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16.03.18 / Ein letztes großes Aufbäumen an der Westfront / Vor 100 Jahren versuchten die Deutschen, mit einer kriegsentscheidenden Großoffensive die drohende Niederlage abzuwenden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11-18 vom 16. März 2018

Ein letztes großes Aufbäumen an der Westfront
Vor 100 Jahren versuchten die Deutschen, mit einer kriegsentscheidenden Großoffensive die drohende Niederlage abzuwenden
Heinz Magenheimer

Vor einem Jahrhundert hatte sich den Mittelmächten ein Zeitfenster geöffnet. Dieses kleine Zeitfenster versuchte die Oberste Heeresleitung zu einer den Ersten Weltkrieg entscheidenden Frühjahrsoffensive im Westen zu nutzen.

Das Zeitfenster hatte sich aufgetan durch den Durchbruch am Isonzo, das „Wunder von Karfreit“, das zu einem Debakel von zwei italienischen Armeen und einer großen Entlastung an der Südwestfront geführt hatte, sowie durch die russische Oktoberrevolution, welche die Hoffnung auf einen Friedensschluss mit Russland nährte. Es drohte sich zu schließen, wenn der neue Kriegsgegner USA sein immenses Potenzial in die Waagschale werfen konnte und man selber die Ernährung der eigenen Bevölkerung und den Ersatz für die eigenen Streitkräfte nicht mehr geregelt bekam, was beides absehbar war. Groß war das Zeitfenster für die kriegsentscheidende Großoffensive also nicht. 

Als Ansatzpunkt der Großoffensive wählte der Erste Generalquartiermeister, Erich Ludendorff, den schwachen Südflügel des britischen Frontabschnittes bei St. Quentin. Bei der Ausarbeitung des Operationsplanes kam es zu hartnäckigen Kontroversen. Waren die Franzosen oder Briten der Hauptgegner? Wie konnte man ihm eine vernichtende Niederlage bereiten? Sollte man mit einem einzigen Angriff die Entscheidung erzwingen oder ein System von „Teilschlägen“ anwenden? So bot sich ein Angriff in Flandern als erster Teilschlag an, dem der Angriff „Michael“ weiter südlich als „Fangstoß“ folgen mochte. 

Ludendorff fasste am 21. Januar 1918 den Entschluss, die Operation „Michael“ als Hauptangriff zu führen. Er wollte die Schwäche des Gegners bei St. Quentin nutzen, die Briten von den Franzosen trennen und dann die vier britischen Armeen auf die Kanalhäfen werfen. Er unterstellte aber die starke 18. Armee nicht der Heeresgruppe Kronprinz Rupprecht, die den Angriff führen sollte, sondern der Nachbar-Heeresgruppe, ein Nachteil. Er hielt außerdem Reserven für eine spätere Offensive in Flandern zurück. Der strategische Sündenfall war aber die Weigerung des österreichischen Kaisers Karl I., keine Truppen für die Schlacht abzustellen. Da er in geheimen Sondierungen mit Frankreich stand, wollte er keine Beteiligung, und Ludendorff fand sich schwer verärgert damit ab. 

Insgesamt wurden 77 Divisionen aufgeboten, wobei aber die Reserven der Obersten Heeresleitung äußerst knapp bemessen waren: ein weiterer Fehler, da nach gelungenem Durchbruch der Angriff genährt werden musste, um die gegnerischen Reserven zu schlagen. Die drei aufmarschierten Armeen waren in einer neuen Angriffstaktik ausgebildet, doch es fehlte an Zugpferden und tauglichen Lastkraftwaren, womit die Beweglichkeit arg eingeschränkt war.

