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02.03.18 / Italien erwartet Koalition der Verlierer / Eine relative Mehrheit wird wohl am Sonntag Grillos »M5S« wählen, aber der will nicht koalieren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-18 vom 02. März 2018

Italien erwartet Koalition der Verlierer
Eine relative Mehrheit wird wohl am Sonntag Grillos »M5S« wählen, aber der will nicht koalieren
Peter Entinger

Politik in Italien – das galt jahrzehntelang als organsiertes Chaos. Mal regierten die Christdemokraten mit den Sozialisten, mal umgekehrt. Und die Kommunisten mischten auch mal mit. Doch das ist lange vorbei. Volksparteien gibt es praktisch keine mehr.

Und so ist der Ausgang der Parlamentswahlen am 4. März weiterhin ungewiss. Anders als in Deutschland dürfen in den letzten 14 Tagen keine Umfragen mehr veröffentlicht werden. Zuletzt sahen die Demoskopen die Mitte-Rechts-Allianz mit der Forza Italia des früheren Regierungschefs Silvio Berlusconi und der Lega Nord vorn. Das Lager vereint um die 36 Prozent der Stimmen auf sich. Der Abwärtstrend der regierenden Demokratischen Partei (PD) des ehemaligen Ministerpräsidenten Matteo Renzi hat sich fortgesetzt. Die Partito Democratico liegt bei 23 Prozent. Stärkste Einzelpartei ist nach wie vor die Fünf-Sterne-Bewegung, die auf etwa 28 Prozent kommt.

Die Anti-Mafia-Enthüllungen der 90er Jahre haben das politische System auf den Kopf gestellt. Renzis PD wollte in den vergangenen zehn Jahren an die Tradition der alten Sozialdemokraten anknüpfen, Berlusconis Partei schickte sich an, die Reste der versprengten Christdemokraten aufzusammeln. Wirklich erfolgreich waren sie nie. Zersplitterungen, Neugründungen und Listenverbindungen sind in Italien die Regel. Im aktuellen Parlament sind an die 20 Parteien vertreten, organisiert in elf Fraktionsgemeinschaften, in denen zahlreiche Wechsel stattfanden. Über 560 waren es allein in der laufenden Legislaturperiode. 

Das habe viel damit zu tun, dass sich die Parteien in Italien gewandelt hätten, sagte der Verfassungsrechtler Gino Scaccia dem Deutschlandfunk. „Die Parteien gibt es nicht mehr. Sie haben sich aufgelöst. Stattdessen bilden sich Privatparteien rund um einzelne Führungspersönlichkeiten.“

Anders als in anderen Ländern ist, dass die Parteiführer nicht zwangsläufig auch die Spitzenkandidaten sind. Der amtierende Ministerpräsident Paolo Gentiloni geht an der Seite seines Vorgängers und Parteichefs Renzi ins Rennen, von dem die einheimischen Medien schreiben, dass er das Kunststück geschafft habe, innerhalb von fünf Jahren vom Hoffnungsträger Europas zum meistgehassten Mann Italiens abzusteigen. Altstar und Fußball-Liebhaber Berlusconi darf nicht kandidieren. Nichtsdestoweniger wirbt seine Partei mit seinem Konterfei. Auf die Nominierung eines zwangsläufig anderen Spitzenkandidaten hat sie verzichtet. 

Erschwert werden Prognosen auch durch Italiens neues Wahlrecht namens „Rosatellum“, das nach dem PD-Abgeordneten Ettore Rosato benannt ist, der es vorangetrieben hat. Es macht den Sieg einer einzelnen Partei nämlich unwahrscheinlicher und setzt auf die Bildung von Koalitionen. Zudem müssen die Kandidaten jetzt auch auf lokaler Ebene gegeneinander antreten. In jeder der zwei Kammern des Parlaments werden 36 Prozent der Sitze per relativer Mehrheitswahl in Wahlkreisen gewählt. Die restlichen 64 Prozent der Sitze werden proportional per Verhältniswahl vergeben. Dabei besteht eine landesweite Drei-Prozent-Hürde für einzelne Parteilisten, bei Koalitionen beträgt die Sperrklausel zehn Prozent, wobei mindestens eine Liste drei Prozent erreicht haben muss. Die Folge sind zahlreiche Listenverbindungen, von denen nicht absehbar ist, welche den Wahlabend überstehen werden. 

Meinungsforscher gehen davon aus, dass nach dem neuen Wahlsystem für eine Mehrheit der Sitze im Parlament etwa 40 Prozent notwendig sind. Wenn der Anti-Establishment-Bewegung „Movimento 5 Stelle“ (M5S) mit ihrem Spitzenkandidaten Luigi di Maio auch zugetraut wird, als stärkste Partei aus dem Rennen zu gehen, so wird sie doch voraussichtlich weit unterhalb der 40 Prozent bleiben, und der M5S-Gründer Beppe Grillo will mit niemandem koalieren. 

„Der Kampf wird in der Mitte und im Süden ausgetragen“, sagte Lorenzo Pregliasco vom Meinungsforschungsinstitut „Youtrend“ der Deutschen Presse-Agentur. Wo die Wähler in diesen Regionen ihr Kreuzchen setzen, sei vor allem für das Mitte-Rechts-Lager entscheidend, die als einziges einer Mehrheit im Parlament nahekommen dürften. Neben Berlusconis Forza Italia und der Lega Nord gehören ihm kleinere christdemokratische Gruppen sowie die als nationalkonservativ eingestufte Partei „Fratelli d’Italia“ (Brüder Italiens) an. Die ursprünglich in den nördlichen Landesteilen beheimatete Lega tritt erstmals landesweit an und könnte ihren Stimmenanteil von vier auf 13 Prozent steigern. Die „Brüder Italiens“, die aus der postfaschistischen Nationalen Allianz hervorgegangen sind, stehen mit fünf Prozent vor dem erstmaligen Einzug ins Parlament. 

Vom Wahlausgang in Italien werden auch Auswirkungen auf die Zukunft der Europäischen Union erwartet. Einen „Italexit“ nach britischem Vorbild wird es aber auf keinen Fall geben, auch wenn Lega-Chef Matteo Salvini noch zu Beginn des Wahlkampfes eine Volksabstimmung über den Euro gefordert hat. Die „Brüder Italiens“ wollen den Euro sogar erklärtermaßen verteidigen – allerdings mit der Einschränkung, dass er zum „Instrument der Völker Europas und nicht der Banken“ werden müsse. Der Grund ist simpel. Berlusconi hat seinem Bündnis einen EU-freundlichen Kurs verordnet. Sollten die einzelnen Bündnispartner nicht mitziehen, werde er am Wahlabend Renzis Sozialdemokraten eine Koalition anbieten. So einfach ist das in Italien.