24.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
16.03.18 / Hübsch hässlich / Steingewordene Brutalität – Frankfurter Architekturmuseum stellt die schrägsten Betonsünden vor

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11-18 vom 16. März 2018

Hübsch hässlich
Steingewordene Brutalität – Frankfurter Architekturmuseum stellt die schrägsten Betonsünden vor
Lars Keiser

Hässlicher geht es kaum. Oder haben Betonmonster doch ihre schönen Seiten? Eine Ausstellung im Deutschen Architekturmuse­um Frankfurt beleuchtet eine um­strittene Architekturmode.

Man kennt sie aus dem Straßenbild: Die grauen Riesen einer klotzigen, überwiegend schäbig gealterten Betonarchitektur, die in den 1950er bis 1970er Jahren in den Städten aus dem Boden schossen, bevorzugt als Rathäuser, Parkhäuser, Ämter, Bibliotheken, Universitäten, Theater und als Kirchen im „konsumkritischen“ Bunkerstil, weniger häufig auch als Wohnhäuser. 

Dass diese Kolosse mit dem Charme von Getreidesilos den Bürgern mehrheitlich nicht gefielen, konnte weder ihre Entwerfer beeindrucken noch ihre Produktion bremsen. Zu verführerisch lockte eine neue „brutalistische“ Rhetorik mit ihrer Betonung des rohen Materials und der „exhibitionistischen Inszenierung“ un­verkleideter Konstruktionslösung, so der Architekturhistoriker Wolfgang Pehnt. 

Dabei gebärdete sich die neue Ehrlichkeit ebenso radikal sozial wie fortschrittlich, und sie distanzierte sich von einem als allzu diszipliniert und rational empfundenen internationalen Stil. Und das Publikum? Es resignierte und fand sich ab mit diesem vermeintlich alternativlosen Grobianis­mus ebenso wie mit der Tatsache, dass seine Sehnsucht nach Gefälligkeit und Geborgenheit als mangelnde Kennerschaft abgetan wurde. 

Stattdessen verbuchte man die ungeliebten Betonmonster in Buchtiteln galgenhumoristisch als „ArchiFlop“ (Alessandro Biamonti) oder als „Kunst der Bausünde“ (Turit Fröbe) und war nach einem halben Jahrhundert Leidenszeit entschlossen, diese intellektuelle Architektenarchitektur im unaufhaltsamen Fortgang der Baugeschichte und be­fördert vom schwächelnden Wunderwerkstoff Beton, sich selbsttätig erledigen zu lassen, als sich erneut Experten zu Wort meldeten und einen Notruf absetzen. 

„SOS Brutalismus – Rettet die Betonmonster!“, tönte ein Aufruf, der die bedrohte Art brutalistischer Architektur nun systematisch sichten, rehabilitieren und die „Betonperlen“ vor dem Abriss sichern will. In der gleichnamigen Ausstellung, die der Architekturkritiker Oliver Elser kuratierte, sind im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt nun die Ergebnisse dieser Recherche noch bis zum 2. April zu sehen.

Um es vorweg zu sagen, die Ausstellung ist sehenswert. Zwar spricht sie sicher nicht das letzte Wort. Doch verdient bereits die Fülle des Materials und die dafür geleistete Sisyphos-Arbeit der weltweiten Sichtung Respekt. Präsentiert wird der Betonbrutalismus im Museum durch große Wellpappe-Modelle, angefertigt von Studenten der TU Kaiserslautern. Sie werden ergänzt durch großformatige Schwarz-Weiß-Fotos der realen Gebäude. Dabei werden alle Entwürfe zwölf architektonischen Kulturgroßräumen zugeordnet, von Europa über Asien bis Afrika und Amerika. Atemberaubend skulptural – ob­gleich wenig typisch – präsentieren sich hier vor allem die Miniatur-Betonabgüsse früher ikonischer Bauten, die an expressionistische Plastik denken lassen. 

Vorausgegangen ist der Ausstellung 2012 ein internationales Symposium in Berlin, das vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) ausgerichtet wurde und das dem Brutalismus zunächst architekturtheoretisch zu Leibe rückte. Ein Verzeichnis mit den Symposiumsbeiträgen ist dem Ausstellungskatalog beigegeben. Wie schon das Symposium entstand auch die Ausstellung in Zusammenarbeit mit der Wüstenrot-Stiftung und beleuchtet ein brisantes Kapitel Baugeschichte, dessen Sichtung überfällig war, in der Annäherung jedoch überraschend wohlwollend ausfällt: Zum einen erscheinen die brutalistischen Bauten allzu fotogen in­szeniert, indem sie fotografiert wie grandiose Großplastiken oder Bühnenrequisiten erscheinen. Da­bei gerät die oft erbärmliche und menschenfeindliche Realität der durch Vergrauen und Zerbröseln entstellten Monumentalbauten aus dem Blick. 

Ebenso werden die unter dem Begriff Brutalismus versammelten disparaten Stilrichtungen in der Ausstellung über das Material Beton hinaus nicht überzeugend zusammengebunden. Auch ein chronologischer Überblick mit Querverweisen auf parallele ge­samtgesellschaftliche Entwick­lungen wäre hilfreich gewesen 

– Stichwort „Entnormativierung“ der 1960er/70er Jahre –, und hätte die Einordnung erleichert. Die Verschmelzung brutalistischer Bauweise, die schon bald zum Kostendämpfungsinstrument verkommt, mit einem lieblos in­terpretierten „Internationalen Stil“ wird nicht aufgegriffen.

Dabei förderte diese trostlose Stilmixtur die breite Ablehnung brutalistischer Architektur. Das gilt auch für die Nähe brutalistischer Bauweise zur Architektur von Atomkraftwerken, deren Bau ebenfalls in den 1960er Jahren begann und die dem rohen Beton von nun an die Ausstrahlung des Bedrohlichen und Menschenfeindlichen eingeschrieben hat. 

Geradezu irreführend ist der verwendete Begriff „Bunkermentalität“ (Adrian von Buttlar), da es sich durchgängig um eine gewählte und gewollte Ästhetik handelt, wie bei der Kirche Sainte-Bernadette du Banlay von Claude Pa­rent und Paul Virilio in Nevers, Frankreich, die sich darum entsprechender Kritik stellen sollte. 

Dass die anfangs noch geforderte neue Ethik des Bauens auch Ziegel, Glas und Holz zum ehrlichen Einsatz bringen wollte, jedoch früh einer Alleinherrschaft des hässlichsten aller Werkstoffe weicht, wird im Vorwort des Katalogs zwar kurz benannt, jedoch nicht weiter verfolgt. Ansätze in dieser Richtung finden sich möglicherweise im 500 Seiten starken Katalog, in der Ausstellung fehlen sie. Ungeachtet dieser Lücken ist die Frankfurter Ausstellung zu empfehlen, schärft sie doch unseren Blick für eine wirkmächtige Architekturmode, die uns Architektur als steingewordenen Fortschritts- und Machbarkeitsoptimismus vor Augen stellt und uns dabei bis heute hautnah angeht. 

„SOS Brutalismus – Rettet die Betonmonster!“ im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt am Main, Schaumainkai 43, bis 2. April. Geöffnet Dienstag sowie von Donnerstag bis Sonntag von 11 bis 18 Uhr, Mittwoch bis 20 Uhr. Eintritt: 9 Euro. Internet: www.dam-online.de