Der am 21. März schwungvoll, mit Siegeszuversicht und einer neuen Taktik begonnene Angriff „Michael“ brachte zunächst erstaunliche Erfolge. Bereits am ersten Tag wurden 21000 Gefangene gemacht, und man drang in drei Tagen bis zu 25 Kilometer vor, besonders auf dem Südflügel, wo die britische 5. Armee zerbrach. Doch obwohl der Operationsplan vorsah, die britische Front in Richtung Nordwesten aufzurollen, setzte Ludendorff der 18. Armee auf dem Südflügel, wo sich Lücken beim Gegner auftaten, weitere Ziele. Damit brachte er zwar die französische Front in schwere Bedrängnis, schaffte es aber nicht, in die Tiefe durchzubrechen. Dennoch hielt Feldmarschall Douglas Haig, der britische Oberbefehlshaber an der Westfront, die Lage für so dramatisch, dass er den Rückzug auf die Kanalhäfen ankündigte und an Friedensschluss dachte. 

Auf dem Höhepunkt der Krise am 26. März einigten sich die Westmächte auf einen gemeinsamen Oberbefehl unter Marschall Ferdinand Foch. Die exzentrisch geführte deutsche Offensive brachte zwar einen Raumgewinn von bis zu 60 Kilometern, doch Nachschub und Artillerie kamen nur schleppend voran, es fehlte an Munition, und die Fliegerangriffe der Alliierten taten das Ihre. Ihre Reserven konnten die Front festigen. Als am 4. April der letzte verzweifelte Sturmlauf 15 Kilometer vor Amiens scheiterte, stand Ludendorff vor einer viel schwierigeren Lage als vor Angriffsbeginn.

Er beschloss, den Angriff an anderer Stelle zu erneuern, da ein Übergang zur Defensive nicht in Frage kam. Nun sollte das Unternehmen „Georgette“ den Sieg an der britischen Front in Flandern erzwingen. Dazu musste man hastig umgruppieren und bereits geschwächte Truppen für den Angriff freimachen, da es zu wenige frische Reserven gab. Das Unternehmen, das am 9. April begann, fügte zwar den Briten sehr schwere Verluste zu, doch französische Verstärkungen verhinderten den Durchbruch. Auch die Erstürmung des heiß umkämpften Kemmelberges bei Ypern brachte nur einen Achtungserfolg. 

Nun setzte Ludendorff auf einen Angriff gegen die Franzosen, obwohl bei vielen deutschen Truppenteilen die Kampfmoral bereits gesunken war. Er dachte, dadurch die Briten zu bewegen, Reserven aus Flandern abzuziehen, worauf dort der Schlussangriff stattfinden sollte. Die Offensive vom 27. Mai stieß aus dem Raum nordwestlich von Reims in Richtung Paris vor. Sie überraschte den Gegner, erreichte die Marne wie 1914, und man kam bis 60 Kilometer an die Vororte von Paris heran. Frankreich, England und Italien richteten einen dringenden Appell an US-Präsident Woodrow Wilson um Beschleunigung der Truppenhilfe. Der zeitweilige Beschuss von Paris durch deutsche Ferngeschütze verursachte zwar vorübergehend Panik, doch an der Front trat ein Gleichgewicht der Kräfte ein. Die Alliierten konnten ihre Verluste leichter ersetzen als die Deutschen.

Obwohl die Heeresleitung weitere Angriffe plante, wechselte die Initiative im Juli auf die Gegenseite. Erst in historischer Perspektive trat zutage, wie bedrohlich sich die Lage für die Alliierten gestaltet hatte und wie nahe die Deutschen dem Siege gewesen waren. Offenbar war es ein Fehler, nicht schon beim ersten Angriff im März alle Reserven, die man hätte freimachen können, aufzubieten. Die Ersatzlage, die sich laufend verschlechterte, drängte auf eine rasche Entscheidung, und jeder Zeitverzug nützte dem Gegner. 

Es wäre aber unangebracht, Ludendorff zum Alleinschuldigen an dem Misserfolg zu machen. Die Spannungen im Bündnis mit Österreich-Ungarn erwiesen sich als fatal, und seine wichtigsten Berater erwiesen sich als uneins in Anlage und Durchführung der Schlacht. Schließlich bleibt offen, ob ein Sieg über das britische Heer die Alliierten überhaupt friedensbereit gemacht hätte.