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23.03.18 / Putins wahre Konkurrenten / Die harschen Gegner des Kreml-Chefs verkennen das Trauma vieler Russen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 12-18 vom 23. März 2018

Putins wahre Konkurrenten
Die harschen Gegner des Kreml-Chefs verkennen das Trauma vieler Russen
Hans Heckel

Wäre die Alternative zu Putin wirklich ein westlich-liberales Russland? Ein näherer Blick lässt etwas ganz anderes befürchten.

Schon vor dem russischen Urnengang waren sich westliche Kommentatoren weitestgehend einig, dass die Wahl im flächenmäßig größten Land der Erde eine Farce sei: die Medien gleichgeschaltet, die Opposition entweder ein abgekarteter Witz oder, sofern ernstzunehmend, gar nicht erst zugelassen.

Vor allem beklagen westliche Stimmen die Benachteiligung der dem Westen zugeneigten Opposition in Russland. Hinter den Klagen schimmert die Erwartung durch, dass ein Russland ohne Putins Lenkung gleichsam automatisch ein für NATO und EU weitaus leichter zu handhabender Nachbar wäre. 

Doch einiges spricht dafür, dass dieser Erwartung ein tiefgreifendes Missverständnis zugrundeliegt. Selbst die äußerst Putin-kritischen deutschen Medien können nicht nur nicht ausblenden, wie stark der Rückhalt für den Präsidenten im russischen Volk verankert ist. Die Berichte decken auch auf, worin Putins Popularität wurzelt: in seiner Statur als starker, patriotischer Führer einer gedemütigten Großmacht.

Auf derselben Klaviatur versuchen sich auch Russlands Kommunisten und Rechtsextremisten, die beide auf die aggressiv nationalistische Karte setzen – dies nur eben weit weniger erfolgreich als Putin. Stünde ihnen der Charismatiker im Präsidentenamt jedoch nicht mehr im Wege, wäre die Machtergreifung einer faschistisch-kommunistischen Melange in Moskau nicht mehr auszuschließen – die Folgen für die Stabilität der Welt und insbesondere Europas wären kaum auszudenken. Viele, die den Mann im Kreml heute verteufeln, dürften sich in so einem Fall nach dem immerhin rational agierenden Putin zurücksehnen.

Für die große Masse der Russen ist die Aussicht auf eine westlich geprägte, liberale Politik und Gesellschaftsordnung schon lange keine Verheißung mehr. Was aus westlicher Perspektive als die große Zeit von Russlands freiheitlichem Aufbruch verklärt wird, war für die große Masse der Russen eine einzige Katastrophe: Nicht nur, dass der Status als Weltmacht verloren ging. Millionen Menschen büßten in den 90er Jahren durch Rubelkrisen ihre kompletten Lebensersparnisse ein, Renten wurden entwertet, Biografien zerstört, ganze Regionen in den Abgrund gerissen – und über allem thronte eine beispiellos korrupte „Elite“ westlich orientierter „Reformer“ der chaotischen Jelzin-Jahre.

Dieses Trauma wirkt fort. Der wiedergewählte Präsident weiß das nur zu gut und nutzt die Verletzungen jener Jahre geschickt für den Ausbau seiner Macht, indem er sich als Retter empfiehlt. Als Machtpolitiker dämmt er das Trauma damit aber auch gleichzeitig ein. Putin mag ein schwieriger Partner bleiben. Wer ihn aber allzu unversöhnlich angreift, sollte sich über mögliche Alternativen zu ihm im Klaren sein.