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23.03.18 / Als »ein Knopf« aufging / Mehr als nur die Geliebte eines berühmten Malers – Gabriele Münter konnte selber richtig gut malen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 12-18 vom 23. März 2018

Als »ein Knopf« aufging
Mehr als nur die Geliebte eines berühmten Malers – Gabriele Münter konnte selber richtig gut malen
Veit-Mario Thiede

Gabriele Münter stand als Malerin und Muse im Mittelpunkt der Künstlervereinigung „Der blaue Reiter“. Ihr sind in München und Murnau Ausstellungen gewidmet.

Was wäre das Münchener Lenbachhaus ohne Gabriele Münter? Eine Städtische Galerie wie viele andere auch. Dank Münters Bilderschenkung aber ist es ein Mu­seum von Weltrang. Nun ehrt das Lenbachhaus die Malerin, die Mitglied des als „Blauer Reiter“ verehrten Künstlerkreises war, mit einer großen Schau. Sie um­fasst 132 Gemälde aus 50 Schaffensjahren sowie Fotografien, die Münter 1898 bis 1900 auf ihrer Reise durch die Vereinigten Staaten aufnahm.

Die 1877 in Berlin geborene, 1962 in Murnau gestorbene Münter war bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs die Lebensgefährtin Wassily Kandinskys. Er und Franz Marc initiierten als „Redaktion des Blauen Reiter“ 1911 und 1912 einen berühmten Almanach und zwei legendäre Ausstellungen. Münters Eigentum waren viele von Kandinsky bis 1914 geschaffene Bilder. Diese einzigartige Sammlung und auch von ihr selbst gemalte Bilder schenkte sie 1957 dem Lenbachhaus. Unter dessen Dach richtete sich zudem die von Münter und ihrem zweiten Lebenspartner Jo­hannes Eichner begründete Stiftung ein. Sie betreut Münters künstlerischen und schriftlichen Nachlass, ihr als Künstlergedenkstätte inszeniertes Haus in Murnau sowie die von ihr und Kandinsky gesammelte Volkskunst.

Trotz reichlich vorhandener Werke ist von Gabriele Münter normalerweise im Lenbachhaus wenig zu sehen. Eine Auswahl ihrer Bilder gehört zu der dem Blauen Reiter gewidmeten Dauerausstellung. Der Rest schlummert üblicherweise im Depot. Kein Wunder also, dass sich die Son­derschau rühmen kann, noch nie oder seit Jahrzehnten nicht mehr gezeigte Werke Münters auszustellen. Bedeutende internationale Leihgaben ergänzen die dem Lenbachhaus und der Stiftung gehörenden Bilder.

Die Ausstellung präsentiert Münters Gemälde in thematischer Ordnung. Es gibt in den 30er Jahren geschaffene Szenen aus der Arbeitswelt und ungegenständliche Gemälde der 50er Jahre. Zur Porträtauswahl gehört das „Bildnis Marianne von Werefkin“ (1909). Breiten Raum nimmt die Landschaftsmalerei ein. 

Ihr künstlerisches Erweckungserlebnis hatte Münter 1908 in Murnau, wo sie gemeinsam mit Kandinsky, Werefkin und deren Lebensgefährten Alexej von Jawlensky malte. Sie logierten im Gasthof Griesbräu. Davon zeugt das Gemälde „Ansicht vom Griesbräu-Fenster“. Es bietet formvereinfachte Häuser in bunten Farben sowie einen Ausblick auf die zu grünen und blauen Flächen abstrahierte Voralpenlandschaft. Das Bild erweist sich als Durchbruch zu Münters charakteristischer Malerei: „Da schien es plötzlich – ich stand im Griesbräu am Fenster u. war deprimiert – als wenn ,ein Knopf aufginge‘ zu ei­ner Befreiung. Von da an ging ich auf Landschaft, die Augen waren aufgegangen – ich sah u. malte.“

Ein besonderes Vergnügen bereiten dem Besucher zwei Spezialgattungen Münters. Einzigartig sind ihre „religiösen“ Stillleben, für die sie Hinterglasbilder mit Heiligendarstellungen und fromme Schnitzfiguren aus ihrer Volkskunstsammlung zu Arrangements mit mysteriöser Aura zu­sammenstellte. Ihre zweite Spezialität sind „Genreporträts“ im Freien oder in häuslicher Umgebung. Beim Betrachten des Gemäldes „Kahnfahrt“ (1910) hat man den Eindruck, gleichsam mit im Boot zu sitzen. Und zwar direkt hinter der rudernden Gabriele Münter. Ihr gegenüber wenden uns Marianne von Werefkin und Jawlenskys kleiner Sohn Andreas die Gesichter zu. Die alles beherrschende Erscheinung aber ist der hoch aufgerichtet im Kahn stehende Kandinsky.

Humor beweist Münter mit dem Gemälde „Zuhören (Bildnis Jawlensky)“ (1909). Er sitzt unter einer Lampe am Tisch, beugt sich zur Seite und scheint mit offenem Mund, aufgerissenen Augen und hochgezogenen Brauen ungläubig den Worten eines unsichtbaren Sprechers zu lauschen. Münter kommentierte, sie habe in dem Gemälde dargestellt, wie Jawlensky die neuesten Kunsttheorien Kandinskys aufnahm. 

Erheiternd wirkt schließlich der Anblick von Münters Lebensgefährten in dem in zwei Versionen ausgestellten Ölbild „Kandinsky und Erma Bossi“ (um 1910). Der russische Künstler sitzt nämlich in bayerischer Tracht mit blauer Jacke, Kniehose und Wadlstutzen in der holzvertäfelten Essecke des Münter-Hauses am Tisch. Er wendet sich der Malerin Bossi zu, die ihm Kopf und Oberkörper entgegenreckt. Sie befinden sich laut Kandinsky „beim transcendenten Gespräch“.

Die mit Stücken aus der Volkskunstsammlung und Reproduktionen von Hinterglasbildern Kandinskys geschmückte Essecke existiert noch heute in dem 1909 von Gabriele Münter in Murnau erworbenen Haus. Denn es weist auf Wunsch der Künstlerin wieder das Erscheinungsbild auf, das es zur Zeit ihres Zusammenlebens mit Kandinsky hatte. In den Räumen hängen Gemälde Münters und stehen von ihr oder Kandinsky bemalte Möbel. 

Künstlerische Freiheit offenbart Münters Gemälde „Interieur in Murnau“ (um 1910). Es zeigt ihr Zimmer mit grün gestrichenen Wänden. Tatsächlich aber waren und sind sie blau. Auf dem Gemälde sieht man links in den Nebenraum, wo Kandinsky auf seinem Bett liegt. Heute vertreten ihn dort Frack und Zylinder. Im ehemaligen Musikzimmer läuft als Außenposten der großen Münchener Ausstellung eine kleine Sonderschau. Sie erweist die bedeutende Rolle, die die Volkskunst, Kinderbilder und gelegentlich auch außereuropäische Kulturen als Anregungen für das Schaffen Gabriele Münters spielten.

Bis 8. April im Kunstbau der Städtischen Galerie im Lenbachhaus, Zwischengeschoss der U-Bahnstation Königsplatz, München. Geöffnet Dienstag 10 bis 20 Uhr, Mittwoch bis Sonntag 10 bis 18 Uhr. Eintritt: 12 Euro. Internet:  www.lenbachhaus.de. Münter-Haus, Kottmüllerallee 6, Murnau. Geöffnet Dienstag bis Sonntag 14 bis 17 Uhr. Eintritt: 3 Euro. Internet: www.muenter-stiftung. de/de/das-munter-haus-2