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23.03.18 / Nichts dem Zufall überlassen / Warum Deutschland bis heute in der Sportpferdezucht weltweit führend ist

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 12-18 vom 23. März 2018

Nichts dem Zufall überlassen
Warum Deutschland bis heute in der Sportpferdezucht weltweit führend ist
Sibylle Luise Binder

Trakehnen war ein Hauptgestüt; Kreuzvorwerk war ein Landgestüt; und Neustadt an der Dosse ist sogar beides. Der Laie mag sich fragen, was der Unterschied ist. Das Hauptgestüt hat Hengste und Stuten und züchtet Pferde. Das Haupt- und Landgestüt züchtet nicht nur selber Pferde, sondern stellt seine Hengste auch anderen Stutenbesitzern zum Decken zur Verfügung. Reine Landgestüte hingegen züchten nicht selber, sondern haben nur Hengste und wurden einst zu dem Zwecke geschaffen, um sie den Bauern im Land für die Deckung von deren Stuten leihweise zur Verfügung zu stellen. 

Die Geschichte der Landgestüte reicht bis in den Absolutismus zurück. Schon im 17. Jahrhundert haben die meisten Fürsten und deren Verwaltungen erkannt, dass die staatliche beziehungsweise landesherrliche Zurverfügungstellung von Deckhengsten einer der effektivsten Wege ist, die Landespferdezucht zu verbessern. Doch „was der Bauer nicht kennt, das frisst er nicht“, lautet ein Sprichwort und die Sturheit der Bauern ist sprichwörtlich. Viele sahen nicht ein, dass sie die Zeit opfern sollten, um mit ihren rossigen Stuten zum Gestüt oder einer seiner Außenstellen zu reisen, damit sie von einem Staats- beziehungsweise landesherrlichen Hengst gedeckt werden konnten. Warum sich die Mühe machen, fragte sich mancher, wenn auf Nachbars Wiese ein Junghengst herumrennt, der sich freuen würde, die Befruchtung zu übernehmen. Die Vorteile einer systematischen, gezielten Zucht waren nicht jedem Bauern vermittelbar. 

Im Herzogtum Württemberg löste man das Problem zuerst. 1687 wurde dort eine Verordnung herausgegeben, die es den Bauern verbot, andere als die von der Obrigkeit gestellten Hengste einzusetzen. 1715 folgte eine solche Verordnung für Ostfriesland, 1782 folgten Schleswig und Holstein. 1787 war schließlich Preußen dran. 

Es war ähnlich wie bei der allgemeinen Wehrpflicht. Die Preußen waren nicht immer die ersten, aber ihre Gründlichkeit setzte Maßstäbe. Zum einen wurde eine staatliche Kommission eingesetzt, welche die zur Zucht einzusetzenden Hengste prüfte. Diese Prüfung wurde „Körung“ genannt. Zum anderen wurde das Benutzen nicht geprüfter Hengste unter Strafe gestellt.

Als Folge der Gründung des Deutschen Reiches durch den preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck wurde die sogenannte preußische Körordnung für ganz Deutschland gültig, weswegen sie dann im Züchtergebrauch auch „Bismarck’sches Körgesetz“ genannt wurde. Darin gab es einen Paragrafen, der bis 1976 – so lange galt das Gesetz nämlich – immer wieder angepasst wurde: „Wer ein nicht gekörtes Vatertier zum Decken verwendet, wird mit Geldstrafe nicht unter …. bestraft.“ 

Die Obrigkeit arbeitete jedoch nicht nur mit der Peitsche, sondern auch mit Zuckerbrot. So winkte Fohlen, die aus einer Kreuzung zwischen einer Bauernstute und einem zugelassenen Hengst stammten, beziehungsweise deren Besitzern bei entsprechender Qualität das Trakehner-Brandzeichen, was den Verkaufswert erhöhte. 

Ähnlich wie die jungen Männer zur Musterung mussten die Hengste vor Ablauf ihres dritten Lebensjahres vor die Körkommission. In dem Alter sind Reit- und Fahrpferde noch nicht in Arbeit, so dass die Spezialisten sahen, wie es um die Muskeln und den Knochenbau der Zweijährigen, der sogenannten Youngster, ohne die Einwirkung durch Training bestellt war.

Auch ähnlich wie bei der Musterung der jungen Männer gehörte auch zur Körung die Untersuchung der Geschlechtsteile. Bei Hengsten kommt es nämlich nicht selten vor, dass während der frühen Entwicklung nicht beide Hoden in den Hodensack absteigen. Dann hat man es mit einem Klopphengst zu tun – wissenschaftlich auch „Kryptochid“ genannt. Und vom Kryptochismus befallenen Hengste vererben – wenn sie denn zeugungsfähig sind – den Fehler weiter und der wiederum führt dazu, dass sie aggressiver sind als andere Hengste.

Das Bismarck’sche Körgesetz würde möglicherweise noch heute gelten, wenn es nicht 1976 durch eine EU-Verordnung ersetzt worden wäre. Im Zuge der Neuordnung der nun meist von Zuchtverbänden ausgegebenen Regelungen für die Pferdezucht erhöhten die Reitpferdezüchter die Hürden für ihre potenziellen Vatertiere noch einmal. 

Die Körung beinhaltet nun die Erlaubnis, dass ein Dreijähriger eine eingeschränkte Zahl von Stuten decken darf. Nach dem ersten Decken wird er angeritten und muss im Herbst seines vierten Lebensjahres in die Hengstprüfungsanstalt – eine der meist frequentierten in Deutschland ist das brandenburgische Haupt- und Landgestüt Neustadt an der Dosse – und dort nicht nur seinen Cha­rakter und seine Leistungsbereitschaft beweisen, sondern auch seine Eignung als Spring-, Dressur- und Geländepferd. Früher dauerte die „HLP“ (Hengstleistungsprüfung) abgekürzte Prüfung 100 Tage, inzwischen ist sie auf 30 verkürzt. 

Bevor der nun geprüfte Hengst im Frühjahr wieder aufs Phantom darf – in der Sportpferdezucht ist künstliche Befruchtung die Regel – wird sein erster Fohlenjahrgang geprüft. Wenn er nicht richtig gut ist, wird der Hengst gleich wieder abgekört und ist damit aus der Zucht raus. Abgekört wird er auch, wenn sein Nachwuchs nicht genügend Punkte im Turniersport macht. 

Das klingt alles sehr streng. Aber es sind diese strengen Selektionsprüfungen der deutschen Pferdezucht, die mit dem Bismarck’schen Körgesetz zum ersten Mal konsequent durchgezogen wurden, denen es zu verdanken ist, dass Deutschland bis heute in der Sportpferdezucht weltweit führend ist.