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09.03.18 / Auf dem Weg zur Zentralasiatischen Union / In Kasachstans Hauptstadt Astana treffen sich am 16. März erstmals die Staatsoberhäupter der postsowjetischen Staaten Mittelasiens

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-18 vom 09. März 2018

Auf dem Weg zur Zentralasiatischen Union
In Kasachstans Hauptstadt Astana treffen sich am 16. März erstmals die Staatsoberhäupter der postsowjetischen Staaten Mittelasiens
Thomas W. Wyrwoll

Anlässlich des traditionellen Nauryz-Festes, dem in der Region bis heute allgemein gefeierten Neujahr nach altiranischer Tradition, werden sich kommenden Freitag erstmals die Staatsoberhäupter der postsowjetischen Staaten Zentralasiens treffen. Auf der Agenda steht eine Zusammenführung des westturkestanischen Raumes.

Schon im vergangenen Jahr kam es zu zahlreichen gegenseitigen Besuchen zwischen den Staatsführern der Region, die den Anbruch einer neuen Zeit erkennen ließen. Die Initiative für das jetzige Treffen ging von den Präsidenten Kasachstans und Usbekistans, Nursultan Nasarbajew und Schawkat Mirsijojew, aus. Mirsijojew hatte als Nachfolger des verstorbenen Langzeitpräsidenten Islam Karimow im letzten Jahr weitgehend mit dessen Politik gebrochen und dabei nicht zuletzt das Verhältnis zu den Nachbarländern erheblich verbessert, sodass jetzt an eine Lösung der über viele Jahre aufgestauten Probleme herangegangen werden kann.

Bislang sprach der charismatische Usbekenführer öffentlich nur von einem Abkommen über ein einheitliches Energiesystem und den Bau von Eisenbahnen. Doch berühren genau diese beiden Punkte viele Zentralfragen im Verhältnis der beteiligten Staaten. Gerade in der Energiefrage hatte es bisher einen oft unversöhnlich ausgetragenen Konflikt zwischen den südlichen „Bergstaaten“, welche die in den Norden fließenden Flüsse mit Hilfe großer Stausysteme kontrollieren, und den nördlichen „Steppenstaaten“, in denen sich die Öl- und Gasquellen des Gebietes befinden, gegeben. Die Nordstaaten sind darauf angewiesen, im Sommer Wasser für ihre Felder zu erhalten, während die Südstaaten dieses im Winter ablassen, um dadurch Strom für ihren dann höheren Heizungs- und allgemeinen Elektrizitätsbedarf zu erhalten. 

Der auf der Hand liegende Ausgleich erwies sich dabei als erstaunlich schwierig zu verhandeln, was in der Region immer wieder 

– zuletzt nach dem Tod Karimows – zu Erwägungen führte, das Problem militärisch zu lösen. Dazu kam es zwar nicht, doch führte der Zwist zu einem Stillstand, der jede Entwicklung massiv hemmte. Hinzu kamen der traditionelle Gegensatz zwischen den beiden mächtigsten Staaten Turkestans, Kasachstan und Usbekistan, die sich lange um die Führung in der Region stritten, bis Usbekistan den Weg in die selbst gewählte Isolierung beschritt und Kasachstan das Feld überließ, sowie diverse Territorialkonflikte, die sich bis in jüngste Zeit immer wieder gewaltsam entluden.

Der durch all diese Faktoren blockierte Ausbau des Eisenbahnnetzes ist wiederum ein zentrales Hindernis für die chinesische Initiative der Neuen Seidenstraße, in deren Rahmen Verkehrswege zwischen dem Reich der Mitte und Europa auch durch Mittelasien errichtet werden sollen. China ist seit dem Zusammenbruch der Sowjet­union verstärkt in der Region aktiv, die es als sein historisches Hinterland betrachtet. Nun drängt die Volksrepublik ihre Nachbarn, für den Aufbau eines globalen Handelssystems ihre bisherigen Ani­mositäten zu beenden und gemeinsam mit ihr an einem Strang zu ziehen.

