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23.03.18 / Geprägt von Konfuzius – Darstellung des modernen China und seiner Menschen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 12-18 vom 23. März 2018

Geprägt von Konfuzius – Darstellung des modernen China und seiner Menschen
F.-W. Schlomann

Zunehmend greift das Riesenreich China in die Geschicke der Welt ein, wobei es uns oft fremd und undurchschaubar erscheint. Stefan Baron und Guangyan Yin-Baron, ein deutsch-chinesisches Ehepaar, bieten in ihrem Werk „Die Chinesen. Psychogramm einer Weltmacht“ einen einzigartigen Einblick in das Denken und Fühlen der Chinesen. Geprägt seien diese noch heute von Konfuzius, der als Ziel das Zusammenleben des Menschen durch Bildung sowie durch Tugend- und Moralregeln hatte. 

Wichtigster Teil des Buches ist die Darstellung des chinesischen Menschen. Während unsere Religion den Menschen als ein von Gott geschaffenes, autonomes Wesen mit einem freien Willen sieht, ist für Konfuzianer der Mensch nicht ein Kind Gottes, sondern die Fortsetzung seiner Eltern. Basiseinheit ist nicht das Individuum, sondern die Familie; sie stellt die wichtigste Größe im Leben eines Chinesen dar, der einzige Ort des Vertrauens und der Sicherheit. Mao Tse-tung wollte dieses aus­geprägte Familienbewusstsein durch ein Staatsbewusstsein ersetzen und scheiterte letztlich. 

In der Erziehung werden Kinder früh im Auswendiglernen und in Gedächtnisleistung trainiert, weniger im Entwickeln von selbstständigen Gedanken und im Argumentieren. Um einem mit der Erziehung zu mehr kritischem Denken verbundenen Kontrollverlust des Regimes vorzubeugen, hat Peking neuerdings die politischen Zügel, wie gerade die Zensur des Inter­nets, strammer angezogen. Die Balance, die es herzustellen versucht, wird letztlich Chinas Zukunft prägen. Während wir relativ offen, also direkt kommunizieren, bevorzugen Chinesen dies in­direkt, kompromisslose Worte sind selten. Für Europäer ist es daher schwer, zu verstehen, was sie meinen. Das Buch beklagt die bis in die Reihen von Ministern und Generälen weitverbreitete Korruption. Jede Regierung will sie bekämpfen, was indes bis heute erfolglos blieb. Es fehlen unabhängige Medien und ein Rechtstaat, was allerdings mit der Alleinherrschaft einer Partei auch kaum vereinbar ist. 

Folge ihrer anderen Kultur und ihrer historischen Erfahrungen ist bei den Chinesen eine eigene Art zu denken und die Welt wahrzunehmen. Ihre Kriegskunst besteht im Gegensatz zu Clausewitz darin, den Feind in eine strategische Schwäche zu drängen, die den Ausgang eines Konflikts vorwegnimmt und so einen Waffengang überflüssig macht. Die List ist bei Clausewitz ein Zeichen von Schwäche, bei den Chinesen hingegen ein bevorzugtes Mittel des Handelns und Ausdruck von Klugheit. Die Absichten ihrer Führung seien defensiv, liest man im Buch. Indes beweist die Realität in Tibet, in Sinkiang und die angedrohte Eroberung von Taiwan (das nie zur Volksrepublik gehörte), die als „Verteidigung der Einheit der Nation“ propagiert wird, das Gegenteil. Genauso wird das Südchinesische Meer als „Heimatmeer“ tituliert. 

Freie Wahlen, Parlamentarismus und Gewaltenteilung kennt China nicht. Sein Marxismus ist ganz den dortigen Verhältnissen angepasst, mit dem Original hat er nur wenig gemeinsam. Der heutige Partei- und Regierungschef Chinas Xi Jinping hat eine einzigartige Machtfülle, doch ein totalitäres System wie Mao strebt er ganz offenbar nicht an. Seine Ansicht, sein Land werde in fünf Jahren die USA überholen, ist falsch: Es wird Jahrzehnte dauern, bis sein Pro-Kopf-Einkommen deren heutiges Niveau erreicht. Immer noch muss ein Großteil seines Nahrungsmittelbedarfs über Importe gedeckt werden, was das Land gegen politischen Druck verwundbar macht.

Nach den beiden Verfassern besteht die mit Chinas Wie­deraufstieg verbundene Gefahr darin, dass die heutige amerikanische Weltordnung eines Tages durch eine sinozentrische Ordnung abgelöst wird. Ziel einer europäischen Fernostpolitik müsse daher sein, den geopolitischen Konflikt zwischen beiden Weltmächten zu verhindern und für eine multipolare Ordnung einzutreten, in der auch der europäische Kontinent einen wichtigen Platz einnimmt. 

Es ist eine Vision, doch wird sie mit dem heutigen Europa auch Realität?

Stefan Baron/ Guangyan Yin-Baron, „Die Chinesen. Psychogramm einer Weltmacht“, Econ-Verlag, Berlin 2018, gebunden, 448 Seiten, 25 Euro