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23.03.18 / Meinungsfreiheit gegen Political Correctness / Ingo von Münchs Plädoyer gegen die Erosion grundgesetzlich garantierter Freiheitsrechte – Teil 3

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 12-18 vom 23. März 2018

Meinungsfreiheit gegen Political Correctness
Ingo von Münchs Plädoyer gegen die Erosion grundgesetzlich garantierter Freiheitsrechte – Teil 3
Ingo von Münch

Wenn es etwas gibt, das die Meinungs-, Presse- und Wissenschaftsfreiheit ernsthaft bedroht, dann ist es die sogenannte Political Correctness. Laut Duden handelt es sich dabei um die „von einer bestimmten Öffentlichkeit als richtig eingestufte Gesinnung, Haltung, die zum Ziel hat, alles zu vermeiden, was andere als diskriminierend empfinden könnten“. Diese Definition bagatellisiert jedoch, was sich aus diesem anfänglich noch nachvollziehbaren und vergleichsweise harmlosen Phänomen im Laufe weniger Jahre entwickelt hat: eine von selbsternannten Denk- und Sprachhütern ausgeübte Gesinnungsdiktatur, die alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens beherrscht und zur gnadenlosen Ächtung eines jeden führt, der sich ihr nicht unterwirft. Der Verfassungsrechtler und liberale Politiker Ingo von Münch plädiert in seinem neuesten Buch engagiert gegen diese Erosion grundgesetzlich garantierter Freiheitsrechte.

Von dem bekannten Soziologen Helmut Schelsky stammt folgende Feststellung: „Wer die Sprache beherrscht, beherrscht auch die Menschen.“ Deshalb überrascht es nicht, dass die Verfechter der Political Correctness darauf aus sind, sich der Sprache zu bemächtigen. Beispiele hierfür sind die Fälle, in denen ein Wort zum „Unwort des Jahres“ erklärt wird, so geschehen mit den Wörtern „Neiddebatte“, „alternativlos“, „Pleitegriechen“, „Sozialtourismus“. Zum Unwort des Jahres 2015 wählte die „Sprachkritische Aktion Unwort des Jahres“, eine private Jury, das Wort „Gutmensch“, „weil dieser Ausdruck in diffamierender Weise gebraucht wird“. Der frühere Intendant des Südwestfunks Baden-Baden, Peter Voss, hat jene Entscheidung zutreffend kritisch kommentiert. Voss spricht von einer Belehrung „in eher gouver­nantenhafter Manier“; offenkundig möchte die Jury „den Unterschied zwischen guten Menschen und Gutmenschen verwischen, nämlich zwischen denen, die tatsächlich Gutes tun, und jenen, die es predigen und anderen vorzuschreiben versuchen“.

In Hamburg führte ein früher verwendetes Plakat des Betreibers der S-Bahn mit dem Text „Schwarzfahren kostet 60 DM“ zu einer Anzeige wegen Diskriminierung, woraufhin das Plakat aus dem Verkehr gezogen wurde. Der Vorgang ist meines Erachtens deshalb ganz und gar unverständlich, weil beim Wort „Schwarzfahren“ vermutlich niemand primär oder überhaupt an Menschen mit dunkler Hautfarbe denkt, genauso wenig wie bei dem Wort „Schwarzmarkt“, zu dessen Zeiten nach dem Krieg Menschen mit dunkler Hautfarbe unter der deutschen Bevölkerung kaum vorhanden waren. Sprachreinigung kann ja wohl auch nicht schwarze Trauerkleidung wie überhaupt schwarze Kleidung („das kleine Schwarze“) beanstanden.

Der slowenische Denker Slavoy Zizek hat im Übrigen zu Recht vor „der politisch korrekten Besessenheit“ gewarnt, „Individuen vor jeder Erfahrung zu schützen, die sie irgendwie als verletzend empfinden könnten … Am Ende kann jeder für sich in Anspruch nehmen, sich durch alles Mögliche beleidigt oder verletzt zu fühlen … Der Versuch der politisch Korrekten, das Sprechen zu regulieren, ist in sich falsch, weil es die realen Probleme verschleiert, statt sie zu lösen.“ Nicht von Zizek, sondern vom Autor des Buches stammt die Frage: „Ist es – so gesehen – altmodisch oder vielleicht vernünftig, auf Gefühle von Anderen lieber mit den Fingerspitzen von Anstand, Höflichkeit, Sensibilität und Empathie zu reagieren als mit dem Hammer der Political Correctness?“

