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16.03.18 / Bunte Kunst am Bau / Leben in einem »lebendigen Bilderbuch« – Lüftlmalerei in Oberbayern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11-18 vom 16. März 2018

Bunte Kunst am Bau
Leben in einem »lebendigen Bilderbuch« – Lüftlmalerei in Oberbayern
Silvia Friedrich

Als Johann Wolfgang von Goethe im September 1786 auf seiner ersten Reise nach Italien durch Bayern fuhr und in dem malerischen Ort Mittenwald zwischen Karwendel- und Wettersteingebirge Halt machte, schrieb er: „Es scheint, mein Schutzgeist sagt Amen zu meinem Credo, und ich danke ihm, der mich an einem so schönen Tage hierher geführt hat.“

Prächtige und ganz außergewöhnliche Bilder zieren die Hausfassaden in der kleinen bayerischen Ansiedlung, sodass man sich in einem „lebendigen Bilderbuch“ wähnt. Diese Bezeichnung wird dem großen Dichter ebenfalls zugeschrieben. Und wirklich, als Fremder muss man unweigerlich stehen bleiben und sich die Geschichten anschauen, die die Hauswände erzählen. 

In kaum einer anderen Region wie hier zwischen Mittenwald, Krün und Wallgau gibt es so viele Fresken aus dem 18. Jahrhundert zu sehen, obwohl bemalte Fassaden, sogenannte „Lüftlmalereien“, so manchen Ort in Oberbayern zieren. So zum Beispiel auch im Passionsspielort Oberammergau.

Wer an einem sonnigen Tag die kunstvollen Gemälde betrachtet, fühlt sich wie in einem Freilichtmuseum. Woher der Begriff „Lüftlmalerei“ stammt, ist unklar. Wer dabei an Malereien in großer Höhe denkt, liegt falsch. Eher ist anzunehmen, dass diese Kunst ihren Namen durch den Maler Franz Seraph Zwinck (1748–1792) bekam. Dieser schuf zwischen Mittenwald und Oberammergau beeindruckende Werke, und sein Haus und Hof in Oberammergau hatte den Hausnamen „Lüftl“. 

Hausnamen sind in Bayern  nichts Ungewöhnliches. Sie werden dem Namen des Besitzers vorangestellt und dienten früher den Menschen zur Unterscheidung ihrer Höfe. So könnte die Bezeichnung daraus entstanden sein, dass man sein Haus be­malt haben wollte „wie vom Lüftl“. 

Die Hausdekorationen zeugen von tiefer Frömmigkeit ihrer Besitzer, berichten aber auch vom Alltagsgeschehen, ihren Berufen oder Lebensvorstellungen. Diese Art der Volkskunst ist Freskomalerei. Auf den noch feuchten Kalkputz wurden die Malereien aufgetragen. Wenn das Wasser verduns­tete, verband sich der Kalk durch eine chemische Reaktion mit den Farbpigmenten. So wurde aus der Malerei eine haltbare, wasserunlösliche Schicht, die ihren Reiz über Jahrhunderte bewahrte.

Heute werden diese Malereien nur noch von wenigen Künstlern ausgeführt. Und wenn, dann als „al secco“, auf trockenem Putz. Die alte Technik „al fresco“, auf feuchtem Putz, forderte eine äußerst rasche Hand. Es wurde immer nur so viel Mörtelschicht aufgetragen, wie der Maler an einem Tage schaffen konnte. Bei der Seccotechnik können große Flächen bearbeitet werden, ohne die „Feuchtzeiten“ des Putzes stets zu beachten. Allerdings sind die Malereien auf trockenem Putz nicht so lange haltbar. 

Doch egal, welcher Technik man den Vorzug gibt, eine sichere Hand, einen ausgeprägten Sinn für Perspektive und Proportionen benötigt jeder Lüftlmaler. Es gibt keine Ausbildung zu diesem Be­ruf. Künstler, die sich an die Technik heranwagen, müssen es sich selbst aneignen. Diese Handwerkskunst hat ihren Ur­sprung in der italienischen Fassadenmalerei. Die Idee jedoch, Gebäude architektonisch mit Schmuckelementen herauszuputzen, ist be­reits in der Antike zu finden. 

Dass sich gerade in dieser Gegend die barocke Pracht an Hauswänden entfalten konnte, hat mit der Lage Mittenwalds an der Rottstraße zwischen Venedig und den Reichsstädten Augsburg und Nürnberg zu tun. Auf dieser Handelsstraße wurden Waren, aber auch kulturelle Dinge transportiert. Reiche Bürger wollten durch üppig bemalte Fassaden ihren Reichtum zur Schau stellen.

Nicht verwunderlich ist, dass prächtige Kunstwerke oft rund um Marktplätze an den Hauswänden sehr reicher Bürger zu finden sind. Im 19. Jahrhundert gab es eine Veränderung im Geschmack. Lüftlmalerei wurde uninteressant. Durch Abriss und Übermalung gingen viele Malereien verloren. Heutzutage sind in Mittenwald noch 22 historische Malereien erhalten, aber 100 neue kamen hinzu.