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30.03.18 / »Hilfe durch Selbsthilfe« / Mit Genossenschaften befriedigen die Anteilseigner ihre eigene Nachfrage

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13-18 vom 30. März 2018

»Hilfe durch Selbsthilfe«
Mit Genossenschaften befriedigen die Anteilseigner ihre eigene Nachfrage
Dagmar Jestrzemski

In vielen Ländern der Welt wird 2018 an den 200. Geburtstag von Friedrich Wilhelm Raiffeisen erinnert. Die mit seinem Namen verbundene Idee des kooperativen Wirtschaftens wurde bereits vor zwei Jahren auf Antrag der Dr. Hermann-Schulze-Delitzsch-Gesellschaft und der Friedrich-Wilhelm-Raiffeisen-Gesellschaft in die repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen. 

In Deutschland ist die Genossenschaftsgruppe die bei weitem mitgliederstärkste Wirtschaftsorganisation. Von den Unternehmensformen Personen- und Kapitalgesellschaften unterscheiden sich die Genossenschaften durch ihre Orientierung an Werten und Idealen wie Selbsthilfe, Selbstverantwortung, Gleichheit, Demokratie in der Entscheidungsfindung, Freiwilligkeit und Gerechtigkeit. Ihre Kennzeichen sind Aktionärsstruktur und Verbandsorganisation. Auf beinahe allen Ebenen des Lebens wirken die Genossenschaften als eine treibende Kraft für Wirtschaft und Gesellschaft. Sie repräsentieren 20 Millionen Mitglieder und mehr als 800000 Mitarbeiter in über 7500 Einzelgenossenschaften der Bereiche und Branchen Bankenwesen, Landwirtschaft, Warenproduktion und -vertrieb, Dienstleistungen, Wohnungsunternehmen sowie zunehmend auch Energiegewinnung. 

Neben den Privatbanken und Sparkassen sind die Volks- und Raiffeisenbanken in Deutschland eine wichtige Bankengruppe. Zusammen mit zwei Zentralbanken, Verbundunternehmen und Sonderinstituten bilden sie einen Allfinanzverbund. Anders als die früheren Kreditgenossenschaften sind sie als Universalbanken aufgestellt, bei denen das Nichtmitgliedergeschäft eine wichtige Rolle spielt. In der Finanzkrise hat sich das Wirtschaftsmodell der Volks- und Raiffeisenbanken bewährt, da sie durch ihre Kontrollmechanismen und die Enthaltung von bestimmten Finanzspekulationen nicht unmittelbar betroffen waren. 

Niedrige Zinsen, strengere Regulierung und Konkurrenzdruck durch die Online-Banken machen jedoch besonders den regionalen Instituten zu schaffen. Der Erhalt ihrer Wettbewerbsfähigkeit gelang durch einen stetigen Anpassungsprozess.

Der Name oder die Marke Raiffeisen steht heute für mehr als 300000 Unternehmen, die im vor- und nachgelagerten Bereich der Landwirtschaft sowie als Finanzdienstleister tätig sind. Raiffeisens Idee der Universalgenossenschaft hat sich bei den Raiffeisenbanken insofern erhalten, da Geld- und Warengeschäfte gemeinsam abgewickelt werden. Die weitaus meisten deutschen Landwirte, Gärtner und Winzer sind Mitglieder und damit Miteigentümer einer Genossenschaft. Noch zu Raiffeisens Lebzeiten wurde 1877 das Giebelkreuz als Markenzeichen für die Raiffeisen-Genossenschaften ausgewählt. 

1948 schlossen sich die landwirtschaftlichen Genossenschaften und ihre Verbände zum Deutschen Raiffeisenverband e.V. (DRV) zusammen. Mit dem Zusammenschluss des DRV und des Deutschen Genossenschaftsverbandes – der Organisationen von Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch – wurde 1972 der Deutsche Genossenschafts- und Raiffeisenverband e.V. (DGRV) geschaffen. 

Der DRV ist heute Dachverband, Berater und Dienstleister für insgesamt 2104 Mitgliedsunternehmen in den Bereichen Agrarhandel und Verarbeitung tierischer und pflanzlicher Erzeugnisse. Als wichtiger Bestandteil der Wertschöpfungskette Lebensmittel erzielen sie insgesamt einen Jahresumsatz von 61,6 Milliarden Euro. 

Wachstum in der Agrar- und Ernährungswirtschaft wird in der EU seit Mitte der 90er Jahre immer stärker aus dem Export generiert. Im offenen Agrarmarkt der EU wurde die Lebensmittelindustrie zum wichtigen Akteur des globalen Marktgeschehens, das von Angebot und Nachfrage sowie niedrigen Weltmarktpreisen gesteuert wird. Dementsprechend vertreten die Dachorganisationen Positionen, die den Interessen der konventionellen Großerzeuger angepasst worden sind.





Der Zweck einer Genossenschaft

Gemeinhin gründen Wirtschaftsakteure eine Personal- oder Kapitalgesellschaft, um anderen Waren und Dienstleistungen anzubieten. Das primäre Ziel ist die Gewinnmaximierung. Hingegen gründen Wirtschaftsakteure eine Genossenschaft, um eine eigene gemeinsame Nachfrage zu befriedigen. 

Genossenschaftliche Wohnungsunternehmen beispielsweise bauen also Wohnungen nicht in erster Linie, um ihren Anteilseignern mit deren Vermietung oder Verkauf Profit zu bescheren, sondern um die Genossen mit günstigem Wohnraum zu versorgen.M.R.