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30.03.18 / Verdächtig schneller Verdacht / Warum Indizien und Motivlage eher für Washington denn Moskau als Täter im Fall Skripal sprechen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13-18 vom 30. März 2018

Verdächtig schneller Verdacht
Warum Indizien und Motivlage eher für Washington denn Moskau als Täter im Fall Skripal sprechen
Florian Stumfall

Beim Mordanschlag auf Sergej Skripal und seine Tochter in Salisbury war es wie bei der angeblichen Einflussnahme auf die US-Präsidentschaftswahlen zugunsten Donald Trumps durch sogenannte Hacker oder beim Abschuss einer Malaysia-Airlines-Maschine beim Flug MH17: Nicht länger als einige Stunden sprechen die westlichen Systemmedien mit Blick auf Russland als Täter von „höchstwahrscheinlich“ und „dringendem Verdacht“; kurz darauf gilt die in Rede stehende Begebenheit bereits als feststehende Tatsache.

Dabei würde im aktuellen Fall Skripal die Beweislage, transponiert auf die deutsche Strafprozessordnung, nicht einmal für einen Haftbefehl, geschweige denn für ein Urteil reichen. Durchgehend wird in der veröffentlichten Meinung der Umstand als russischer Fingerabdruck gewertet, dass das Nervengift „Nowitschok“ in der Sowjetunion entwickelt worden war. Daher, so der Schluss, könne gar kein anderes Land außer Russland die Schuld an dem Attentat tragen. Doch genau diese scheinbar schlüssige Folgerung und die Leichtigkeit, mit der sie zu widerlegen ist, zeigen die Untauglichkeit einer solchen Argumentation.

Das Gift wurde Ende der 1980er  Jahre hauptsächlich von zwei Wissenschaftlern entwickelt. Der Laborbetrieb befand sich in der damaligen sowjetischen Teilrepublik Usbekistan in der Stadt Nukus, und dort wurde der Stoff auch produziert. Doch hat er bei der Armee keine Anwendung mehr gefunden. Die sowjetische Teilrepublik Russland besaß keine einschlägigen Forschungs- und Produktionsstätten.

Nach dem Zerfall der UdSSR wechselte einer der beiden Chemiker, die Nowitschok entwickelt hatten, in die USA, in denen er sich heute noch aufhält. Sein Name ist Will Mirsajanow. Er und sein Kollege haben im Jahre 1991 in Russland für ihre Entdeckung eine Auszeichnung erhalten, mit der sie naheliegenderweise die Aufmerksamkeit ausländischer Dienste, so auch der CIA, auf sich zogen. 

Doch dies ist nicht der einzige Zusammenhang zwischen den USA, der CIA und dem Ner­ven­gift. Wie die „New York Times“ im Jahre 1999 berichtete, hatten bereits 1992 Washington und die usbekische Regierung unter dem Präsidenten Islam Karimow vereinbart, dass US-Fachleute das ehemalige sowjetische Forschungs- und Testgelände in Nukus dekontaminieren und abbauen sollten. So bekamen die Amerikaner Zugang zu dem Forschungslabor, das ab 1986 nur sowjetischen Forschern zugänglich gewesen war. Stellt man also die Frage, wer außer den Russen über das Nervengas verfügen könnte, findet man hier eine schlüssige Antwort.

Um noch einmal auf den strafrechtlichen Vergleich zu kommen: Die USA können ebenso über Nowitschok verfügen wie die Russen. Mirsajanow selbst schrieb 1995, als er die Formel veröffentlichte: „Man sollte bedenken, dass es sich bei den chemischen Komponenten oder Vorläufern von A 232 oder seiner binären Version Mowitschok-5 um gewöhnliche Organophosphate handelt, wie sie in kommerziellen Chemieunternehmen fabriziert werden können, die Produkte wie Düngemittel und Pestizide herstellen.“ Und von denen gibt es in den USA eine ganz prominente und leistungsfähige Fabrik. Die „New York Times“ fuhr damals fort: „Alarmiert durch die gesundheitlichen und ökologischen Auswirkungen der sowjetischen Aktivitäten  zur Produktion und großangelegten Erprobung illegaler chemischer und keimtötender Waffen in Usbekistan, verzichtete Präsident Islam Karimow auf Massenvergiftungswaffen. Seitdem arbeitete seine Regierung eng mit Beamten des amerikanischen Verteidigungsministeriums zusammen und gewährte ihnen den Zugang …“

Kriminologisch gesprochen: Die Russen waren damals schon nicht mehr die einzigen, die über die „Möglichkeit zur Tat“ verfügten. Zu den stereotypen  Fragestellungen der Kripo folgt dann diejenige nach dem Motiv. Russland eines zu unterstellen, ist nicht ganz einfach, wenn man auf den Reflex „Putin war’s“ verzichtet. Sergej Skripal war 1999 als Doppelagent aufgeflogen und wurde in Russland zu 13 Jahren Haft verurteilt. Von denen saß er sechs Jahre ab, bis er und drei weitere Spione 2005 gegen russische Agenten, die das FBI verhaftet hatte, ausgetauscht wurden. Nach sechs Jahren Haft durften die russischen Stellen nicht hoffen, von Skripal noch irgendwelche Einzelheiten von Belang zu erfahren, noch ist denkbar, dass Skripal heute, dreizehn Jahre nach seinem Austausch, der britischen Seite noch irgendetwas zu verraten hätte. 

Er ist als Agent verbrannt, und seinetwegen lohnt sich kein Risiko mehr. Denn Agenten wie der ausgediente Skripal werden von lokalen Sicherheitsdiensten überwacht, und jeder Profi weiß das. Wer sich trotzdem aufmachte,  auf einen Mann ein Attentat auszuüben, das viel gefährlicher wäre als der Mann selbst, bräuchte einen unabweislichen Grund, der hier nicht erkennbar ist. Erkennbar aber ist, dass der Attentäter Wege gefunden hat, die lokale Sicherheitsüberwachung kundig zu umgehen.

Auf der anderen Seite ist die Motivlage günstiger: Unterstellt, den USA käme es gelegen, Russland kurz vor der Wahl des Präsidenten und in zeitlicher Nähe zur Fußball-Weltmeisterschaft propagandistisch in die Enge zu treiben, so käme ein derartiger Geheimdienstskandal, den man Moskau zuschieben könnte, gerade recht.

Igor Nikulin, früheres Mitgied der UN-Kommission für Bio- und Chemiewaffen, meinte zu dem gesamten Vorgang: „Im Fall der Nutzung des Gases ,Nowitschok‘ würde ich nach keiner russischen Spur suchen, sondern nach einer usbekischen oder besser amerikanischen. Das wird näher an der Wahrheit sein.“  Es wäre schließlich nicht das erste Unternehmen unter falscher Flagge, allerdings auch nicht das letzte. Derlei ist im verborgenen Krieg Alltag.