Über die Vorgaben der Political Correctness zum Gebrauch oder Nichtgebrauch von bestimmten Ausdrücken weit hinaus geht die Ausgrenzung von abweichenden Ansichten aus dem Prozess der Diskussion. Dazu hat der Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Donsbach festgestellt: „Wir haben in Deutschland die Kultur (meines Erachtens besser gesagt: die Unkultur) einer verschärften Political Correctness, die es ungeheuer schwierig macht, Themen, die nicht dem Mainstream entsprechen, ergebnisoffen und ohne gleich die Keule einer illegitimen und unmoralischen Haltung zu dis­kutieren.“ Birgit Kelle, bekannt durch ihre Kritik an dem von ihr genannten Genderwahn, schreibt: „Man muss ja nicht jede Meinung teilen, geschweige denn gutheißen. Aber man muss darüber reden dürfen.“ Schließlich hat selbst der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirchen Deutschlands, Bischof Heinrich Bedford-Strohm, aus christlicher Sicht geäußert, es müssten Ängste, dass wir die hohe Zahl ankommender Flüchtlinge irgendwann nicht mehr bewältigen können, angesprochen werden dürfen, „ohne, dass sie gleich als politisch unkorrekt oder als unchristlich etikettiert werden“. Zuletzt, nämlich kurz nach der Bundestagswahl, hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier „Respekt für den politischen Gegner und Andersmeinenden“ eingefordert.

Das Gegenteil von Respekt ist der Griff nach der Keule, mit deren Einsatz andere Meinungen nicht diskutiert, sondern niedergemacht werden. In meinem Buch sind die drei gröbsten Keulen dargestellt: Die Faschismuskeule, die Rassismuskeule und die Nazikeule. Alle diese drei Vorwürfe – oder darf man sagen: Verdächtigungen – haben unter der Herrschaft der Political Correctness Konjunktur. Zum angeblichen Faschismus genügt der Hinweis auf die Kritik an der Vorliebe für vegetarisches Essen als „Gemüsefaschismus“ und die Bezeichnung behaupteter faschistischer Tendenzen in Frankreich als „Camembert-Faschismus.“ Zur Rassismuskeule ein Beispiel nicht aus Frankreich, sondern aus Fürth in Franken: Die Leiterin der dortigen Volksbücherei hält eine Änderung dieser Bezeichnung für angebracht, weil der Begriff „Volk“ im Nationalsozialismus „rassisch belastet“ worden sei. Die gewichtigste Keule ist die Nazikeule. Ein Stück von dieser Keule steckt zwar schon in der Faschismuskeule und in der Rassismuskeule, aber mit der Nazikeule wird dann doch ein noch schweres Geschütz aufgefahren – die gelegentlich beigefügte Silbe „Neo-“ bedeutete nur eine geringe Abschwächung.

Wer die Nazikeule schwingt, sollte sich über zweierlei klarwerden: In einem funktionierenden demokratischen Rechtsstaat, wie es die Bundesrepublik Deutschland, die Schweiz und Österreich sind, um hier nur die deutschsprachigen Länder zu nennen, sind die Lebensverhältnisse so unendlich weit von denen zur Zeit der NS-Diktatur entfernt, dass sich jegliche auch nur ansatzweise Gleichsetzung von vornherein verbietet. Und weil alles das, auf was die Nazikeule heute niedersaust, mit den Verbrechen des NS-Regimes tatsächlich nicht gleichgesetzt werden kann, ist der Gebrauch der Nazikeule geeignet, die Verbrechen in der NS-Zeit zu relativieren – eine Konsequenz, die nicht im Sinne der Akteure sein kann.

Faschismuskeule, Rassismuskeule und Nazikeule dienen dazu, eine Debatte zu beenden oder gar nicht erst aufkommen zu lassen. Diese Gegebenheit führt zum Zustand der Debattenkultur bei uns und in anderen demokratischen Ländern. Eine Gruppe prominenter Autoren, unter ihnen Roman Herzog, Renate Schmidt, Petra Roth und Erwin Teufel, haben zwecks Revitalisierung der politischen Parteien einen „offenen Diskurs“ angemahnt: „Der braucht eine Debattenkultur, die Meinungspluralität ernst nimmt … Erfolgreichen neuen Konkurrenzparteien macht man die Wähler nicht dadurch streitig, dass man sie als populistisch und rassistisch ausgrenzt.“ Und: Die politischen Parteien sollten sich zu Themen positionieren, „die man jahrelang aus falsch verstandener politischer Korrektheit unter den Teppich gekehrt hat“. Was von diesen Autoren unter dem Aspekt der politischen Parteien gefordert wird, lässt sich auf die gesamte Gesellschaft übertragen. Eine offene pluralistische Gesellschaft lebt von einer offenen pluralistischen Debattenkultur, in welcher der „Mainstream“ Minderheitsmeinungen nicht diffamiert oder gar unterdrückt, sondern in der konträre Meinungen diskutiert werden.

