25.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
30.03.18 / Grundsätzlich unerwünscht / Die DDR erlaubte ihren Bewohnern Ehen mit Westdeutschen nur bei einem »besonderen staatlichen Interesse«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13-18 vom 30. März 2018

Grundsätzlich unerwünscht
Die DDR erlaubte ihren Bewohnern Ehen mit Westdeutschen nur bei einem »besonderen staatlichen Interesse«
Heidrun Budde

Liebe kennt keine Grenzen. Und so gab es trotz Mauer und Stacheldraht auch deutsch-deutsche Liebesverhältnisse zwischen hüben und drüben. Auch konnten DDR-Bewohner durchaus einen Antrag auf Genehmigung einer Eheschließung stellen. Doch nach welchen Kriterien entschieden wurde, das blieb den Betroffenen in der Regel verborgen. Heute ist es in den einstmals geheimgehaltenen Akten nachzulesen.

Das Verfahren gehörte zum Kompetenzbereich des Innenministers, und der erließ mehrere streng vertrauliche Vorschriften. Bereits am 15. Januar 1968 regelte Friedrich Dickel, Minister des Innern der DDR und Chef der Deutschen Volkspolizei von November 1963 bis November 1989, dass eine deutsch-deutsche Eheschließung nur bei einem „besonderen staatlichen Interesse in Ausnahmefällen“ zu genehmigen war. Die persönlichen Beweggründe der Ehekandidaten waren völlig nebensächlich. Beim internen Überprüfungsverfahren standen drei Kriterien im Mittelpunkt: Verhinderung von Scheinehen zur „Republikflucht“, keine Ehe für gut ausgebildete Fachkräfte sowie Verhinderung von Forderungen auf Familienzusammenführungen nach einer genehmigten Eheschließung und Ausreise. 

Es existierten sogenannte Arbeitsgruppen (AG) 0118/77, benannt nach der Nummer der „Vertraulichen Verschlusssache“ vom 8. März 1977, die jede Liebesbeziehung genau „begutachteten“. Erhalten gebliebene Protokolle solcher AG geben darüber Auskunft, zu welchen „Einschätzungen“ deren Mitglieder kamen:

„Der Bürger … stellte am 28.11.1983 einen Antrag auf Eheschließung mit gleichzeitiger Wohnsitzänderung in die BRD … Die BRD-Bürgerin … sucht aktiv die Kontakte zu … und drängt diesen zum Verlassen der DDR. Die angegebene Schwangerschaft ist zielgerichtet und als geplantes Vorgehen zu werten … geht es mehr oder weniger nur um die Übersiedlung in die BRD … Die Arbeitsgruppe hat … entschieden, daß der Eheschließung mit Wohnsitzänderung nach der BRD nicht zugestimmt wird. Der Bürger … möchte auf diese Weise unbedingt in die BRD gelangen. Die Eheschließung steht nach umfassender Einschätzung nicht im Vordergrund … Die Prüfungen der Arbeitsgruppe führten zur Ablehnung. Es konnte herausgearbeitet werden, daß es sich hier um eine systematische Abwerbung eines DDR-Bürgers durch die Bürgerin … handelt.“ 

Am 1. Dezember 1987 stellten die Mitglieder einer AG fest, dass eine Ärztin eine „echte Liebesbeziehung“ zu einem Bundesbürger hatte, versagten ihr aber die Genehmigung mit dieser Begründung: „Wir schlagen dennoch vor, den Antrag abzulehnen, weil Frau Dr. A. als Kinderärztin in der DDR unentbehrlich ist. Hinzu kommt, daß die Tochter, Schülerin der EOS (Erweiterte Oberschule), für unsere Volkswirtschaft eingeplant wurde und unser Staat wegen des Eheschließungsersuchens der Mutter nicht auf sie verzichten möchte.“ 

Wohlwollender entschied die AG bei dieser Frau: „Da keine Versagungsgründe vorliegen und offensichtlich echte Zuneigung besteht, wird vorgeschlagen, den Antrag im Ausnahmefall zu genehmigen. Nach Verlassen der DDR besteht kein volkswirtschaftlicher Schaden, da Frau … Reinigungskraft ist.“

Das Ministerium für Staatssicherheit hatte bei jeder dieser Entscheidungen, die offensichtlich nach dem Prinzip der modernen Leibeigenschaft getroffen wurden, ein Einspruchsrecht, aber die Hauptarbeit leisteten Mitarbeiter des Innenministeriums. Um den Fluchtweg über eine Scheinehe gründlich zu versperren und es den Antragstellern so schwer wie möglich zu machen, wurde das Verfahren verkompliziert. 

