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23.03.18 / »Tote Helden sind besser als lebendige« / Die Ex-Pilotin Nadija Sawtschenko spricht über Gefangenschaft, Heldentum und Politik in der Ukraine

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 12-18 vom 23. März 2018

»Tote Helden sind besser als lebendige«
Die Ex-Pilotin Nadija Sawtschenko spricht über Gefangenschaft, Heldentum und Politik in der Ukraine

Nadja Sawtschenko, ehemalige Kampfpilotin und Kriegsgefangene Moskaus sowie ukrainische Parlamentsabgeordnete, fällt vor allem durch Eigensinn auf. Nachdem sie sich heimlich mit Vertretern der abtrünnigen Ostukraine getroffen hatte, trat die einstige Spitzenkandidatin der Partei „Vaterland“ von Julia Timoschenko aus der Partei aus. Von ihren Kritikern wurde sie daraufhin als Vaterlandsverräterin verschrien, von ihren Unterstützern wird sie weiter als Heldin verehrt, die Ex-Pilotin steht heute zwischen den Fronten. Zur Vorstellung ihres neuen Buches über ihre Gefangenschaft „Starker Name Nadija“ kam die 36-jährige ukrainische Parlamentsabgeordnete und Präsidentschaftskandidatin Anfang März nach Luxemburg, wo Bodo Bost sie für die PAZ interviewte.

PAZ: Seit Ihrem Geheimtreffen mit den ostukrainischen Separatistenführern in der weißrussischen Hauptstadt Minsk gelten Sie als Verräterin. Welchen Eindruck hatten Sie von den Separatistenführern?

Nadja Sawtschenko: Ich habe Menschen getroffen, keine Teufel. Menschen, die, wie viele in der Ukraine, vom Krieg völlig erschöpft sind. Sie geben zu, dass sie sich in Russland getäuscht haben, auf das sie sich verlassen haben. Wir haben uns getroffen, obwohl wir wussten, dass wir aufeinander geschossen hatten und dies morgen wieder tun würden. Ich habe Gegner getroffen, vor denen ich Achtung und Respekt habe. Mein Alleigang hatte sich gelohnt, weil wir dadurch exakte Namenslisten der ukrainischen Gefangenen erhalten haben.

PAZ: Sie wurden zuerst als Heldin gefeiert, später von denselben Menschen als Vaterlandsverräterin verschrien. War das nicht schmerzhaft?

Sawtschenko: Die ukrainische Spitze würde mich lieber tot sehen, denn es ist einfacher, tote Helden zu ehren. Bis jetzt habe ich alles überlebt, und ich werde auch weiterhin unbequem bleiben. Sie wollen mich jetzt zum Antihelden aufbauen. Davor habe ich keine Angst. Damit hatte ich gewissermaßen gerechnet.

PAZ: Welche Rolle spielt Russland in diesem Konflikt?

Sawtschenko: Russland führt gegen unser Land Krieg und möchte die Grenzen in Europa verändern. Mit dem Eingreifen in Syrien möchte Russland von der humanitären Katastrophe in der Ostukraine ablenken. Zwei Kriege sind jedoch auch für Russland zu viel. Allein schon wegen der Gefangenen auf beiden Seiten müssen wir den Dialog fortsetzen. Deswegen hat auch die Ukraine nicht die diplomatischen Beziehungen zu Moskau abgebrochen. 

PAZ: Welche Botschaft haben Sie für Wladimir Putin?

Sawtschenko: Lass alle ukrainischen Gefangenen aus den russischen Gefängnissen frei! Verlasse ukrainischen Boden! Du kannst, und wirst diesen Krieg nicht gewinnen! Während du Krieg mit der Ukraine führst, schwächst du Russland.

PAZ: Sie saßen selbst 709 Tage in russischer Haft. Wie haben Sie diese Zeit erlebt? 

Sawtschenko: Ich wurde zunächst von den Separatisten gefangen genommen und von diesen völkerrechtswidrig an Russland ausgeliefert. Das Schlimmste in einer Gefangenschaft ist die Ungewissheit und die Willkür. Man weiß nicht, was in der nächsten Minute passieren kann. Jeder Moment könnte dein letzter sein. Ich war vor allem beunruhigt, dass der Feind meinen Willen brechen könnte.

PAZ: Sie wurden von den Russen und Separatisten zu Propagandazwecken missbraucht. Dabei wurde Ihnen der Mord an zwei russischen Journalisten vorgeworfen. 

Sawtschenko: Ich konnte mir nicht vorstellen, dass der Kreml mich zu Propagandazwecken missbrauchen würde. Ich habe nicht auf russische Journalisten geschossen. Ich habe nur auf russische Soldaten geschossen, die vorher auf mich und andere Ukrainer geschossen hatten.

PAZ: Wie kommt man als Tochter eines Landtechnikers dazu, Kampfpilotin zu werden?