Debattenkultur bedeutet Diskussion, bedeutet Zuhören, auch wenn dies beschwerlich ist. Hinderlich sind in diesem Zusammenhang sogenannte Meinungsghettos, in denen Gesinnungsgemeinschaften Vorurteile und Verdächtigungen gepflegt werden. Ungut ist demgemäß die Polarisierung der Gesellschaft in „wir“ (mit dem „richtigen“ Weltbild) und „die“ (mit dem falschen Weltbild). Unter diesem Aspekt war es wohl nicht förderlich, dass der damals noch amtierende Bundespräsident Joachim Gauck von einer „dunklen Seite“ und einer „hellen Seite“ unseres Landes gesprochen hat. Der einfache Bürger dieses Landes, der oder die nicht Bundespräsident ist, fragt sich: Gibt es nicht vielleicht auch Zwischentöne? Was ist mit halb dunkel oder halb hell?

Das Ergebnis der Wahl in den USA mit dem Sieg von Donald Trump wurde sowohl in den USA selbst als auch in einigen Ländern außerhalb der USA, beispielsweise in der Tschechischen Republik, als Sieg über die Political Correctness gefeiert oder zumindest so empfunden. Frauke Petry, damals noch prominentes Mitglied der AfD, bejubelte das Ergebnis der Präsidentenwahl mit der Bilanzierung: „Die Political Correctness ist am Ende.“ Und selbst der ruhige Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann, hat zwar nicht mit Bezugnahme auf die Wahl in den USA, aber vermutlich unter deren Eindruck auf dem Bundesparteitag der Grünen in Münster gemahnt: „Wir dürfen es mit der Political Correctness nicht übertreiben.“ Für den deutschen Betrachter erschreckend ist das Ausmaß des Hasses zwischen den politischen Lagern in den USA. Man kann nur hoffen, aber wohl auch darauf vertrauen, dass in Deutschland politisch motivierter Hass in Form einer Hass-Spirale ohne Ende nicht schließlich zu einer Spaltung der Gesellschaft führt, die für den demokratischen Rechtsstaat und für den Sozialstaat nicht unerhebliche Gefahren birgt.

Inflationär werden nicht nur, wie bereits erwähnt, Faschismus-, Rassismus- und Nazikeule verwendet, sondern auch die Worte „Hetzer“ und „Hetze“. Auch dieses Thema gehört zum Problemkreis der Debattenkultur. Beleidigungen, Beschimpfungen, Drohungen sind kein positiver Beitrag zur Debattenkultur, sondern das exakte Gegenteil. Dem ehemaligen Bundesinnenminister Thomas de Maizière ist zuzustimmen, wenn er sagt, die gesamte Gesellschaft sei gefordert, dieser zunehmenden Radikalisierung auch in Sprache und im Umgang entgegenzutreten. Die alte Sentenz „fortiter in re, suaviter in modo“ (= hart in der Sache, gemäßigt im Ausdruck) sollte auch heute noch die Grundregel jeder Debatte sein. Senioren können hier mit gutem Beispiel vorangehen, zumal sie wohl auch seltener als junge Menschen sich im Netz, also mit Twitter, Sims etc. bewegen.

Inflationär gebraucht wird auch der Begriff „Populist“. Im Jahre 1992 gab der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt der „Frankfurter Rundschau“ ein Interview, in dem er äußerte: „Aus Deutschland ein Einwanderungsland zu machen, ist absurd.“ Die Vorstellung einer multikulturellen Gesellschaft hielt der Alt-Bundeskanzler für „abwegig“ und Muslime für kaum integrierbar. War Schmidt (Spitzname: „Schmidt-Schnauze“) mit diesen Äußerungen ein „Populist“ – womöglich ein „Rechtspopulist“? Oder kann es sein, dass jene Schmidt’schen Meinungsäußerungen damals nicht „populistisch“ waren, während sie heute unter dieses Verdikt fallen würden? Hängt also die Disqualifizierung einer Meinung als „Populismus“ vielleicht von der Einordnung durch den Zeitgeist ab?

