24.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
02.03.18 / Gegenwind / Sind »konservativ« und »christlich« Gegensätze?

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-18 vom 02. März 2018

Gegenwind
Sind »konservativ« und »christlich« Gegensätze?
Florian Stumfall

Einen minder begabten Spitzenpolitiker der CDU ist es kürzlich angekommen, mit Blick auf die weltanschaulichen Grundlagen seiner Partei einen Gegensatz zwischen „konservativ“ und „christlich“ zu konstruieren. Damit tat er kund, dass er von beiden Begriffen nicht viel versteht.

Was das Konservative angeht, so hat es sich im allgemeinen Empfinden und der Handhabung durch die Meinungsmacher ein wenig erholt. Vor, sagen wir, noch 20 Jahren galt es als unzumutbar und der finsteren Vergangenheit angehörend. Mangelnde Courage auf der bürgerlichen Seite und der Umstand, dass man allgemein zwar das Wort kannte, damit aber nicht viel anzufangen wusste, hatte die Denunziation sehr erleichtert. Zur Erholung trugen daher die Beispiele konservativer Parteien im Ausland erheblich mehr bei als der Behauptungswille vieler hierzulande Betroffener.

Dabei wäre es gar nicht so schwierig zu erklären, was man unter „konservativ“ verstanden wissen will, wenn man diese Eigenschaft für sich beansprucht. Es ist gekennzeichnet durch das Handlungsprinzip, wonach man nichts dreingeben solle, weder methodisch noch inhaltlich, wenn man nicht etwas Besseres an die Stelle des Bisherigen setzen kann. Was die Methoden angeht, so mögen sich diese im Laufe der Zeiten verändern, der Inhalt dessen aber, was der Konservative zu vertreten hat, ist die Vereinigung der abendländischen Freiheits-Tradition mit dem christlichen Sittengesetz. Und das beansprucht Bestand über die Moden hinaus, jedenfalls im abendländischen Kulturkreis.

Hier – um nur einen kleinen Einschub zu tun – erweist sich bereits, dass auch in der Politik Intelligenz von Nutzen sein kann. Sie ermöglicht die Unterscheidung, was an Vorhaben, Planungen und Zielsetzungen verhandelbar sein kann und was nicht. Früher, als dergleichen noch im Schwange war, nannte man das „ordnungspolitisches Denken“. Dieses wurde in der Ära Merkel zu Grabe getragen, in kleinem Kreis, privat und ohne Blumen.

Das konservative Amalgam, bestehend aus der Tradition der Freiheit in der 

abendländischen Geistesgeschichte und dem christlichen Sittengesetz, zeigt in schmerzlicher Deutlichkeit, wie dumm es ist, jenen Gegensatz zu konstruieren. Es verbietet aber auch alles Staunen darüber, dass mit der allgemein platzgreifenden Beliebigkeit und dem Ende der Ordnungspolitik beides gleichzeitig und zunehmend Schaden nimmt: die Freiheit und die christliche Prägung, jedenfalls des westlichen Europas. Die Aushöhlung des Grundgesetzartikels 5, der die Meinungsfreiheit garantiert, und die Übung, Kreuze aus dem öffentlichen Raum zu verbannen, um nur zwei Beispiele zu nennen, kommen beide aus demselben profan-sozialistischen Denken, das die Religion durch Ethik ersetzt, dann aber nicht weiß, wie es diese Ethik begründen kann.

Hier liegt auch die Erklärung, warum in der Politik zunehmend von „Werten“ die Rede ist, die es zu verteidigen gelte. Dieses geschieht im Wesentlichen dadurch, dass man weltweit anderen Kulturen den eigenen Willen aufzwingt, ihnen erklärt, wie sie zu leben hätten, und die man, wenn das nichts fruchtet, mit Bomben zur Raison bringt. Das Wort aus SPD-Mund, wonach Deutschlands Freiheit am Hindukusch verteidigt werden müsse, trifft diese Sachlage im Kern. Wenn man also seine Werte nur hoch genug hängt, rechtfertigen sie Krieg und Massaker in beliebigem Umfang.

