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23.03.18 / Eine seltsame Epoche der deutschen Geschichte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 12-18 vom 23. März 2018

Eine seltsame Epoche der deutschen Geschichte
Jan Heitmann

Canaris, die Abwehr und das 3. Reich“. Das ist wahrlich ein weites Feld, und das Vorhaben, es auf gerade einmal 133 Seiten Text zu beackern, ist ambitioniert. Nun nimmt der Verfasser Waldemar von Münch (1884–1966) nicht für sich in Anspruch, mit seinen Aufzeichnungen die drei im Titel angesprochenen Aspekte erschöpfend zu behandeln. Wohl aber kann der Rezensent ihm bescheinigen, dass ihm sein im Vorwort beschriebenes Vorhaben, nicht nur das Wirken des Abwehr-Chefs Admiral Wilhelm Canaris und die Tätigkeit seiner Organisation darzustellen, sondern in diesem Zusammenhang auch „die Vorboten und Gegebenheiten dieser seltsamen Epoche der deutschen Geschichte, ihr Milieu, ihre Atmosphäre, ihre Psyche“ zu umreißen, gelungen ist.

Der Wert seiner Aufzeichnungen liegt aber weniger in der Beschreibung und Bewertung der politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten der damaligen Zeit, sondern in den von ihm gewährten Einblicken in die Interna des deutschen militärischen Nachrichtendienstes und die Persönlichkeit seines Chefs, den dessen Biograf Heinz Höhe zutreffend als „Patrioten im Zwielicht“ bezeichnet. Wie der Herausgeber Jürgen W. Schmidt, ein auf dem Gebiet der Nachrichtendienstgeschichte ausgewiesener Historiker, herausstellt, waren manche der vom Verfasser gemachten Angaben der Geheimdienstforschung bis dato unbekannt.

Der besondere Wert dieser Edition liegt darin, dass hier das in der ersten Hälfte der 1960er Jahre angefertigte und vom Sohn des Verfassers, dem Rechtsprofessor und PAZ-Autor Ingo von Münch, im Nachlass des Vaters entdeckte Maschinenmanuskript einschließlich des Vorworts unverändert wiedergegeben wird. Damit stehen dem Leser die authentischen Schilderungen und Reflexionen eines Zeitzeugen ersten Ranges zur Verfügung.

Waldemar von Münch war ursprünglich kaiserlicher Marineoffizier, während des Ersten Weltkrieges unter anderem U-Boot-Kommandant und musste sich nach Kriegsende eine zivilberufliche Tätigkeit suchen, die er für einige Jahre in Sumatra fand. 1935 wurde er reaktiviert und ins Reichsluftfahrtministerium versetzt, weshalb er fortan Uniform und Dienstgrade der Luftwaffe trug. Auslandserfahren, kultiviert und gebildet, entsprach er genau dem Typus des Offiziers, den sich Canaris für die Abwehr vorstellte. Hier war von Münch in der Spionageabwehr tätig und wurde schließlich Leiter der Abwehrgruppe III G, die dafür zuständig war, in Spionagefällen zu entscheiden, ob Spionage oder Landesverrat vorlag, was hinsichtlich des Strafmaßes von großer Bedeutung war.

Damit arbeitete er im unmittelbaren Umfeld von Canaris, den er, daran lassen seine Erinnerungen keinen Zweifel, sehr verehrte. Dass von Münch dem Admiral sehr nahestand, wird nicht allein an von Münchs Marine-Vergangenheit gelegen haben, sondern vor allem daran, dass beide Patrioten, Ehrenmänner und Gentlemen alter Schule waren, die dem Nationalsozialismus ablehnend gegenüberstanden. Dass sie „als Patrioten aus innerer anständiger Überzeugung“ auf ihrem Posten „in einem miserablen Staatswesen“ ausharrten, erklärt von Münch mit dem Ziel, „die verhängnisvollen Taten einer Gewaltherrschaft zu verhindern oder auszugleichen, und in der Hoffnung, nach dem Sturz der Tyrannis rechtzeitig auf dem Plan sein zu können, um für ein besseres Staatswesen das zu retten, was noch zu retten ist“. So schließen seine Aufzeichnungen denn auch nicht ohne die mit Stolz getroffene Feststellung, die Abwehr habe sich „der Demontage von Anständigkeit und Rechtsstaatlichkeit“ in ihrem Bereich „mit Erfolg widersetzt“.

Abschließend ist der umfangreiche Anmerkungsapparat zu erwähnen, der vielfältige Ergänzungen zu von Münchs Aufzeichnungen sowie Erklärungen und Hinweise auf weiterführende Literatur enthält.

Waldemar von Münch: „Canaris, die Abwehr und das 3. Reich. Aufzeichnungen eines Geheimdienst-Obersts“, herausgegeben, eingeleitet und kommentiert von Jürgen W. Schmidt, Verlag Dr. Köster, Berlin 2017, Hardcover, 133 Seiten, 19,95 Euro