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09.03.18 / Mehr Todesopfer als der Erste Weltkrieg / Vor 100 Jahren brach die Spanische Grippe aus – Die Zahl der an ihr Verstorbenen wird auf 25 bis 100 Millionen geschätzt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-18 vom 09. März 2018

Mehr Todesopfer als der Erste Weltkrieg
Vor 100 Jahren brach die Spanische Grippe aus – Die Zahl der an ihr Verstorbenen wird auf 25 bis 100 Millionen geschätzt
Volker Wittmann/PAZ

Zwischen 1918 und 1920 wütete die größte Seuche der Geschichte. Die Schätzungen der Opferzahl schwanken sehr, weil die Pandemie selbst entlegene Regionen wie die Samoainseln in der Südsee und den Norden Kanadas erreichte und viele der betroffenen Länder keine Statistiken dazu geführt haben. 

In den Städten kam das öffentliche Leben zum Erliegen. Schulen und Schauspielhäuser schlossen. Versammlungen wurden untersagt. Die Vereinigten Staaten von Amerika machten das Tragen von Gesichtsmasken zur Pflicht. Husten und Niesen im Freien bedrohten die US-Behörden mit Strafe. 80 Prozent der US-amerikanischen Verluste im Ersten Weltkrieg gingen auf die Pandemie zurück. Auf der anderen Seite der Front grassierte die Seuche ebenfalls. Dort hieß sie allerdings nicht „three-day fever“ (Drei-Tage-Fieber) wie bei den US-Amerikanern oder „flandrische Grippe“ wie bei den Briten oder „la grippe“ und „bronchite purulente“ (eitrige Bronchitis) wie bei den Franzosen, sondern „Blitzkatarrh“ und „Flandern-Fieber“. Im damals neutralen Spanien lautete die Bezeichnung „gripe“. Der Begriff „Spanische Grippe“ hat sich mittlerweile durchgesetzt. Dabei war das iberische Königreich gar nicht der Ausgangspunkt. Die Namensgebung rührt vermutlich daher, dass wegen der Neutralität des Landes die Zensur vergleichsweise liberal war und spanische Behörden als erste und einzige umfangreiche Berichte zur Epidemie veröffentlicht haben, während die kriegführenden Staaten zumindest über die Verluste unter ihren Kombattanten lieber schwiegen. Ein weiterer Grund mag sein, dass der damalige spanische König zu den berühmtesten Befallenen der Krankheit zählte.

Der Ausbruch war meist kurz und heftig. Fieberschübe kündigten das Unheil an. Schüttelfrost, starke Schmerzen an Kopf und Gliedern sowie Reizhusten folgten, oft begleitet von Blutungen der Nase oder der Lunge. Etliche Patienten starben binnen Stunden. Oft verfärbte sich die Haut bläulich bis schwarz, ein Zeichen von Mangel an Sauerstoff. Deshalb sprach man auf US-amerikanischer Seite auch vom „purple 

death“ (violetten, lilanen Tod). Wer überlebte, kränkelte mitunter lebenslang an den Folgen.

Ein derart akutes Krankheitsbild zählt bei heute bekannten Formen der Grippe zu den seltenen Ausnahmen. Besonders ungewöhnlich war die vermehrte Anfälligkeit von Personen zwischen 20 und 40 Jahren, also Menschen in den besten Jahren, wie man so schön sagt. In dieser Altersgruppe, die eigentlich für ihre Widerstandsfähigkeit bekannt ist, starben anteilig fast doppelt so viele Patienten wie bei denen über 60. Wilfried Witte von der Charité in Berlin formulierte es wie folgt: „Rätselhaft an der Spanischen Grippe ist bis heute, dass sie unverhältnismäßig viele junge und gut ernährte Menschen traf.“ Für gewöhnlich ereile die Krankheit vor allem ältere Leute und Kinder.

