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16.03.18 / Chronik der Leipziger Ereignisse während der friedlichen Revolution von 1989

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 11-18 vom 16. März 2018

Chronik der Leipziger Ereignisse während der friedlichen Revolution von 1989
F.-W. Schlomann

Leipzig, Herbst 1989: Die Montagsdemonstrationen waren entscheidend auf dem Weg zur Wiedervereinigung Deutschlands. Die dabei gehaltenen Reden aber blieben zumeist als historische Quellen unbekannt. Erst das Buch „Wir haben nur die Straße“ hat diese authentischen Zeitzeugnisse zusammengefasst und damit ein wertvolles Abbild jener damaligen Monate geliefert. 

Unter dem Begriff „Dialog“ forderten bereits seit Mitte der 80er Jahre die DDR-Oppositionsgruppen eine Beteiligung an der Lösung der so vielen Probleme des Landes, was die SED indes verweigerte und den die Stasi als „politische Un­tergrundtätigkeit“ diffamierte. Seit dem 4. September 1989 fanden in Leipzig allwöchentlich Demonstrationen nach dem montäglichen Friedensgebet statt. Keine vier Wochen später beteiligten sich rund 20000 Menschen daran. Zu der Demonstration am 9. Oktober hatte das Regime „alle Vorbereitungen für eine gewaltsame und blutige Niederschlagung des Protestes getroffen“. Tage zuvor schrieb das dortige SED-Blatt, mit der „Waffe in der Hand“ gegen die „staatsfeindlichen Provokationen“ vorzugehen. 

Aus Sorge um den Ausgang des Abends verteilten die „Leipziger Sechs“ zirka 30000 Flugblätter, die „einen freien Mei­nungsaustausch über die Weiterführung des Sozialismus in unserem Land“ verlangten. Sie baten die Demonstranten: „Enthaltet Euch jeder Gewalt, unterbindet Provokationen“. Gleiches appellierten sie an die Einsatzkräfte und ermahnten die „Wir sind das Volk!“ Rufer. Bekanntlich demonstrierten an jenem 9. Okto-ber 70000 Leipziger (das DDR-Fernsehen berichtete darüber erst am 23. Oktober), erstmals wichen die bewaffneten Organe zurück. 

Es war der Anfang vom Ende.  Die Reden in diesen Tagen enthalten die Forderung nach freien Wahlen: „Schluss mit dem Obrigkeitsstaat, der die breiten Massen  des Volkes zu unmündigen Bittstellern degradiert“, das Wort vom  „Sozialismus“ taucht kaum noch auf. Besonders die Redner vom „Neuen Forum“ fordern, „die Verantwortlichen für ihr unverantwortliches Handeln zur Verantwortung zu ziehen“ und politische Häftlinge zu entlassen – ein wenig spät, könnte man kritisch anmerken. Nach einem Bericht des Vorsitzenden des Rates des Bezirks von Anfang November haben die Dialoge zu „keiner Beruhigung“ der Lage ge­führt, den Funktionären „schlägt eine Welle von Hass und Zorn entgegen“, viele von ihnen würden die Situation „nervlich nicht mehr durchhalten“. 

Während anfangs die Bewegung sich in Richtung „einer besseren DDR“ entwickelte, stand nach dem Fall der Berliner Mauer die nationale Frage im Vordergrund. Der bisherige Ruf „Wir sind das Volk!“ wechselt jetzt in „Wir sind ein Volk“. Neu ist die Parole „Deutschland, einig Vaterland!“. Indes wird die Frage der Einheit kontrovers 

diskutiert: Manche Redner warnen, sich dem Westen anzuvertrauen. Sie fürchten, die DDR würde „das Armenhaus Großdeutschlands werden“. An­dere wiederum drängen, die Hilfe der Bundesrepublik anzunehmen. Besonnenes Handeln fordert nunmehr auch die SED in der Hoffnung, ihre Macht retten zu können. 

Im Gegensatz zum Westteil Deutschlands durchschauen die DDR-Deutschen sehr schnell das neue Reisegesetz, das sie in ihren Kundgebungen weiterhin als „einen Akt der Gnade von Behörden“ werten. Geklagt wurde, „wir ziehen als Bettler in den Westen, das ist entwürdigend“. Ziel ist die Angleichung der Lebensqualität der Menschen in Ost und West. Dass Derartiges über Nacht nicht möglich war, übersah man zumeist. Eine Anfang Dezember 1989 auf einer Montagsdemonstration durchgeführte Meinungsumfrage ergab, drei Viertel der Befragten sind für eine Vereinigung Deutschlands, ein Viertel ist dagegen. 

Man spürt in den Reden die verschiedenen Ansichten der Gruppierungen mehr denn je. Am 19. Dezember hält Bundeskanzler Kohl vor den ihm zujubelnden Menschen in Dresden eine Rede, wonach sein Ziel „die Einheit unserer Nation“ bleibe. Weihnachten 1989 wissen auch die Leipziger, das neue Jahr bringt die Wiedervereinigung, ihr Mut am 9. 0ktober war nicht umsonst.