Doch ach! Niemand macht sich die Mühe aufzuzählen, welche denn diese Werte seien, von denen an der Börse abgesehen. Im Allgemeinen wirkt der Hinweis auf die Werte so ehrfurchtgebietend, dass Nachfragen ausbleiben. Sollte es doch anders kommen, so genügt ein Hinweis auf die Demokratie, die auszubreiten man berufen und verpflichtet sei. Spätestens hier sind Zweifel untersagt, denn sonst könnte jemand auftreten und erklären, bei der Demokratie handle es sich um ein Ordnungsprinzip, eine organisatorische und keine ethische Größe. Andernfalls, wenn sie nämlich Selbstzweck wäre, müsste die Demokratie auch im Operationssaal, auf dem Segelschiff, vor einem Orchester oder im Kindergarten als Ordnung gelten. Dieser Hinweis aber ist gefährlich, denn es finden sich umgehend Narren, die dergleichen dann auch fordern.

Die Demokratie also ist ein Organisations-Prinzip, der Wert, der damit in Zusammenhang steht, sind Freiheit und Rechtsstaatlichkeit. Leider ist dieser Zusammenhang nicht selbstverständlich. Um nur Deutschland als Beispiel zu nehmen, so funktionieren die Techniken der Demokratie tadellos, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit aber nehmen immer mehr Schaden.

Doch obwohl die allgemein-nebulösen Hinweise auf Werte irgendwelcher Art die Nachfrage nach einer ethischen Unterfütterung nicht befriedigend und endgültig decken können, greift doch kaum jemand auf ein konstitutiv-europäisches Regelwerk zurück, das seit jeher die Anforderung des Nicht-Verhandelbaren und Über-dem-Zeitgeist-stehen erfüllt, nämlich den Dekalog, die Zehn Gebote. Europa und mit ihm Deutschland haben sich von der ureigenen Prägung bereits soweit gelöst, dass einer der glücklichsten Würfe der Geistesgeschichte mit Missachtung beiseitegelegt wird; nicht etwa, weil am Inhalt etwas auszusetzen wäre, sondern weil die religiöse Konnotation missfällt.

Ja, und dann sucht der Vertreter einer Partei mit dem „C“ im Namen nach einem geistigen Handlauf und irrt im Dunkel. Dabei hätte dieses „C“ noch eine weitere, ganz entscheidende Morgengabe für seine Adepten, und diese berührt die politische Anthropologie.

In der Auseinandersetzung mit dem Sozialismus nationaler wie internationaler Prägung wie mit anderen Ideologien kommt unausweichlich und sehr bald der Punkt, an dem das Menschenbild zum Thema wird. Dann stellt sich heraus, dass die Ideologien der Auffassung sind, der Mensch sei eigentlich und im Grund zur Vervollkommnung in dieser Welt und mit den Mitteln dieser Welt geeignet. Das Programm ist ganz einfach: Räumt die Kapitalisten auf die Seite – respektive im anderen Fall die Angehörigen von Minderheiten – dann wird sich der Rest der Vervollkommnung nähern und wir haben einen perfekten Staat.

Demgegenüber spricht die christliche Lehre von der grundsätzlichen Fehlerhaftigkeit des Menschen, die er aus sich selbst nicht beheben kann. Diese Einsicht ist nichts anderes, als was man als Erbsünde bezeichnet. Nun kann man aber mit unvollkommenen Menschen keinen vollkommenen Staat machen, das folgert ebenso aus der christlichen Lehre wie der Erfahrung von Jahrtausenden, die dem Konservativen zu demselben Menschenbild führen. Konsequenz daraus sind Bescheidung und der Verzicht auf den idealen Staat auf Biegen und Brechen und mit den Blutopfern, an denen die Geschichte keinen Mangel zeigt. 

Von den Höhen theoretischer, ordnungspolitischer Betrachtungen führt ein überraschend kurzer Weg in die Banalität der Tagespolitik. Wer sich gewundert hat, mit welcher Flexibilität und leichtfertigen Unbekümmertheit die amtierende Kanzlerin Angela Merkel bei den Koali­tions­ver­hand­lun­gen beliebig inhaltliche wie personelle Positionen aufgegeben hat, der mag die Erklärung darin suchen, dass ihr die Ordnungspolitik gänzlich fehlt, also ein geistiger Rahmen des Grundsätzlichen und Nicht-Verhandelbaren, der auch in der Praxis Halt und Orientierung gibt. Das willkommene Nebenprodukt wäre zudem Glaubwürdigkeit. Vor diesem Hintergrund entlarven sich die Floskeln von den Werten als altes Weißblech, das für Gold ausgegeben wird.