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23.03.18 / Tödliche Hypochondrie / Die Deutschen und die Masern – Wenn Schrullen zur Gefahr werden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 12-18 vom 23. März 2018

Tödliche Hypochondrie
Die Deutschen und die Masern – Wenn Schrullen zur Gefahr werden
Burkhard Voß

Die Deutschen sind ein bisschen kompliziert“, sagt Michael Rotert, der Vorstandschef des Verbands der deutschen Internetwirtschaft. Die Deutschen neigen sehr zu hysterischen Ängsten, sagte Altkanzler Helmut Schmidt. Schon Heinrich Heine schaute den Deutschen tief in die Seele, als er sagte: „Franzosen und Russen gehört das Land, das Meer gehört den Briten, wir aber besitzen im Luftreich des Traums die Herrschaft unbestritten“. 

Deutschland im Wolkenkukkucksheim erträumt sich die Welt, wie sie sein sollte, und bemerkt gar nicht, wie sie tatsächlich ist. Das spiegelt sich gut im Neurotizismus-Index wider. Unter Neurotizismus versteht man eine genetisch bedingte Verminderung der psychischen Belastbarkeit. Bei entsprechenden Individuen führt sie unter hohen Anforderungen zu neurotischen Symptomen, zum Beispiel Ängste, Depressionen, hypochondrische Befürchtungen, hysterische Verhaltensweisen. In den Neurotizismus-Index fließen übrigens auch Daten über Suizid und Suchterkrankungen. 

Neben Japan, Italien und Österreich liegt Deutschland beim Neurotizismus-Index regelmäßig ziemlich weit vorn. Die genannten Länder sind auch die, die den Zweiten Weltkrieg verloren haben und nach ihren Aggressionen auch selbst entsetzlich aggressive Kriegshandlungen einstecken mussten, wie etwa das Flächenbombardement auf deutsche Städte. 

Auch die Sprache als eine Funktion des Denkens spiegelt die Charakteristika der deutschen Seele gut wider. Spätestens seit der Reformation sprechen die Franzosen von „Lourds Allemands“, der deutschen Schwere. Von „German Angst“, der möglichen Nachwirkung aus dem 30-jährigen Krieg, der zum großen Teil auf deutschem Territorium ausgetragen wurde, oder „Le Waldsterben“ ganz zu schweigen. Aber die Sprache, insbesondere die Schreibart mit der Großschreibung des Substantivs, die es so nur in Deutschland gibt, kann durchaus auch auf den Hang zur Genauigkeit, zum präzisen Erfassen des Wesentlichen hindeuten. Bis zum Faustischen ist es dann nicht mehr allzu weit. Vieles wörtlich nehmen, sich allen Idealen unterordnen, das Ganze, verbunden mit einer gewissen inneren Unruhe und dem Bedürfnis, etwas Großes zu bewirken. Die Erhöhung des Ideals und die damit einhergehende Realitätsverweigerung haben in der deutschen Geistesgeschichte Tradition, angefangen in der Romantik, der Gegenbewegung zur Aufklärung, der Abwendung von den Naturwissenschaften. Gemessen daran sind die Impfgegner die Essenz des deutschen Wesens. 

Über die Skurrilitäten und Schrullen einer Nation kann man sich köstlich amüsieren. Und ob die Antiimpfideologie ein deutsches Spezifikum ist, bleibt letztlich psychohistorische Spekulation. Überhaupt nicht spekulativ ist es aber den Tod von Menschen zu ris-kieren – etwa, wenn sie die Masern bekommen. 35 Menschen starben 2017 an dieser – gar nicht so harmlosen – Kinderkrankheit, die manchmal auch bei Erwachsenen zu lebensbedrohlichen Komplikationen wie Lungen- und Hirnentzündungen führt.  

In Deutschland wurden 2017 dreimal mehr Masernfälle gezählt als im Vorjahr. Nun wird wieder einmal ein Gesetz zur Pflichtimpfung wie in Italien diskutiert. Das ruft natürlich die Empörung der Achtsamkeitsapostel hervor. Reflex-artig empfehlen sie, sogar ideologisch verbohrte Impfgegner dort abzuholen, wo sie stehen. Nicht zwingen, sondern überzeugen will man sie. Doch das wird nicht gelingen. Denn den Impfideologen stört selbstverständlich auch nicht, dass eine Ende der 90er Jahre vorgelegte Studie, die Autismus als Nebenwirkung einer Impfung ergeben hatte, schlichtweg gefälscht war. Dass gravierende Nebenwirkungen durch Impfungen nahezu eine Rarität sind. Oder dass laut Schätzung der WHO im Jahr 2000 ungefähr 50 Prozent der 1,7 Millionen durch Impfung vermeidbaren Todesfälle bei Kindern durch Masern verursacht waren. Es ist die Frage, wie viele Maserntote – auch in Deutschland – es noch geben muss, bis das Impfgesetz beschlossen wird. Eine Toleranz für Impfgegner wäre die denkbar schlechteste Option. Hier kann der Klügere nicht nachgeben, denn schon viel zu oft haben sich die Unbelehrbaren durchgesetzt.

Der Autor arbeitet als Arzt für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie in Krefeld. 2017 erschien sein  Buch „Albtraum Grenzenlosigkeit” (SolibroVerlag).