20.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
09.03.18 / Mit ostpreußischem Fußballkönnen / Das Königsberger Fußballstadion wird wohl Schalke 04 einweihen – Fussball-Historiker geraten schon vorab ins Schwärmen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-18 vom 09. März 2018

Mit ostpreußischem Fußballkönnen
Das Königsberger Fußballstadion wird wohl Schalke 04 einweihen – Fussball-Historiker geraten schon vorab ins Schwärmen
Wolfgang Freyberg

Eigentlich sollten die Bundesligaprofis von Schalke 04 unter Cheftrainer Domenico Tedesco am 22. März das neue WM-Stadion in Königsberg mit einem Spiel gegen den russischen Zweitligisten FK Baltika Kaliningrad eröffnen. Dank eisiger Temperaturen wurde das Treffen zunächst einmal abgesagt. Kenner der glorreichen Schalker Vereinsgeschichte werden es besonders bedauern, denn Schalke und Königsberg sind auf ungewöhnliche Weise miteinander verbunden: Seinen legendären sportlichen Ruhm verdankt der Verein Fußballern mit ostpreußischen Wurzeln.

Am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts kamen viele Einwanderer – vor allem aus den ländlichen Gegenden Ostpreußens – in das von der Industrie und vom Steinkohlebergbau geprägte Gebiet an der Ruhr und an der Emscher. In einer fremden Umgebung und in einer unbekannten, schweren und gefahrvollen Arbeitswelt suchten die Menschen nach einem Ausgleich in ihrer geringen Freizeit. Sie fanden ihn in vielen Zusammenschlüssen sowie weltlichen und christlichen Vereinsgründungen. Das von England kommende, den europäischen Kontinent erobernde und faszinierende Fußballspiel bot die Möglichkeit zu menschlichem Kontakt und Gemeinschaftserlebnis. Darum überraschen die vielen Gründungen von Fußballvereinen im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts nicht. Etliche Beispiele lassen sich in den Städten Gelsenkirchen und Buer nennen: Beckenhausen 05, Buer 07, Gelsenkirchen 07, Erle 08, Resse 08, Horst 08.

In der Nähe der Gelsenkirchener Steinkohlezeche Consolidation gründeten 14-jährige Lehrlinge und Jungbergleute am 4. Mai 1904 einen Fußballverein, den sie Westfalia Schalke nannten. Einen Klub gab es hier schon, einen bürgerlichen, der vom Spielverband anerkannt wurde. Westfalia Schalke hingegen war ein wilder Arbeiterverein, ein Straßengewächs. Einen eigenen Lederball konnten sie sich nicht leisten, sie spielten mit dem ausgemusterten Ball eines anderen Vereins. Sie kämpften mehr, als sie spielten. Für einen eigenen Platz war kein Geld da. Später verschaffte ein Gastwirt den Kickern ein Stück Land, das sie als Bolzplatz herrichteten.

Um endlich auch Mitglied des Verbands zu werden, schlossen sie sich dem örtlichen Turnverein an. Keine Zeitung nahm zunächst von ihnen Notiz. Vielleicht wäre es so geblieben, wenn die Schalker nicht viel schneller und perfekter als andere Mannschaften den schottischen Flachpass erlernt hätten.

Die Brüder Hans und Fred Ballmann, in England groß geworden, brachten diese Spieltechnik zu Beginn der 20er Jahre mit. Der Ball wurde nun nicht mehr weit und hoch gedroschen, sondern in flachen, kurzen Pässen zum besser postierten Mitspieler gegeben, hin und her, schnell, präzise, bis die gegnerische Abwehr durcheinander geriet. Als dieses System so ausgereift war, dass die Kreisligamannschaft aus Schalke sogar namhafte Konkurrenten schlug, hieß es „Schalker Kreisel“.

So reiften Mitte der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts diese jungen Männer von der Grenzstraße in Gelsenkirchen-Schalke zu einer vorzüglichen Fußballmannschaft heran. Diejenigen, die diese Leistung bewirkten und eine Anzahl begabter Fußballspieler um sich scharten, waren die noch heute legendären Größen Ernst Kuzorra und Fritz Szepan.

In der Ruhrgauliga, der damaligen höchsten Fußballspielklasse, setzte sich der FC Schalke 04 als Spitzenmannschaft allmählich durch und konnte mit den übrigen Meistermannschaften in Deutschland um die Deutsche Fußballmeisterschaft spielen. Aber 1927 verloren die Schalker im Vorrundenspiel gegen München 1860; auch 1928 war das Ende der Hoffnungen die Niederlage gegen den Hamburger SV in der Vorrunde. Doch 1929 und 1930 erreichte Schalke 04 bereits die Zwischenrunde. Im Jahre 1931 konnte der FC Schalke 04 sich nicht qualifizieren, da der Westdeutsche Spielverband die Schalker Spieler zu Berufsspielern erklärt und den Verein mit einer Spielsperre belegt hatte. Nach der Sperre jedoch knüpfte Schalke 04 an die alte Leistungsfähigkeit an und erreichte 1932 mit Eintracht Frankfurt die Vorschlussrunde; aber Schalke 04 verlor 2:1. Im Jahr 1933 schien ein Traum wahr zu werden: Gegen Fortuna Düsseldorf stand der FC Schalke 04 zum ersten Mal in seiner Vereinsgeschichte in einem Meisterschaftsendspiel. Doch gegen einen starken Gegner verlor Schalke 04 in Köln mit 3:0.