So musste jeder Ehekandidat eine schriftliche Erklärung der nächsten Angehörigen – Vater, Mutter, Großvater, Großmutter, Bruder, Schwester – beibringen, aus der hervorging, dass sie jetzt und später auf Unterstützung, Fürsorge und Pflege seitens des Antragstellers verzichten würden. Damit sollten Forderungen nach einer Familienzusammenführung im Falle einer genehmigten Eheschließung verhindert werden. 

Die Akten zeigen auf, dass es wegen dieser „Verzichtserklärungen“ zu heftigen Auseinandersetzungen in den Familien kam. Angehörige verweigerten die Unterschrift aus Angst, den Beruf zu verlieren, wenn ihnen strikt verboten war, Verwandte im westlichen Ausland zu haben, was beispielsweise bei Polizisten, Zollmitarbeitern, Seeleuten und Piloten der Fall war. Auch lebten alte Familienstreitigkeiten wieder auf, oder die Unterschrift wurde aus Boshaftigkeit verweigert. Einige Antragsteller stürzte diese Forderung in einen tiefen seelischen Konflikt. So schrieb Frau B. am 23. Mai 1987: „Bis auf eine Anlage – Verzichtserklärung auf Fürsorge, Hilfe oder Unterstützung jetzt und später seitens meiner Eltern und meines Bruders – wollte ich am 5.5.1987 diese Unterlagen einreichen. Ich begründe hiermit auch schriftlich, daß ich nicht dazu bereit bin, die o. g. Verzichtserklärung einzuholen, da ich prinzipiell jedem Menschen – umso mehr also meinen nächsten Verwandten – weder Fürsorge noch Hilfe und Unterstützung versagen würde, wenn diese notwendig sein sollte bzw. ich darum gebeten würde. Zu dieser Lebenseinstellung bin ich nicht zuletzt auch in diesem Staat erzogen worden, und ich halte sie für richtig und gut. Deshalb steht für mich die Forderung auf jene Unterlage im Widerspruch zu meinem Gewissen und trotzdem fühle ich mich deshalb nicht des Rechtes enthoben, eine Familie zu gründen. Dies versuchte ich Frau W. am 5.5.87 zu erklären, wobei sie keinen Wert auf eine solche Erklärung legte. Sie nahm die anderen Unterlagen ebenfalls nicht entgegen und informierte mich darüber, daß mein Eheschließungsantrag nicht bearbeitet würde.“

Die SED-Funktionäre lobten öffentlich immer wieder die große soziale Sicherheit in der DDR mit der „ehrenvollen Pflicht zur Arbeit“ und mit staatlichen Unterstützungsmaßnahmen, aber bei den Eheschließungsanträgen war es zweckmäßig, diese eigenen Ansprüche völlig zu vergessen. 

Doch selbst wenn alle Unterlagen eingereicht wurden, mussten die Antragsteller lange auf die Entscheidung warten, manchmal Jahre, und sie hatten kein Recht auf eine Begründung. So schrieb Ingrid K. am 22. Januar 1987 in einer Eingabe: „Auf meine Frage, aus welchem Grund meinem Eheschließungsantrag nicht stattgegeben wurde, antwortete lediglich der Protokollführer mit der unqualifizierten Bemerkung: ,Wenn Sie unbedingt einen Grund brauchen, dann nehmen Sie eben den, es steht den Interessen der DDR entgegen.‘“

Die Antragsteller waren Befehlsempfänger ohne Rechtsschutz, und dieser Umgang erzeugte große Wut. So schrieb Frau D. am 5. Februar 1986 nach wiederholter unbegründeter Ablehnung ihres Antrages: „Ich erkläre Ihnen, daß ich keine Freude habe in diesem Staat. … Staatsorgane drohen mit Gefängnis, da meine persönliche Auffassung vom Glück nicht der Ihren entspricht. … Setzen Sie doch die Polizei auf mich! Was haben wir denn noch zu verlieren! Unsere Rechte haben Sie schon zerstümmelt und bis aufs Blut quälen Sie mich! Ich hasse Sie! Ich verabscheue Sie! Sie Bestien!“ 

In den Demonstrationszügen von 1989 entlud sich auch dieser tiefsitzende Frust. Die veröffentlichten Gesetze mit einer möglichen Antragstellung auf eine Eheschließung waren ein Blendwerk, um den Schein von Rechtsstaatlichkeit zu vermitteln. Tatsächlich aber war der Umgang zutiefst menschenverachtend.