19.04.2024

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09.03.18 / Posthum erschienene Erinnerungen eines Kriegs-Abiturienten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 10-18 vom 09. März 2018

Posthum erschienene Erinnerungen eines Kriegs-Abiturienten
W. Thüne

Walter Ritters Erinnerungen hätten vor gut 60 Jahren geschrieben und als Pflichtlektüre allen Abiturienten zur Verfügung gestellt werden müssen. Sie geben nüchtern das wieder, was im Prinzip allen Abiturienten des Jahrgangs 1939 widerfahren ist. Von 21 Abiturienten des Kant-Gymnasiums in Boppard sind sieben im Krieg gefallen. Der Autor wurde im Juli 1920 geboren und  nach dem Abitur am 1. April 1939 zum Reichsarbeitsdienst eingezogen. Bevor dieser zu Ende war, brach am 1. September der Krieg aus. Nahtlos wurde er am 1. Okto-ber zum Wehrdienst einberufen und zum Infanteristen ausgebildet. Als Gewehrschütze wurde er am 10. Mai 1940 an die Westfront verlegt. Bei der ersten Feuertaufe wurde seine Kompanie bis auf 

40 Mann fast aufgerieben. Er erlebte mit Glück gesund die Kapitulation Frankreichs, wurde zum Kradfahrer ausgebildet und der 15. Panzerdivision zugeteilt, die für den Einsatz in Afrika vorgesehen war. 

Anfang März 1941 ging es nach Tripolis und als Kradschütze direkt in den Wüstenkrieg. Die Engländer waren kampferprobt und zum ersten Mal musste Ritter, wollte er überleben, direkt auf Menschen schießen. Es ging nur um die Entscheidung „Du oder ich“! Insbesondere die hohen Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht machten zu schaffen. Die größte Gefahr waren die Fliegen, sodass im Sommer 1941 „fast alle an Amöbenruhr oder infektiöser Gelbsucht erkrankten“. Es war mit „Spitzentemperaturen von über 65 Grad so heiß, dass alle Kampfhandlungen eingestellt werden mussten“. Ende 1941 endete das Abenteuer „Afrikafeldzug“ ob der materiellen Übermacht der Angloamerikaner.

Von der Wüste ging es an die Ostfront, in Kälte, Eis und Schnee. Nach dem „Kessel von Stalingrad“ gab es kaum noch Panzerdivisionen, und als Leutnant und Kompanieführer hatte man „im Durchschnitt eine Lebenserwartung von höchsten drei Monaten“. Trotz mehrerer Verwundungen durch Granatsplitter überlebte der Autor in einem desolaten Zustand permanenter Rückwärtsverteidigung von Auffangstellung zu Auffangstellung. 

Eine Erlösung war dann am 9. Mai 1945 die Kapitulation der Wehrmacht mit dem Ende der Kampfhandlungen. Ritter hatte sich bis Regensburg durchschlagen können und geriet in amerikanische Gefangenschaft. Aufgrund einer „Vereinbarung“ wurde er an die Russen ausgeliefert. Nach unsäglichen Strapazen landete er schließlich im Arbeitslager „Rustawi“ nahe Tiflis. Neben permanenter Unterernährung waren es Läuse, Wanzen, Mücken, die Paratypus wie Malaria bescherten, die „mit Brotklumpen und konzentriertem Chinin“ bekämpft wurde. Mitte 1949 war es dann soweit. Der Heimtransport erfolgte über Charkow, Kiew, Brest, Frankfurt an der Oder und Bebra: Am 14. September 1949 erhielt Ritter vom französischen Kommandeur in Tuttlingen den „Entlassungsschein“. 

Schon Ende 1945 hatten NKWD-Offiziere damit begonnen, „einen nach dem anderen von uns zu vernehmen“. Ab 1948 wurde im Lager das SED-Zentralorgan „Neues Deutschland“ verteilt. „Ein- bis zweimal die Woche wurden wir Gefangenen einer ,Gehirnwäsche‘ unterzogen, wurde uns eingeredet, dass ,wir alle schuld an diesem Krieg seien‘“: Alle litten „nach und nach unter Schuldkomplexen“. Zehn Jahre zwischen 19 und 29 waren „verloren“! Im Februar 1950 gelang Ritter eine Einstellung beim Finanzamt Koblenz. Im September 1953 bestand er die Prüfung zum Steuerinspektor. Nach seiner Pensionierung schrieb er diesen autobiografischen Text „in erster Linie für meine Frau und für mich persönlich“. Daher verfügte er, dass er nicht vor seinem Tod veröffentlicht werden dürfe. 

1993 fertiggestellt, erfolgte 2017 die Veröffentlichung, allerdings nicht ohne Kommentare, die zeigen, dass auch die „Umerziehung“ im Westen und insbesondere der „Feldzug“ der neomarxistischen „68er-Bewegung“ gegen „unsere Väter“ nicht erfolglos geblieben ist. Kapitel für Kapitel wurden die „Verlorenen Jahre“ von sieben Autoren durchforstet, ob nicht der Autor als Schüler die „nationalsozialistische Ideologie“ vertreten habe, die „Schuldzuweisungen“ der Russen gerechtfertigt seien. Ohne Anhaltspunkt wird dem Autor unterstellt, dass er von den Konzentrationslagern und der Deportation von Juden gewusst haben müsste. Diese Gesinnungsschnüffelei ist ebenso „menschenunwürdig“ wie die fürchterlichen Zustände in den russischen Lagern.

Walter Ritter: „Verlorene Jahre (1939–1949). Mit dem Abitur ins Leben?“, Helios Verlag, Aachen 2017, broscheirt, 199 Seiten, 19,80 Euro