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02.03.18 / Großer Bahnhof für Leseratten / Reisen bildet und Lesen sowieso – Polen verbinden beides in Bahnhofsbibliotheken

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 09-18 vom 02. März 2018

Großer Bahnhof für Leseratten
Reisen bildet und Lesen sowieso – Polen verbinden beides in Bahnhofsbibliotheken
Chris W. Wagner

Der Bahnhof im westpreußischen Rahmel teilt sich seine Kundschaft mit der städtischen Bibliothek. Die polnische Bahn hat das aus den 1950er Jahren stammende Bahnhofsgebäude saniert. 80 Prozent seines Inneren nimmt nun ein Lesesaal ein, dessen Gestaltung hingegen vom Ministerium für Kultur und Nationales Erbe finanziert wurde. Auf 1500 Quadratmetern können Lesefreunde dort Bücher ausleihen oder – während sie auf ihren Zug warten – einfach nur schmökern. Diese Bibliothek bietet auch Lektüre in kaschubischer Sprache, ist sie doch nach Florian Ceynowa (1817-1881) benannt, der als erster auf Kaschubisch publizierte.

Der in Slawoschin, Kreis Neustadt in Westpreußen geborene Bauernsohn studierte Philosophie sowie Medizin in Breslau und später in Königsberg. Unter dem Einfluss des Polen Ludwik Mieroslawski nahm er 1846 am antideutschen Aufstand in Preußisch Stargard teil, wofür er in Berlin-Moabit als Rädelsführer zum Tode verurteilt wurde. Im Zuge der Märzrevolution 1848 wurde Ceynowa vom preußischen König begnadigt und freigelassen. 1851 wurde er in Berlin zum Doktor der Medizin promoviert.

Er veröffentlichte 1843 seine erste Kurzgeschichte in Kaschubisch und auf Deutsch über die „Germanisierung der Kaschuben“. In seinen Schriften wandte sich Ceynowa gleichermaßen gegen die Vereinnahmung der Kaschuben durch Deutsche wie durch Polen. 1850 rief er die Kaschuben auf: „Sprecht lieber reines Kaschubisch als verdorbenes Polnisch.“ Kaschubisch als eigenständige Regionalsprache wurde in der Republik Polen erst 2005 anerkannt.

Der Ideengeber und Architekt des „Kulturbahnhofs“ in Rahmel, übrigens der Geburtsort von Eri­ka Steinbach, Jan Sikora, wurde beim internationalen Wettbewerb Library Interior Design Awards 2016 mit dem ersten Preis für die beste Innenausstattung ausgezeichnet. Sikora schuf nur einige Bahnstationen weiter, in Zoppot, eine ähnliche Einrichtung, die „Zoppothek“. Und auch hier versetzte der Architekt zugleich den Bahnhof in eine Bibliothek. Passend zum Badeort platzierte Sikora Strandkörbe und Liegestühle in die Bahnstation.

Die Bahnromantik lässt den promovierten Architekten übrigens weiterhin nicht los. Gerade arbeitet der Dozent an der Kösliner Hochschule an der Umgestaltung des Bahnhofs von Großen­dorf bei Putzig in ein Kulturzentrum.

Auch in Großpolen sollen Bahnreisende schmökern können. Im imposanten neugotischen Bahnhofsgebäude Neu Skalmierschütz soll neben einer Bibliothek auch eine Ausstellung zur Geschichte des Bahnhofs entstehen. 1896 eröffnet, sollte das monumentale Gebäude an der Grenze zum russischen Kaiserreich die Reisenden aus Russland ins Staunen versetzen. In der Region Großpolen ist man heute noch stolz auf dieses Monument, das im Januar auf die Denkmalschutzliste der Woiwodschaft gesetzt wurde. Auf diese Weise erhofft man sich EU-Gelder für die Sanierung.

Eine weitere Perle der Back­steinbahnhofsromantik, wenn auch nicht so monumental, ist der Bahnhof im oberschlesischen Morgenroth, der 1902 seine heutige Gestalt erhielt. Neben seiner Ursprungsfunktion soll der Bahnhof Morgenroth ebenfalls einen Lesesaal und einen Lesegarten auf dem Bahnhofsvorplatz bekommen. Die Stadt Ruda O.S. kaufte das Gebäude für etwa 250000 Euro von der polnischen Bahn (PKP). „Durch die Sanierung des Morgenrother Bahnhofs wird einer der schönsten Bahnhöfe polenweit wiederbelebt und steht vielleicht bald als Symbol für die vielen architektonischen Perlen der Region“, freut sich Grazyna Dziedzic, die Stadtpräsidentin von Ruda.