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09.03.18 / Die Tauben fliegen nicht mehr / Von Kegelbrüdern bis Petrijüngern – Deutschlands klassische Vereine sterben aus

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-18 vom 09. März 2018

Die Tauben fliegen nicht mehr
Von Kegelbrüdern bis Petrijüngern – Deutschlands klassische Vereine sterben aus
Dagmar Jestrzemski

Der Nachwuchs fehlt“ – den Satz hat wohl jeder in den letzten Jahren oft gehört. Betroffen sind nicht nur etliche Berufsgruppen, sondern auch zahllose Vereine. Und davon gibt es bekanntlich überaus viele in Deutschland. Rund 600000 sollen es sein – mit schwindender Tendenz. Betroffen sind nicht nur die Vertriebenenorganisationen sondern der gesamte Bereich des klassischen Vereinswesens. Ob Schützen-, Kegel-, Angel-, Segel- oder Wandervereine, Unterhaltungsclubs, Fanfarenzüge, Kirchenchöre und sogar Sportvereine, fast alle wissen ein Lied davon zu singen. Hört man auf die Stimmen der Verantwortlichen, so fällt der Anfang dieser Entwicklung sogar schon in die Zeit des beginnenden Wirtschaftswunders.  

Eine wenig schmeichelhafte Erklärung lieferte Wolfgang Nonne, Vorsitzender des Kaninchenzuchtvereins Ichtershausen (Ilmkreis), in der „Thüringer Allgemeinen“: „Die Jugendlichen werden vom Arbeitsaufwand abgeschreckt.“ Was das betrifft, so liegen die Brieftaubenhalter an der Spitze. Sie wundern sich daher nicht, dass ihr liebevoll gepflegtes Hobby schon in der zweiten oder dritten Generation schrumpft und sogar in ehemaligen Hochburgen bereits ausgestorben ist. Wenn überhaupt, wird die Brieftaubenzucht in der eigenen Familie „vererbt“. Denn möglichst zweimal am Tag, morgens und abends, sollen die Tauben zum Trainieren eine Stunde frei gelassen werden, während ihr „Herrchen“ – denn die Taubenzucht war und ist Männersache – gleichzeitig den Stall sauber macht. Außerdem ist die Taubenhaltung eine kostspielige Angelegenheit. Ernährt werden die „Rennpferde des kleinen Mannes“ wie Sportler mit eiweißreicher Kost. Das verschlingt erhebliche Summen. Junge Anfänger können das kaum finanzieren. In den Sommermonaten ist zudem jedes Wochenende der Taubenzüchter verplant. Nicht verwunderlich, dass sich junge Leute kaum dafür begeistern können. 

Hinsichtlich der klassischen Hobbys wie das Briefmarkensammeln, die Aquaristik oder die bei den Herren der Schöpfung höchst beliebte Modelleisenbahn, ergibt sich ein ähnliches Bild. Mit Briefmarken kommen Teenager von vornherein kaum noch in Kontakt, da sie ihre Post per Handy erledigen. Eher skurril finden Jungs das Vergnügen ihrer Väter oder Großväter, im Keller die Modelleisenbahn in Gang zu setzen und ihr beim Fahren im Kreis gespannt zuzuschauen. Zur Modelleisenbahn im Hamburger Museum „Miniaturwunderland“ pilgert die ganze Familie zwar mit großer Vorfreude, doch „Selbermachen“ ist nicht mehr. Fokussiert man weiter auf die verbreitete Sammelleidenschaft für altes Spielzeug und seltenes Porzellan, so ist zu konstatieren, dass dieses kostspielige Hobby weiterhin floriert, wenngleich hauptsächlich fortgeführt von Menschen der mittleren und der älteren Generation. Sie bilden das Publikum der Spielzeug- und Sammlerbörsen an den verschiedenen Veranstaltungsorten im Kreislauf des Jahres. Auf diesem Sektor sind es die Aussteller, welche vom Nachwuchsmangel betroffen sind. Der Handel lohnt kaum noch, da sowohl antike Silberwaren und Porzellan als auch die seltenen alten Puppen und Teddybären großen-teils massiv an Wert verloren haben. Aber das könne sich durchaus wieder ändern, hofft zumindest Ulla Meineke (77) aus Elmshorn nördlich von Hamburg. „Wir Händler sind miteinander alt geworden. Wir helfen uns gegenseitig, wo es nötig ist, zum Beispiel beim Aufbauen des Ausstellungstisches.“ Meineke handelt seit mehr als 30 Jahren mit antiken Puppen und Spielzeug, allerdings längst nur noch zum Zeitvertreib.

Einerseits ist das Phänomen in seiner Gesamtheit offenkundig der demografischen Entwicklung geschuldet, die sich besonders in den ländlichen Gemeinden so folgenschwer bemerkbar macht. Gleichzeitig, und das ist die Crux an der Sache, hat sich ein grundlegender gesellschaftlicher Wandel vollzogen. Schon in den 1950er und 60er Jahren galt es als ausgemacht, dass der damals bei den Vereinen einsetzende Mitgliederschwund auf das Fernsehen zurückzuführen sei. Immer mehr Menschen saßen abends nach getaner Arbeit lieber auf der heimischen Couch und starrten auf die Mattscheibe, anstatt im Klubzimmer Skat zu dreschen oder gemeinsam zu singen. Das eineinhalb Jahrhunderte blühende Vereinsleben begann zu veröden. Heute würde niemand bezweifeln wollen, dass das Internet mit seiner Parallelwelt junge und alte Nutzer ablenkt und dann auch oft davon abhält, sich in Bewegung zu setzen.

Das gilt erfreulicherweise aber nicht für alle Bereiche des Vereinsgeschehens. Dort, wo Einsatz gefragt ist, um anderen zu helfen, finden sich trotz TV und Internet in vielen Bereichen – eine Ausnahme ist leider die Freiwillige Feuerwehr – genug Menschen. Ungefähr die Hälfte des freiwilligen Engagements wird von Vereinen organisiert. Hilfsvereine widmen sich der Verteilung von Spenden, wobei in erster Linie die Tafeln zu nennen sind. Im Personalbereich sind diese bestens aufgestellt, da ein wesentlicher Teil ihrer Aufgaben verlässlich von vorwiegend älteren, ehrenamtlichen Mitarbeitern ausgeführt wird. 

Ältere Menschen bilden meist auch den harten Kern von Bürgerinitiativen und Vereinen, die sich dem Natur- und Umweltschutz verschrieben haben. Andere Vereine sind im Bildungsbereich entstanden, etwa als Träger von Kindergärten oder zur Förderung kultureller Einrichtungen. Über ihren Fortbestand brauchen sich die Verantwortlichen all dieser Vereine und Verbände im Allgemeinen keine Sorgen zu machen.