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02.03.18 / Wahrheit oder wirres Zeug? / Verschwörungstheorien sind alt wie die Menschheit selbst ­– lebensrettend sind sie auch

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-18 vom 02. März 2018

Wahrheit oder wirres Zeug?
Verschwörungstheorien sind alt wie die Menschheit selbst ­– lebensrettend sind sie auch
Ulrike Dobberthien

Haben Sie schon einmal geglaubt, die ganze Welt hätte sich gegen Sie verschworen? Alle Arbeitskollegen, Mitmenschen samt aller Götter des Universums? Dann haben Sie die Grundlagen einer Verschwörungstheorie instinktiv erfasst: Sie bestehen in einem latenten Unwohlsein und dem Versuch, Dinge zu erklären, die auf den ersten Blick nicht zu erklären sind. Das kann zu Neugier, Wissenschaft und dem Versuch führen, dem Rätsel auf den Grund zu gehen; also in rationalen Antworten. Es kann aber auch in bizarren Theorien enden, nach der Außerirdische längst auf der Erde leben und die Mondlandung im Studio gedreht wurde.

Dabei ist einer der Hauptgründe für Verschwörungstheorien die Existenz realer Verschwörungen. 1962 wurde die Watergate-Affäre bekannt, bei der der amerikanische Präsident Richard Nixon unter anderem den Auftrag zum Abhören der Demokratischen Partei gegeben hatte. 1985 befahl die französische Regierung den Bombenanschlag auf ein Schiff von Greenpeace. Der Putsch gegen die iranische Regierung Mossadegh galt lange Zeit als Verschwörungstheorie, bis sie im Jahr 2013 von der amerikanischen Regierung zugegeben wurde. Ein weiterer phantastisch klingender Vorgang, der sich dank des amerikanischen Enthüllungs-Dissidenten Edward Snowden als pure Wahrheit erwies: US-Geheimdienste wie die NSA haben seit 2007 massenhaft die Kommunikation normaler Bürger überwacht. 

„Das Leben ist voller kleiner Verschwörungen“, weiß zudem der US-amerikanische Professor David Livingstone-Smith, der sich mit menschlichen Konflikten und Täuschungen beschäftigt. Der Psychologe und Philosoph an der „University of New England“ nennt Beispiele: „Eine Mutter liest das Tagebuch der Tochter und bespricht es mit ihrem Mann. Kinder sprechen ab, wie sie am besten gemeinsam ihre Eltern zu etwas bringen können.“ Das Prinzip komme in allen Bereichen des sozialen Lebens vor. Livingstone-Smith: „Sehen Sie sich Literatur und Filme an oder die Handlung von Soap Operas – alles dreht sich um Seilschaften, Täuschungen, Verschwörungen.“ 

Theorien darüber, sagen Wissenschaftler, sind so alt wie die Menschheit. Dass es sie zu jeder Zeit in allen Kulturen gab und gibt, deute auf einen Mechanismus des Gehirns. Er sucht selbst in scheinbaren Mustern, zufälligen Ereignissen und Erlebnissen einen Sinn. Für die Entwicklung der Menschheit eine praktische, eine überlebenswichtige Sache, denn immer steht dahinter die Frage: „Wie schütze ich mich vor Unbill, Gefahr und sorge für den Zusammenhalt der Gruppe?“

Es sei ein menschliches Grundbedürfnis, „die kausale Struktur der Umwelt“ zu verstehen, schrieb der österreichische Psychologe Fritz Heider schon 1958. „Wenn ich zum Beispiel auf meinem Schreibtisch Sand vorfinde, werde ich die Ursache dieses Ereignisses herauszufinden versuchen. Ich unternehme diese Nachforschung nicht aus bloßer Neugierde, sondern weil ich die Umwelt nur dann vorhersagen und kontrollieren kann, wenn ich dieses relativ unbedeutende Symptom mit einem zugrunde liegenden Kernereignis in Zusammenhang bringe.“ Diese Ursachen, so Heider, stellten „relevante Konstanten der Umwelt“ dar, „sie sind es, die unseren Erfahrungen Bedeutung verleihen“.

