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09.03.18 / Dieselfahrer in Schockstarre / Bundesverwaltungsgericht erlaubt es Kommunen, ohne Regelung des Bundes Fahrverbote zu erlassen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-18 vom 09. März 2018

Dieselfahrer in Schockstarre
Bundesverwaltungsgericht erlaubt es Kommunen, ohne Regelung des Bundes Fahrverbote zu erlassen
PM/J.H.

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat mit zwei Urteilen die Sprungrevisionen der Länder Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg gegen erstinstanzliche Gerichtsentscheidungen der Verwaltungsgerichte Düsseldorf und Stuttgart zur Fortschreibung der Luftreinhaltepläne der beiden Städte überwiegend zurückgewiesen. Das heißt, dass Städte und Kommunen berechtigt sind, Verkehrsverbote für Diesel-Kraftfahrzeuge zu erlassen. Dabei haben die Bundesrichter ihnen jedoch enge Grenzen gezogen. So haben sie bei der Prüfung derartiger Verbote gerichtliche Maßgaben insbesondere zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit zu beachten.

Zur Vorgeschichte: Das Verwaltungsgericht Düsseldorf verpflichtete das Land Nordrhein-Westfalen auf Klage der Deutschen Umwelthilfe, den Luftreinhalteplan für Düsseldorf so zu ändern, dass dieser die erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung des über ein Jahr gemittelten Grenzwertes für Stickstoffdioxid (NO) in Höhe von 40 µg/m³ im Stadtgebiet Düsseldorf enthält. Der Beklagte sei verpflichtet, im Wege einer Änderung des Luftreinhalteplans weitere Maßnahmen zur Beschränkung der Emissionen von Dieselfahrzeugen zu prüfen. Beschränkte Fahrverbote für bestimmte Dieselfahrzeuge seien rechtlich und tatsächlich nicht ausgeschlossen. 

Das Verwaltungsgericht Stuttgart wiederum verpflichtete das Land Baden-Württemberg, den Luftreinhalteplan für Stuttgart so zu ergänzen, dass dieser die erforderlichen Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung des über ein Kalenderjahr gemittelten Immissionsgrenzwertes für NO in Höhe von 40 µg/m³ und des Stundengrenzwertes für NO von 200 µg/m³ bei maximal 18 zugelassenen Überschreitungen im Kalenderjahr in der Umweltzone Stuttgart enthält. Der Beklagte habe ein ganzjähriges Verkehrsverbot für alle Kraftfahrzeuge mit Dieselmotoren unterhalb der Schadstoffklasse Euro 6 sowie für alle Kraftfahrzeuge mit Ottomotoren unterhalb der Schadstoffklasse Euro 3 in der Umweltzone Stuttgart in Betracht zu ziehen. 

Die verwaltungsgerichtlichen Urteile hat das Bundesverwaltungsgericht vor dem Hintergrund des Unionsrechts überwiegend nicht beanstandet. Unionsrecht und Bundesrecht verpflichteten dazu, durch in Luftreinhalteplänen enthaltene geeignete Maßnahmen den Zeitraum einer Überschreitung der seit 1. Januar 2010 geltenden Grenzwerte für NO so kurz wie möglich zu halten. 

Entgegen der Annahmen der Verwaltungsgerichte lasse das Bundesrecht zonen- wie streckenbezogene Verkehrsverbote speziell für Diesel-Kraftfahrzeuge jedoch nicht zu. Nach der bundesrechtlichen Verordnung zur Kennzeichnung der Kraftfahrzeuge mit geringem Beitrag zur Schadstoffbelastung („Plakettenregelung“) sei der Erlass von Verkehrsverboten, die an das Emissionsverhalten von Kraftfahrzeugen anknüpfen, bei der Luftreinhalteplanung vielmehr nur nach deren Maßgaben möglich (rote, gelbe und grüne Plakette). 

Mit Blick auf die unionsrechtliche Verpflichtung zur schnellstmöglichen Einhaltung der NO-Grenzwerte ergebe sich jedoch aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union, dass nationales Recht, dessen unionsrechtskonforme Auslegung nicht möglich ist, unangewendet bleiben müsse, wenn dies für die volle Wirksamkeit des Unionsrechts erforderlich sei, so das Bundesverwaltungsgericht weiter. Deshalb bliebe die „Plakettenregelung“ sowie die Straßenverkehrsordnung, soweit diese der Verpflichtung zur Grenzwerteinhaltung entgegenstehen, unangewendet, wenn ein Verkehrsverbot für Diesel-Kraftfahrzeuge sich als die einzig geeignete Maßnahme erweise, den Zeit-raum einer Nichteinhaltung der NO-Grenzwerte so kurz wie möglich zu halten.

Hinsichtlich des Luftreinhalteplans Stuttgart habe das Verwaltungsgericht nach Überzeugung des Bundesverwaltungsgerichts in tatsächlicher Hinsicht festgestellt, dass lediglich ein Verkehrsverbot für alle Kraftfahrzeuge mit Dieselmotoren unterhalb der Schadstoffklasse Euro 6 sowie für alle Kraftfahrzeuge mit Ottomotoren unterhalb der Schadstoffklasse Euro 3 in der Umweltzone Stuttgart eine geeignete Luftreinhaltemaßnahme darstellt. 

Bei Erlass dieser Maßnahme werde jedoch – wie bei allen in einen Luftreinhalteplan aufgenommenen Maßnahmen – sicherzustellen sein, dass der auch im Unionsrecht verankerte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt. Insoweit sei hinsichtlich der Umweltzone Stuttgart eine phasenweise Einführung von Verkehrsverboten, die in einer ersten Stufe nur ältere Fahrzeuge etwa bis zur Abgasnorm Euro 4 betrifft, zu prüfen. Zur Herstellung der Verhältnismäßigkeit dürften Euro-5-Fahrzeuge jedenfalls nicht vor dem 1. September 2019 – mithin also vier Jahre nach Einführung der Abgasnorm Euro 6 – mit Verkehrsverboten belegt werden. Darüber hinaus bedürfe es hinreichender Ausnahmen, beispielsweise für Handwerker oder bestimmte Anwohnergruppen. 

Hinsichtlich des Luftreinhalteplans Düsseldorf hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass Maßnahmen zur Begrenzung der von Dieselfahrzeugen ausgehenden Emissionen nicht ernsthaft in den Blick genommen worden sind. Dies wird der Beklagte nach Ansicht der Bundesrichter nachzuholen haben. Ergebe sich bei der Prüfung, dass sich Verkehrsverbote für Diesel-Kraftfahrzeuge als die einzig geeigneten Maßnahmen zur schnellstmöglichen Einhaltung überschrittener NO-Grenzwerte darstellen, seien diese – unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – in Betracht zu ziehen, heißt es in dem letztinstanzlichen Urteil. 

Die Straßenverkehrsordnung ermögliche die Beschilderung sowohl zonaler als auch streckenbezogener Verkehrsverbote für Diesel-Kraftfahrzeuge. Der Vollzug solcher Verbote sei gegenüber einer „Plakettenregelung“ deutlich erschwert. Dies führe allerdings nicht zur Rechtswidrigkeit der Regelung, so das Bundesverwaltungsgericht in der Begründung seines Urteils, das weitreichende Folgen haben wird.