Aber was ist „Populismus“? Handelt es sich vielleicht nur um eine Worthülse? Renate Köcher, die Leiterin des Meinungsforschungsinstitutes Allensbach, meinte: „Immer wenn man etwas diskreditieren will, nennt man es populistisch.“ Michael Hanfeld stellt in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ ebenso ernüchternd wie zutreffend fest: „Und was populistisch heißt, weiß inzwischen ja auch niemand mehr.“ Immerhin bringt der uns allen so vertraute Duden eine knappe, aber nicht evident falsche Definition: Populismus ist danach eine „opportunistische Politik, die die Gunst der Massen zu gewinnen sucht“. Sprachgeschichtlich liegt die Wurzel des Wortes „Populismus“ im lateinischen „populus“ (= das Volk), womit das Verhältnis zwischen Demokratie und Populismus angesprochen ist. Der Freiburger Staatsrechtslehrer und derzeitige Präsident des Bundesverfassungsgerichts  Andreas Voßkuhle hat dieses Verhältnis in einem umfangreichen Beitrag unter der Überschrift „Demokratie und Populismus“ („Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom 23. November 2017) untersucht. Das Ergebnis ist im Untertitel dieses Beitrages wie folgt zusammengefasst: „Grenzüberschreitungen müssen konsequent sanktioniert werden. An einer argumentativen Auseinandersetzung führt kein Weg vorbei.“ Wie wahr, wie wahr!

Im Konzert der politischen Meinungen spielen die Medien die erste Geige. Aus dieser Rolle ergibt sich die Verantwortung der Medien für die Erfüllung ihres Informationsauftrages. Die Wahrnehmung dieses in einer offenen demokratischen Gesellschaft wichtigen Auftrages ist – um mit Fontane zu sprechen – ein weites Feld. Seit den Berichten über die sogenannte Flüchtlingskrise und seit der Silvesternacht in Köln ist die Kritik an den Medien gewachsen. Es gibt unberechtigte, weil überzogene Kritik (Vorwurf: „Lügenpresse“), es gibt aber auch nicht unberechtigte Kritik (Vorwurf: „Mainstream-Journalismus“). Ein offenkundiges Informationsdefizit – in diesem Fall der ARD-„Tagesschau“ – betraf Freiburg, nämlich die Vergewaltigung und Ermordung der Medizinstudentin Maria L. Das Verbrechen erfuhr in der Stadt als auch bundesweit starkes Interesse. Angesichts des bundesweiten Interesses an dem Mordfall war es umso erstaunlicher, dass die ARD-„Tageschau“ keinen Anlass sah, über die Verhaftung des Täters am 3. Oktober 2016 zu informieren. Nach vermehrten kritischen Fragen zu diesem erstaunlichen Schweigen erklärte der Chefredakteur der für die „Tagesschau“ zuständigen Redaktion „ARD aktuell“: „Die ‚Tagesschau‘ berichtet über gesellschaftlich, national und international relevante Ereignisse. Da zählt ein Mordfall nicht dazu.“

Richtig ist, dass nicht jeder Mordfall „gesellschaftlich, national und international relevant“ ist. Ebenso richtig ist aber auch, dass der Freiburger Mordfall, wie die anschließenden bundesweiten Reaktionen zeigen, durchaus „relevant“ war. Darf man von dem für eine der relevantesten Nachrichtensendungen des öffentlich-rechtlichen Fernsehens Verantwortlichen bei der Auswahl der Informationen vielleicht etwas mehr journalistisches Fingerspitzengefühl erwarten?  Die Gefühle eines Rezipienten brachte ein Leserbrief zum Ausdruck: „Ich frage mich ratlos: Für den Chefredakteur der ‚Tagesschau‘ war der Mordfall in Freiburg keine ‚relevante‘ Nachricht? Weil sie im Kontext mit jungen männlichen Migranten steht? Dieses Verhalten gibt dem Kampfbegriff ‚Lückenpresse‘ leider frische Nahrung.“

Ende


Ingo von Münch: „Meinungsfreiheit gegen Political Correctness“, Duncker & Humblot, Berlin 2017, 165 Seiten, 19,90 Euro