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23.03.18 / Früh sah er das Ende der DDR kommen / Kommenden Mittwoch feiert der ehemalige BND-Präsident Hans-Georg Wieck seinen 90. Geburtstag

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 12-18 vom 23. März 2018

Früh sah er das Ende der DDR kommen
Kommenden Mittwoch feiert der ehemalige BND-Präsident Hans-Georg Wieck seinen 90. Geburtstag
Friedrich-Wilhelm Schlomann

Im Gegensatz zu den oft selbsternannten westdeutschen „Russland-Spezialisten“ gewann der ehemalige deutsche Diplomat und Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND) von 1985 bis 1990, Hans-Georg Wieck, durch viele Reisen und seine überaus zahlreichen Gespräche ein ganz anderes Bild und Gespür, was die Relevanz von Ereignissen und Aussagen in dem Riesenland angeht.

Zu einem denkwürdigen Gespräch kam es 1978 mit dem damaligen Leiter des KGB und Generalsekretär der KPdSU, Juri Wladimirowitsch Andropow. Offen gab dieser zu, im Gegensatz zu der marxistisch-leninistischen Lehre sei der Kapitalismus nicht an seinen Widersprüchen gescheitert; stattdessen seien in der UdSSR Reformen dringend erforderlich. Diese aber erforderten Verständigung, was eine Abrüstung voraussetze. Man benötige dringend westdeutsches Kapital. Sein Traum ging so weit, ganze bundesdeutsche Fabriken mit ihren fleißigen, zuverlässigen Arbeitern in die Sowjetunion zu holen. Über einen Gegenpreis wurde nicht direkt gesprochen, doch beide wussten genau, dass der Kreml nur noch ein Faustpfand besaß: die DDR. Wenn auch erst in ferner Zukunft, so rechnete Wieck doch nach diesem Gespräch mit der deutschen Einheit. Bereits 1980 äußerte er offen, Moskau werde eines Tages seine Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen besser mit einem vereinigten Deutschland gewahrt sehen als mit einer durch Gewalt aufrecht erhaltenen Vorherrschaft über Mitteleuropa. 

Fünf Jahre danach kam Michail Gorbatschow an die Macht. Im Gegensatz zu den Westmächten glaubte Wieck diesem angesichts seines Wissens um die wahre Lage der Sowjetunion. Dessen Politik war letztlich eine Fortsetzung derjenigen von dessen 1984 verstorbenem politischen Ziehvater Andropow. 

Wieck, eine resolute, energiegeladene Persönlichkeit, die im Gegensatz zu vielen bundesdeutschen Politikern nie das Ziel der Wiedervereinigung vergaß, gehörte in Bonn nicht zu den vielen Jasagern. Als 1985 eingesetzter Präsident des BND sah er es als seine Pflicht an, seine Erkenntnisse stets Bundeskanzler Helmut Kohl mitzuteilen. Im Zeichen der damals am Rhein herrschenden oft naiven Entspannungspolitik bestand dort nach seinen Worten „große Distanz zum BND“, es war ein „gespanntes Nicht-Verhältnis“. Hinzu kam, dass der Kanzler glaubte, besser informiert zu sein als sein eigener Nachrichtendienst. Es muss dabei einmal sogar zu einer bösartigen Szene gekommen sein, auf die Wieck wohl aus Loyalitätsgründen nie eingeht. Es minimiert die menschliche und politische Größe Kohls, dass er in all seinen Büchern Wiecks Namen völlig übergeht. Kohl vertraute der bundesdeutschen Ständigen Vertretung in Ost-Berlin, in der man indes keinerlei Gespür für die Veränderungen in der DDR hatte.

Nach dortigen offiziellen Behauptungen stellte die DDR eine der führenden Industrienationen der Welt dar, was sich sogar in Kohls „Reden an die Nation“ widerspiegelte. Wieck hingegen wusste um dem Zustand der DDR-Wirtschaft und zog daraus den Schluss, dass Bonn Ost-Berlin helfen müsse: „Wir müssen die DDR über Wasser halten“, und koste es Millionen. Ohne bundesdeutsche Hilfe würde der DDR-Lebensstandard weiter sinken und die Ablehnung gegen das Regime stärker werden, doch zu Aufständen dürfe es keinesfalls kommen, denn noch würden die Sowjetpanzer auf die Bevölkerung schießen. In nur wenigen Jahren hingegen würden sie es nicht mehr tun, da damit die gesamte Westpolitik Gorbatschows unglaubwürdig würde und zum Scheitern verurteilt wäre. Während Egon Bahr betonte, der BND wisse nichts, konstatierte die Stasi in einer „streng geheimen“ Anlage „eine neue Qualität des komplexen Vorgehens des BND“. Dieser habe „zutreffendes und aktuelles Wissen“ über die DRR. Noch im April 1989 warnte die Staatssicherheit „eindringlich vor der Wirkung“ des Bundesnachrichtendienstes. 

Im Hochsommer des Jahres 1989 meldete Wieck dem Kanzler, Moskau sei zu politischen Konzessionen in der Deutschland-Frage bereit, was dieser indes als „in den Bereich der Phantasie“ gehend abtat. Als am 9. Oktober rund 70000 Menschen in Leipzig gegen das SED-Regime demonstrierten, fragte das Bundeskanzleramt beim BND an, ob es sich dabei um westdeutsche NPD-Mitglieder gehandelt habe. Wieck muss zu Recht sehr verbittert gewesen sein mit seiner Feststellung bezüglich der Entscheidungsträger in Bonn: „Die haben offenbar meine Analysen nie gelesen.“ Er sah diesen 9. Ok­tober als den Beginn vom Ende der DDR an. Zwei Tage vor dem Mauerfall erklärte er öffentlich, die DDR sei am Ende – was keine einzige westdeutsche Zeitung glaubte und daher nicht veröffentlichte. 

Später war Wieck Leiter der OSZE-Beratergruppe in Weißrussland und Vorsitzender der Deutsch-Indischen Gesellschaft. Vor zwei Jahren wurde ihm das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Auf mögliche Altersgebrechen angesprochen, meinte Hans-Georg Wieck noch vor Kurzem, er sehe sich noch „in bester Gesundheit“ und auch seine Dynamik habe er nicht eingebüßt.