Diese angeborene Suche nach einem Ursache-Wirkung-Schema ist ausbaufähig und führt direkt zu Göttern und bösen Mächten, aber auch zu Naturwissenschaft und Aufklärung: Hört man ein Rascheln und sieht ein Tier, ist der Zusammenhang eindeutig. Auch wenn der Höhlengenosse es nicht gehört hat und von ihm gefressen wird, ist alles klar. Wird der Genosse jedoch vom Blitz erschlagen, wird es kompliziert: Wer hat den Blitz geworfen? Und warum wird er zwar getötet, aber nicht gefressen? Für solche komplizierten Fälle fand der moderne Mensch im Mittelalter das Wirken von Gott und Teufel – der Teufel sah dort alle Nase lang vorbei. Im modernen Leben wittert man eher die CIA, Putin oder den „großen Plan zur europäischen Umvolkung“. Ein weiterer Faktor kommt hinzu: Verschwörungstheorien sind viel interessanter als die Realität; das Böse fasziniert stärker als das Gute.

Wenn die Realität bedrohlich wahrgenommen wird, als Störung der bekannten Welt und sozialen Ordnung, sind Verschwörungstheorien ein rationaler Versuch, Unfassbares zu erklären und so das Gefühl der Unsicherheit und Ohnmacht zu verringern. So ein Gefühl der hilflosen Ohnmacht herrscht aktuell bei Deutschen, die täglich die Folgen der – von Bundeskanzlerin Angela Merkel ausdrücklich zugelassenen Masseneinwanderung aus der Dritten Welt – ausbaden müssen und sehen, wie ein endloser Strom von orientalischen Dörfern nach Deutschland quillt, der ausschließlich von den deutschen sozialen Sicherungssystemen lebt. „Ich hab diese unfassbare Wut auf das alles, und ich weiß nicht wohin damit!“, ist ein häufiger Satz in den Kommentarspalten der Tageszeitungen, der inzwischen von der „Welt“ über die „Zeit“ bis zur Süddeutschen Zeitung reicht. Die dazu kursierende Verschwörungstheorie lautet: Merkel möchte Deutschland gezielt an die Wand fahren, da sich nur so der chaotische, gerade entstehende Vielvölkerstaat Deutschland auflösen und als nicht mehr wiederzuerkennendes Gebilde besser in der EU aufgehen lässt.

Wie immer gilt natürlich: Urteilsfehler sind eingebaut. So unterliegen Verschwörungsgläubige häufig dem „fundamentalen Attributionsfehler“. Das heißt, sie überschätzen den Einfluss von Personen in einer chaotischen oder komplexen Situation, bei der eventuell allein der Zufall Regie führt. Ein weiterer Urteilsfehler, dem viele erliegen – nicht nur Verschwörungstheoretiker –, ist es, auf scheinbare Ursache-Wirkung-Zusammenhänge hereinzufallen. „Koinzidenz, also zeitliche Nähe, bedeutet noch keine Kausalität“, warnen die Skeptiker. 

Dabei ist es nur allzu menschlich nach Mustern zu suchen. Nur so lassen sich sinnvolle Beziehungen zwischen Ereignissen herstellen: Etwa zwischen einem rot blinkenden Licht an einem Bahnübergang und der Gefahr „Zug“, auch wenn der noch nicht zu sehen ist. Allerdings ist nicht jede Beziehung mit „rot“ sinnvoll. Wer überzeugt ist, dass rote Socken Glück bringen, weil er sie während einer erfolgreichen Prüfung trug, verbindet Dinge, die nichts miteinander zu tun haben. Psychologen nennen dieses Verhalten „illusory pattern perception“, also Wahrnehmung von Scheinmustern.

