26.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
09.03.18 / Dorn im Auge / Ein Vorbild und Feindbild: Frank Wedekind

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-18 vom 09. März 2018

Dorn im Auge
Ein Vorbild und Feindbild: Frank Wedekind
H. Tews

Kurz nachdem der Dramatiker Frank Wedekind am 9. März 1918 im Alter von 53 Jahren nach einer erfolglosen Blinddarmoperation gestorben war, erschien ein hymnischer Nachruf in den „Augsburger Neuesten Nachrichten“: „Bevor ich nicht gesehen habe, wie man ihn begräbt, kann ich seinen Tod nicht fassen. Er gehört mit Tolstoi und Strindberg zu den großen Erziehern des neuen Europa. Sein größtes Werk war seine Persönlichkeit.“

Der das schrieb, empfand sich als Geistesverwandter von Wedekind. Es war der damals erst 

20-jährige Bertolt Brecht, dessen Werk später ebenfalls durch dessen Persönlichkeit überhöht wurde. Tatsächlich war Wedekind ein Vorbild für eine neue Dramatikergeneration, die sich vom da­mals auf den Bühnen herrschenden Naturalismus absetzen wollte. Wedekind gelang dies durch provokante Stücke wie „Frühlings Erwachen“ über die Pubertätsnöten von Schülern oder seine beiden „Lulu“-Dramen „Erdgeist“ und „Die Büchse der Pandora“ über die sexuelle Doppelmoral im Wilhelminismus.

Für den Kaiser war der sittenlose Freigeist, der mit seinen sexuell freimütigen Werken ständig gegen die Zensur verstieß, ohnehin ein Dorn im Auge. Als der Autor in der Satirezeitschrift „Simplicissimus“ mit dem Gedicht „Im heiligen Land“ über die Palästinareise von Wilhelm II. im Jahr 1898 gelästert hatte, verbrachte er zur Strafe die Jahrhundertwende wegen Majestätsbeleidigung auf der Festung Königstein. Kaum entlassen schuf er mit „Der Marquis von Keith“ ein Drama über einen Hochstapler, der in der damals als dekadent empfundenen bürgerlichen Gesellschaft die Moral auf den Kopf stellt.

Diese Dramen machten den aus Hannover stammenden Wedekind, den sein aus den USA heimgewanderter Va­ter nach Benjamin Franklin be­nannt hatte und dessen Großvater mütterlicherseits der Streichholzerfinder Friedrich Kammerer war, zum populärsten Dramatiker der Vorkriegszeit. Der Komponist Alban Berg schuf aus Wedekinds Figur der Prostituierten Lulu seine bekannte, unvollendete Oper „Lulu“. Noch heute finden sich diese Dramen im Repertoire vieler Theater. Legendär wurde 1988 eine „Lulu“-Aufführung im Hamburger Schauspielhaus, als Regisseur Peter Zadek die Schauspielerin Susanne Lothar fast die ganze Zeit splitterfasernackt auf der Bühne agieren ließ (siehe PAZ vom 19. Juli 2014). Wedekind wird uns wohl noch lange beschäftigen.