Schließlich aber gewann am 

24. Juni 1934 im Berliner Poststadion der FC Schalke 04 in einem Spiel, das heute noch wegen seines Verlaufs aufregend wirkt, gegen den 1. FC Nürnberg den ersten Titel. Die Nürnberger fühlten sich schon wie die Sieger, als Szepan in der 87. Minute noch ausgleichen und in der 90. Minute Kuzorra den Siegtreffer erzielen konnte, dabei jedoch mit einer Leistenverletzung zusammenbrach. Gelsenkirchen, eine Industriestadt, feierte ihre Helden! Die „Viktoria“, die Trophäe des deutschen Fußballmeisters, war zum ersten Mal im Ruhrgebiet.

In der Meister-elf fiel als Linksaußen ein wendiger Stürmer mit Namen Emil Rothardt auf. Auf dieser Position war er in all jenen Jahren Stammspieler. Auch im Vorrundenspiel des Jahres 1927 spielte er in der Schalker Mannschaft, dort allerdings noch mit seinem ursprünglichen Namen: Emil Czerwinski. Nicht wenige im Ruhrgebiet fühlten sich wie er getroffen, wenn sie wegen ihres Namens mit dem Schimpfwort „Polacke“ diskriminiert wurden. Wie viele dieser Menschen, die alle aus den deutschen Ostprovinzen stammten, nahm auch Emil Czerwinski einen deutschen Namen an – und das geschah lange vor der nationalsozialistischen Germanisierung. Aber in welcher seelischen Notlage müssen diejenigen gewesen sein, dass sie für die Integration in die deutsche Nation mit der Änderung ihres ursprünglichen Namens ein Stück Familientradition und familiengeschichtliche Zusammengehörigkeit aufgegeben haben?

Im Jahre 1936 traf Schalke dann  in den Gruppenspielen zur Meisterschaft auf den Ostpreußenmeister Hindenburg Allenstein. Am 

19. April 1936 besiegte Schalke vor 15000 Zuschauern in Königsberg – in Allenstein gab es kein hinreichend großes Stadion – die Allensteiner mit 4:1. Zum Rückspiel am 3. Mai mussten diese im Ruhrgebiet antreten. In Bochum vor 29000 Zuschauern wurden die Ostpreußen regelrecht überrollt. Das Schlussergebnis lautete 7:0 für Schalke.

Die glanzvolle Zeit von Schalke 04 waren die 30er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Von 1933 bis zum Jahr 1942 stand der FC Schalke 04 – bis auf das Jahr 1936 – Jahr für Jahr im Meisterschaftsendspiel; und sechs deutsche Meistertitel und die Trophäe der „Viktoria“ begeisterten die Industriestadt Gelsenkirchen. Vor allem der 9:0-Sieg gegen die als Wundermannschaft vor dem Endspiel hoch gelobte Mannschaft von Admira Wien im Jahr 1939 sprengte jede Vorstellungskraft der Fußballkenner und Anhänger. In den Kriegsjahren 1943 und 1944 spielte Schalke 04 zwar noch in den Vorrundenspielen um die Meisterschaft; doch das Kriegsgeschehen, besonders die Bombenangriffe auf das Ruhrgebiet, schienen die sportlichen Kräfte zu lähmen.

Wie viele Menschen und Vereine nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges baute auch der FC Schalke 04 in Trümmern und aus Trümmern wieder auf. Die alte sportliche Heimstätte, die Glückauf-Kampfbahn, konnte bereits 1946 wieder für den Spielbetrieb genutzt werden. Die alten Spieler, die den Krieg überlebt hatten, und junge Fußballer erreichten schon bald ein solches Spielniveau, dass Schalke 04 in der britischen Besatzungszone zu den führenden Mannschaften gezählt werden konnte.

In den folgenden Jahrzehnten erfuhr der FC Schalke 04 eine wechselvolle Entwicklung. Die größte Krise für den Verein war sicherlich das Skandalspiel im Jahre 1971 gegen Arminia Bielefeld, in dem etliche Schalker Spieler für Geld einen sportlichen und strafrechtlichen Betrug begangen haben.

Jedoch beglückten auch viele sportliche Höhepunkte den Verein und den großen Freundeskreis der Schalker. Der siebente Titel eines Deutschen Fußballmeisters im Jahre 1958 weckte alte Erinnerungen. Es folgten mehrere umjubelte Siege des DfB-Pokals. Unvergessen ist auch die Bundesligasaison 2000/ 2001 als sich die Schalker am letzten Spieltag gegen Unterhaching mit 5:3 durchsetzten und sich vier Minuten lang praktisch sicher im Besitz der Deutschen Meisterschaft glaubten. Erst mit einem Tor in der vierten Minute der Nachspielzeit gelang es Mitkonkurrent Bayern München im Spiel gegen den Hamburger HSV in der Tabelle vorbeizuziehen. Ein Trostpflaster: Die Medien kürten Schalke zum „Meister der Herzen“. 


Der Autor leitet das Kulturzentrum Ostpreußen, Schloßstraße 9, 91792 Ellingen, Telefon (0 91 41) 86440,  Internet: www.kulturzentrum-ostpreussen.de