“, gemischte Zonen, in denen Journalisten früher Konferenzteilnehmer treffen konnten, sind mittlerweile „aus Sicherheitsgründen“ weitgehend abgeschafft. Es braucht also Geschick, um ein Gespür dafür zu bekommen, was die Konferenzteilnehmer wirklich bewegt. Allzu schwer ist das in diesem Jahr nicht: Es ist Deutschland und sein zähes Geeiere bei den Versuchen, eine Regierung zu bilden. Es ist sein unmögliches Verhalten bei der unbegrenzten Aufnahme von den Heerscharen der Dritten Welt, diesen Glücksrittern, für die sich das falsche Wort „Flüchtlinge“ eingebürgert hat; und den Versuch, die Folgen seiner fahrlässigen Politik allen anderen europäischen Staaten aufzubürden. Deutschland als Sicherheitsrisiko.

Ein Mitglied der amerikanischen Delegation formulierte sehr lang und sehr höflich, was sich unhöflich und zugespitzt so zusammenfassen lässt: „Germany is a loose cannon with a golden credit card.“ Deutschland ist wie eine losgerissene Kanone mit goldener Kreditkarte. Dazu muss man wissen, dass der Begriff „loose cannon“ im englischen eine feste Redewendung für alles Gefährliche, Unberechenbare ist. Er geht zurück auf die Zeit der Segelschiffe, als Fregatten und Korvetten mit Kanonen auf Rädern bestückt waren. Wenn sich so eine Kanone aus ihrer Vertäuung löste, freikam, zur „loose cannon“ wurde, sauste sie unkontrollierbar über die Decks und zermalmte alles, was ihr in den Weg kam.

„Ding-Dang-Dong“. Weitere Dis-kussionen und Reden, weitere Themen. Eins davon: Globaler Dschihad. Dan Coats, Director of National Intelligence aus den USA, sagt unumwunden und undiplomatisch: „Muslime, das Problem ist der Koran, die islamische Ideologie. Räumt endlich euren Laden auf!“ Verkniffene Mienen bei den anwesenden Arabern, Pakistanern, Iranern. Ein weiterer Redner zu diesem Thema: der deutsche Innenminister Thomas de Maizière. Verwundert putzt man sich die Ohren: Zur Frage nach der Grenzöffnung und seiner damaligen Behauptung „es gibt keine Terroristen unter den Flüchtlingen“ kommt jetzt ein „wir wussten das damals nicht“ und „die haben sich erst nach Ankunft in Deutschland radikalisiert“. Da braucht man schon sehr starken Kaffee. Doch es wird noch besser. Befragt nach der islamischen Komponente – schließlich geht es um das Sicherheitsrisiko des globalen Dschihads – sagt der Herr Minister: „Das ist komplex. Die meisten haben ein Problem mit der Rolle ihres Vaters, das verursacht Traumata.“

Säße man nicht schon, müsste man sich hinsetzen. Das ist fast so ein denkwürdiger Moment wie der 2013, als Claudia Roth (Grüne) auf der Siko freudestrahlend den iranischen Botschafter Ali Reza Sheik Attar mit High Five abklatschte. Apropos Iraner: Die müssen dieses Jahr den israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu ertragen, der zur Konferenz das Trümmerteil einer angeblich iranischen Drohne mitbringt, welche die Israelis über Israel abgeschossen haben. Er wedelt mit dem Teil, wendet sich an die Iraner: „Erkennen Sie das? Es gehört Ihnen.“ Die hören es allerdings nicht. Demonstrativ bleibt die iranische Delegation dem Saal fern, als ihr Erzfeind Israel spricht.

Was noch? Es schreien ein paar Türken bei ihren Reden herum (der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu und der türkische Ministerpräsident Binali Yilderim); die amerikanische Delegation aus dem Senat und dem Repräsentantenhaus des Kongresses versichert, dass die NATO immer auch ein Nuklearbündnis sein wird; und der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, ein Norweger und Kalter Krieger, ist darüber sehr erleichtert, während er das Schreckgespenst Russland in den leuchtendsten Farben malt. Wobei er nicht erwähnt, dass das russische Militär auf dem Papier zwar imponierend wirkt, es in der Praxis – bis auf die Nuklearwaffen – jedoch ein mehr oder weniger mobiler Schrotthaufen sei, der fast schon der Bundeswehr Konkurrenz macht.

Was bleibt von der Sicherheitskonferenz? Viele Reden. Von genau den Leuten, die sich auch sonst ununterbrochen treffen. Sei es bei den üblichen Gipfeln, ob sie nun G8, 

G20 oder Davos heißen; sei es bei den ununterbrochenen EU- oder NATO-Treffen, bei der OECD oder bei der UNO. Man braucht diese Plattform nicht mehr. Sie ist ein Relikt aus einer Zeit, in der das Reden über Sicherheitspolitik – also Außenpolitik – noch neu und notwendig war. Als es eine überschaubare Zahl von Akteuren gab, zwei Blöcke, denen sich alle anderen latenten Krisen unterordneten. So sehr, dass sie nicht mehr wahrnehmbar waren. 

Heute, in einer zersplitterten Welt mit vielen unberechenbaren Akteuren, kann die Sicherheitskonferenz weder Antworten geben noch Sicherheit schaffen – oder planen. Die Zeit seit dem Jahr 2001 hat überdies gezeigt, dass die neuen, aktuellen Krisen – islamischer Terrorismus, Einsätze in Afghanistan und dem Irak, die Katastrophe des „Arabischen Frühlings“ – von der Siko überhaupt nicht geahnt, gemerkt, vorhergesehen wurden, was Ischinger selbst bereits 2015 in einem Interview mit dem SWR festgestellt hatte.

Auf die Frage, ob angesichts des Kriegs in der Ukraine, dem Wüten des Islamischen Staates im Irak und in Syrien, der Anschläge in Paris auch einen „erfahrenen Krisen-Diplomaten und Sicherheitsexperten wie Sie der Mut verlässt“, antwortete er: „Der Mut verlässt mich eigentlich nicht. Aber überrascht bin ich schon darüber, dass wir das überhaupt nicht vorhergesehen haben. Außenpolitische Krisen vorherzusagen, ist nicht nur außerordentlich schwer, es ist in sehr vielen Fällen leider völlig unmöglich.“ 

„Ding-Dang-Dong!“ Der letzte Gong, die letzte Rede. Der saudische Außenminister Adel bin Ahmed Al-Jubeir versichert, dass Saudi-Arabien ungemein stabil, ein Garant für Frieden und verlässlicher Partner des Westens sei. Immerhin trägt er – der in den USA ausgebildet wurde – Schlips und Anzug statt Wüstentracht. Dann ist die 64. Sicherheitskonferenz zu Ende. Es bleibt das Gefühl, „schön, dass wir darüber gesprochen haben“. Und die leise Erkenntnis, dass, wenn Ischinger die Leitung der Konferenz abgibt, diese Tagung gestorben ist. Sie hat sich überlebt. Das ahnt er wohl selber, denn am 22. Februar 2018 schrieb er zu den ergebnislosen drei Tagen auf Twitter: „Ich bin außerordentlich dankbar für alle Ideen, welche die Sicherheitskonferenz besser, gehaltvoller, zielorientierter machen. Sie ist für den traurigen Zustand der internationalen Ordnung nicht verantwortlich: Wir sind nur der Überbringer der Botschaft.“ 

„Ding-Dang-Dong.“ Vielleicht ist es Zeit, den Gong für diese Konferenz zu läuten.