Zum für jede Veränderung fundamentalen Durchbruch im Verhältnis zwischen Kasachstan und Usbekistan kam es im September 2017 beim offiziellen Staatsbesuch Nasarbajews in Taschkent, genau ein Jahr sowie sechs Treffen und sieben offizielle Telefonate nach seinem ersten Arbeitsbesuch bei Mirsijojew. Dabei wurde nicht nur ein ganzer Stapel an Verträgen unterzeichnet, sondern auch Symbolpolitik höchster Ordnung betrieben. Gemeinsam besuchten beide Staatsführer das Kaldyrgatsch-Bij-Mausoleum, in dem der kasachische Nationalheld Töle Bij begraben liegt. Und Nasarbajew stellte eine usbekische Sprachfassung seiner Staatsdoktrin vor. 550 Jahre nach der kriegerischen Trennung beider Völker schienen ihre Gegensätze mit einem Mal emotional aufgehoben. Die Bedeutung der zuvor undenkbaren neuen Achse zwischen Astana und Taschkent fasste der Leiter des staatlichen kasachischen Rates für Außenpolitik, Jerlan Karin, in folgende Worte: „Mit der Stärkung der kasachisch-usbekischen Beziehungen besteht erstmals eine Chance für einen Neubeginn der regionalen Zusammenarbeit in Zentralasien.“

Bemerkenswert ist, wie deutlich sich selbst tadschikische Stimmen für den neuen Verbund aussprechen. Bisher hatte es bei ihnen die Sorge vor einem übermächtigen Einfluss der Turkstaaten gegeben, auf deren Gebiet die einstige iranischsprachige Bevölkerung unter die Kontrolle altaiischstämmiger Nomaden geraten und dann von diesen kulturell assimiliert worden war. Ihre Sorge war, dass den Tadschiken als den nach eigener Lesart letzten in ihrer Urheimat verbliebenen Iraniern ein ähnliches Schick­sal drohen würde. Die Regierung in Duschanbe ist deshalb bestrebt, diese Befürchtung zu zerstreuen, indem sie das eigene Volkstum fördert und die nationale Kultur gegen islamische Umformungen verteidigt. Sie tut dieses nicht ohne Erfolg; die Sorge der Tadschiken vor einer Auslöschung hält sich bisher in Grenzen.

Der tadschikische Politologe Ibrahim Usmanow macht für die positive Grundhaltung seiner Landsleute vor allem die Rolle Mirsijojews verantwortlich, der weit über Usbekistan hinaus und insbesondere unter den Tadschiken populär geworden sei. Der erheblich gestiegene Handel zwischen Usbeken und Tadschiken, die Wiederherstellung aufgelassener zwi­schen­staatlicher Verkehrs- und Bewässerungssysteme sowie der gemeinsame Bau eines gewaltigen Wasserkraftwerks am Rogun liefern dafür eine substanzielle Grundlage.

Sein Landsmann und Fachkollege Nurali Dawlat hält eine Vereinigung auch aufgrund des weltpolitischen Drucks für unausweichlich: Die USA seien an der Entstehung einer starken politischen Einheit in Mittelasien interessiert, die sich aus dem Sog Moskaus befreien könne, und China würde dies ebenfalls begrüßen, um so einen freien Zugriff auf Energieressourcen und Absatzmärkte zu erhalten.

Eine außenpolitische Absicherung suchten Mirsijojew und Nasarbajew durch demonstrative Treffen beim US-inspirierten Arabisch-Islamisch-Amerikanischen Gipfel in Riad und beim chinesisch geführten Neue-Seidenstraße-Forum in Peking – eine Begegnung beider Staatsführer in Mos­kau gab es hingegen nicht, wobei ein russisches Plazet denn auch weniger vonnöten scheint. Dem Kreml ist offenkundig an einem stabilen Staatswesen an seiner Südgrenze gelegen, das als Bollwerk gegen den radikalen Islam und sonstige Varianten des Hineindrängens fremder Mächte zu funktionieren vermag.

Vertreter der mittelasiatischen Staaten sprachen angesichts des bevorstehenden Gipfels schon jetzt von einem neuen Staatenbund, „ähnlich der Europäischen Union“. Wie auch immer die Begegnung in Astana im Detail verlaufen wird, ein Zusammengehen des turanischen Raumes liegt grundsätzlich im Interesse der dort lebenden Menschen, und der Gipfel von Astana darf daher bereits vorab als historischer Meilenstein bezeichnet werden.