Sawtschenko: Meine Eltern wurden im Zweiten Weltkrieg in Kiew geboren. Seit meiner Kindheit haben sie meiner Schwester und mir von den schrecklichen Erlebnissen dieser Zeit erzählt. Für mich war schnell klar, dass der Wunsch, sein eigenes Vaterland zu verteidigen, mehr als nur ein Beruf ist. Außerdem liebe ich die Höhe und die Geschwindigkeit. Als Kampfpilotin konnte ich all dies verwirklichen.

PAZ: Sie gelten in vielen Hinsichten als Vorreiterin in der Armee. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Zeit?

Sawtschenko: Es war eine gute Schule, auch wenn ich mich gegen viele Vorurteile durchsetzen musste. Natürlich war es schwieriger für mich, weil ich eine Frau bin. In der post-sowjetischen Armee der Ukraine gab es keine Gleichberechtigung, und ich musste ständig für meine Rechte kämpfen. Jetzt versuche ich, als Abgeordnete gegen diese Ungerechtigkeiten vorzugehen. Aber es gilt: Wer die Armee schafft, kann alle Schwierigkeiten im Leben überwinden.

PAZ: Wie sind Sie in den Krieg und an die Front gekommen? 

Sawtschenko: Ich war mit vielen anderen freiwillig an der Front, weil die Menschen, die damals und heute in der Ukraine politische und militärische Macht haben, gar keine Befehle gaben, das Vaterland zu verteidigen. Sie alle waren und sind zu sehr damit beschäftigt, Posten und Pfründe zu verteilen. Deshalb wollte auch niemand die politische Verantwortung für das übernehmen, was gerade im Land geschah. Sehr viele Menschen haben ihr Leben oder ihre Freiheit verloren. Leider sind viele davon immer noch nicht frei. Man geht bislang von 10000 Toten aus. 

PAZ: Noch während ihrer Gefangenschaft wurden sie ins ukrainische Parlament gewählt. 

Sawtschenko: Ich habe nie daran gedacht, mich je mit Politik zu beschäftigen, aber das Volk hat mich gewählt und ich muss Verantwortung übernehmen. Die Wahl des Volkes habe ich als Verpflichtung fürs Vaterland empfunden. Parlament wie Regierung in der Ukraine haben weder für die Krim noch für die Ostukraine einen Plan. Wir haben es mit zwei Feinden zu tun: dem äußeren, das ist Russland, und dem inneren, der Korruption. Und ich habe nicht nur den äußeren, sondern auch den inneren Feind im Auge.

PAZ: Die Korruption wollte auch Michail Saakaschwili als Gouverneur von Odessa bekämpfen. Warum ist er gescheitert?

Sawtschenko: Die Korruption in der Ukraine muss von Ukrainern selbst bekämpft werden. Wir brauchen hierzu weder gute Ratschläge noch gute Männer, weder aus Georgien, noch aus der EU oder den USA. 

PAZ: Welche Rolle spielen die Oligarchen in der Ukraine?

Sawtschenko: Die Oligarchen sind die Hauptverantwortlichen für die Korruption in der Ukraine, weil sie durch Korruption einen großen Teil ihres Vermögens erworben haben. Allerdings gibt es Oligarchen, die mit ihrem Vermögen auch soziale und patriotische Projekte unterstützen, die den Armen zugutekommen. Während die Bevölkerung durch den Krieg oft sehr viel verloren hat, steigen die Vermögen der Oligarchen immer noch. Auch Präsident Poroschenko und sein Widersacher Kolomojskij gehören zu den reichsten Männern der Ukraine. 

PAZ: Ihnen wurde noch während der Haft der Titel „Heldin der Ukraine“ verliehen. Wie haben Sie diese Auszeichnung aufgenommen?

Sawtschenko: Über die Verleihung des Titels haben mich seinerzeit meine Anwälte informiert. Allerdings kann ich nicht behaupten, dass es mich gefreut oder dass ich mich dadurch irgendwie wichtig gefühlt hätte. Mehr beeindruckt war ich von den Tausenden Briefen, in denen mir einfache Menschen „Nadija, du bist Held der Ukraine!“ schrieben, die machten mir Mut! Mir hat diese Unterstützung der Menschen aus aller Welt die nötigen Kräfte gegeben, weiterzukämpfen. 

PAZ: Warum haben Sie Ihr neues Buch „Starker Name Nadija“ genannt? Welche Botschaft haben Sie an Ihre Leser?

Sawtschenko: Entstanden ist das Buch während meines 70-tägigen Hungerstreiks. Das Schreiben half mir, diese schwierigste Phase meines Lebens zu bewältigen. Ich wusste auch nicht, ob ich überleben werde. Darum ist dieses Buch ein authentisches Bekenntnis. Es zeigt mich so, wie ich bin, und nicht als das, was die russische, aber auch die ukrainische Propaganda aus mir machen will.