Dass solche Vorstellungen weitverbreitet sind, „legt nahe, dass sie bestimmte soziale Funktionen oder psychologische Bedürfnisse erfüllen“, schreiben dann auch die britischen Psychologen Viren Swami und Rebecca Coles von der Universität Kent in einem 2010 erschienenen Artikel. Ihre interessanteste Erkenntnis ist, dass viele gleichzeitig mehrere Varianten einer Verschwörungstheorie glauben, die sich widersprechen: So fanden Menschen, die von einem Mord an Prinzessin Diana überzeugt waren, zugleich die Theorie, dass sie ihren eigenen Tod nur vorgetäuscht habe, plausibler als andere Menschen. 

Weniger wichtig als die Logik einer Theorie ist demnach die zugrunde liegende Einstellung: Empfänglich für Verschwörungstheorien sind alle, die sich „machtlos, benachteiligt oder sprachlos fühlen, besonders angesichts einer Katastrophe“, schreiben Swami und Coles. Sie adeln diese Menschen aber auch: „Anhänger von Verschwörungstheorien sind tendenziell politisch, suchen nach Hintergründen und unterstützen demokratische Prinzipien. Das politische System empfinden sie allerdings als undemokratisch – was sie offizielle Erklärungen per se als unzureichend anzweifeln lässt.“ Sie sind, kurz gesagt, einfach misstrauisch. Und das ist nie verkehrt. 





Zwei Rasiermesser Verschwörungen auf die Spur kommen 

Um scheinbar komplexe Ereignisse und rätselhaftes Verhalten zu erklären, gibt es zwei Ansätze, die als die „zwei Rasiermesser“ berühmt wurden, weil sie alles Überflüssige an einer Theorie wegschneiden. Beide eignen sich dafür, um an Verschwörungstheorien angelegt, beziehungsweise auf sie angewendet zu werden

Ansatz Nr. 1: Dumm statt böse

Hanlons Rasiermesser (Hanlon‘s Razor) ist eine Faustformel, um menschliches Fehlverhalten zu erklären und dabei falsche Kausalitäten zu vermeiden. Es lautet: „Schreibe nicht der Böswilligkeit zu, was durch Dummheit hinreichend erklärbar ist“ (Never attribute to malice that which can be adequately explained by stupidity). Wenn Menschen, also auch Politiker, idiotisch handeln, dann nicht deshalb, weil dahinter ein ausgefeilter Plan steht, sondern weil sie tatsächlich kurzsichtig, dumm, faul und irrational agieren. Wer dieses kluge Prinzip ersonnen hat, ist unklar. Wahrscheinlich geht es auf den Science-Fiction-Autor Robert Heinlein zurück. Dann wäre der Name Hanlon nur eine falsche Schreibweise von Heinlein. Der Autor hat dieses Prinzip jedenfalls 1941 in seiner Kurzgeschichte „Auktion auf der Venus“ formuliert. Statt „Böswilligkeit“ benutzte er allerdings die Bezeichnung „Schurkerei“. Der Begriff änderte sich, als dieser Ausspruch erst zum geflügelten Wort, dann zum erkenntnistheorischen Leitsatz wurde.

Ansatz Nr. 2: Simpel statt kompliziert

Das andere Prinzip ist Ock-hams Rasiermesser (Ockham’s Razor). es wurde von dem englischen Scholastiker Wilhelm von Ockham (1288–1347) geprägt. Es ist auch als „Sparsamkeitsprinzip“ bekannt, denn es verlangt für Theorien die einfachsten Erklärungen. 

Ockhams Razor wird bis heute in der Wissenschaft verwendet, weil man Theorien mit wenigen und einfachen Annahmen leichter überprüfen kann als solche mit vielen und komplizierten Annahmen. Ockham in Kürze lautet:

1. Von mehreren möglichen Erklärungen für ein und denselben Sachverhalt ist die einfachste Theorie allen anderen vorzuziehen.

2. Eine Theorie ist einfach, wenn sie möglichst wenige Variablen und Hypothesen enthält; wenn diese in klaren logischen Beziehungen zueinander stehen; wenn aus ihnen der zu erklärende Sachverhalt logisch folgt. In der Praxis entstand dafür der geflügelte Spruch: „Wenn du Hufgetrappel hörst, denk an Pferde und nicht an Zebras.“