Eine weitere Auffälligkeit der Krankheit war, dass kein Seuchenherd zu ermitteln war. So zeigten europäische und amerikanische Zählungen für den November 1918 in Berlin, Paris, London und Neu York denselben Anstieg von Todesfällen, obwohl diese Städte bis zu Tausende von Kilometern auseinander liegen.

Drei Wellen im Frühjahr und im Herbst 1918 sowie im ersten Quartal des Jahres 1919 überrollten jeweils innerhalb weniger Wochen den Erdkreis bis in die fernsten Winkel. Dabei ließ der Stand der damaligen Verkehrstechnik eine derart rasche Ausbreitung nicht zu. Es gab noch keine Fluglinien. Bei einer Ansteckung von Mensch zu Mensch hätten die Übertragungen erheblich länger dauern müssen.

Es ist nicht einmal sicher, dass es eine Grippe war. Zunächst hielt man den Pfeifferschen Influenza-Bazillus für den Auslöser. Dann schoben Amerikaner dem Kriegsgegner Deutschland die Schuld am Massensterben in die Schuhe. US-amerikanische Medien verbreiteten das Gerücht, die Deutschen hätten verseuchte Lebensmittel in Umlauf gesetzt. 

Viren als Erreger der Influenza waren damals noch unbekannt. Erst die Erfindung des Elektronenmikroskops rund eineinhalb Jahrzehnte später durch den Heidelberger Elektroingenieur Ernst 

Ruska ermöglichte deren Entdeckung. Die Forschung brauchte jedoch noch bis 1950, bis die winzigen Erreger auf Gewebekulturen im Labor planmäßig untersucht werden konnten. Dabei entsannen sich die Mediziner des großen Einbruchs von 1918 und nahmen die Spur des rätselhaften Unheil­bringers wieder auf.

Unter dem Decknahmen „Unternehmen George“ ließen Ärzte mutmaßliche Opfer der Seuche ausgraben, die man seinerzeit im dauerhaft gefrorenen Boden im Umkreis der Arktis bestattet hatte. Dabei hofften sie, noch erhaltene Viren zu finden. Aber es ließen sich nur Bruchstücke dingfest machen. Aus Rekonstruktionen leitete die Medizin die Vermutung her, das Virus sei ein Abkömmling der Gruppe A/H1N1 gewesen.

Doch damit war wenig gewonnen, weil Viren sich oft und schnell verändern. Vor allem blieb die Frage offen, wie der Erreger fast gleichzeitig in allen Erdteilen auftreten konnte. Laut dem australischen Medizin-Nobelpreisträger Frank Macfarlane Burnet ist die Krankheit in den USA ausgebrochen und dann von GI in die Welt hinausgetragen worden. Eine etwas gewagtere These vertrat der 2001 verstorbene britische Astrophysiker Fred Hoyle. Ihm zufolge ist ein außerirdischer Keim die Ursache der Spanischen Grippe gewesen. Ein Komet hätte ihn aus der Tiefe des Weltraums eingeschleppt. Bei Raumkälte von Null Kelvin, sprich -273 Grad Celsius, seien Viren imstande, auf den wandernden Himmelskörpern unbegrenzt zu überdauern, so Hoyle. In der Nähe der Sonne taue die Strahlung äußere Schichten von Kometen auf und trage Teile der Oberfläche ab. Dadurch entstehe der berühmte Schweif, der mitunter zu beobachten ist. Bei ihrer jährlichen Bahn um die Sonne durchquere die Erde nun gelegentlich solche Wolken, die ein Komet hinterlassen habe und Krankheitserreger im Sternenstaub könnten dabei allseitig in die Lufthülle einsickern, während sich die Erde um sich selbst drehe.

Zur Untermauerung seiner Theorie verwies Hoyle auf vorangegangene Ausbrüche von Seuchen, die mit Sichtungen von Kometen zusammengefallen sein. Das erkläre auch, warum die geschweiften Vagabunden des Weltraums bei den Menschen seit je her im Ruch stünden, Künder von Unheil und Pest zu sein.