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30.03.18 / Auf der Suche nach »Lebensraum im Osten«? / Die Kriegsziele des Dritten Reiches im Kampf gegen Polen und die Sowjetunion

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13-18 vom 30. März 2018

Auf der Suche nach »Lebensraum im Osten«?
Die Kriegsziele des Dritten Reiches im Kampf gegen Polen und die Sowjetunion
Dirk Pelster

Die Gewinnung neuen deutschen Siedlungsraums östlich der Reichsgrenzen wird heute von der etablierten Geschichtswissenschaft als wesentliches Kriegsziel Adolf Hitlers und seines nationalsozialistischen Regimes postuliert. Der Traum vom „Lebensraum im Osten“ soll erklärtes Leitmotiv für den 1939 erfolgten Angriff der Wehrmacht auf Polen und letztlich auch für den zwei Jahre später unternommenen Feldzug gegen die Sowjetunion gewesen sein. Doch nimmt man die Quellenlage zu diesem historischen Themenkomplex einmal näher unter die Lupe, so lassen sich zur Bestätigung dieser Kriegsziel-Hypothese allenfalls indizielle Belege finden. 

Als maßgeblicher Nachweis für eine von den Nationalsozialisten verfolgte Lebensraumpolitik gelten bis heute vor allem die Ausführungen in Hitlers „Mein Kampf“. Hier wendet der Autor sich scharf gegen die frühere Kolonialpolitik des Kaiserreiches, die auf Erwerb von Territorien auf außereuropäischen Kontinenten abzielte. Er beendet seine Kritik mit dem eingeschränkten Hinweis, dass für eine etwaig zukünftig geplante Inbesitznahme neuer Gebiete allenfalls „Russland und die ihm untertanen Randstaaten“ infrage kämen. 

Aus diesen im Jahre 1924 von einem inhaftierten politischen Außenseiter verfassten Zeilen einen zwingenden Schluss auf die Kriegsziele des deutschen Staatslenkers des Jahres 1939 zu ziehen, muss jedoch als übereilt zurückgewiesen werden, auch, wenn es sich bei beiden um ein und dasselbe Individuum handelt. Dazwischen liegen eineinhalb Jahrzehnte, in denen viel passiert ist. Hitlers damalige Ausführungen müssen als unmittelbar von den Geschehnissen des Ersten Weltkrieges beeinflusst interpretiert werden. Bereits kurz nach Kriegsbeginn wurde Deutschland durch die Entente-Mächte militärisch vom Zugriff auf die eigenen Kolonien abgeschnitten. Die britische Seeblockade der Nordsee führte zudem zu erheblichen Engpässen bei der Lebensmittelversorgung, aufgrund derer rund 800000 Zivilisten starben (siehe PAZ Nr. 12 vom 24. März 2017). Daraus sich ergebende militärgeografische und versorgungspolitische Aspekte dominieren denn auch das Kapitel zur Ostpolitik in „Mein Kampf“. 

Hinzu kommt, dass Hitler 1924 noch von einem zeitnahen Zusammenbruch des russischen Staates ausging, den er als von Juden beherrscht ansah. Eine solche Lagebewertung ließ sich jedoch spätestens in der Mitte der 30er Jahre nicht mehr halten, nachdem Josef Stalin die einflussreichsten jüdischstämmigen Funktionäre in Staat und Partei entweder ermordet oder zumindest kaltgestellt hatte. Zudem machte die Sowjet­union durch die eingeleitete Neue Ökonomische Politik auf dem Gebiet der Industrialisierung ganz erhebliche wirtschaftliche Fortschritte. Das kommunistische Russland war demnach längst nicht mehr das vom Bürgerkrieg zerrüttete Land, als welches es sich Hitler noch beim Abfassen seiner Schrift präsentierte. 

Ein bei der Bewertung der programmatischen Aussagen in „Mein Kampf“ zur Lebensraumpolitik gern übersehener Aspekt ist, dass das Deutschland der Zwischenkriegszeit keine Grenzen zur Sowjetunion besaß und ihm somit auch ein direkter militärischen Zugriff verwehrt war. Auf diesen Umstand geht Hitler selbst nur insoweit ein, als er ein zukünftiges Bündnis mit Russland schon aus dem Grund ausschließt, da der zwischen beiden Partnern einer solchen Allianz liegende polnische Staat eine zu große Barriere für eine wirksame gegenseitige Hilfeleistung bilde. 

Als weiterer Beleg für die Gewinnung von neuem Lebensraum im Osten werden verschiedene Gespräche und Reden angeführt, die Hitler in kleinem Kreis gehalten hat. Die überlieferten Inhalte sind zumeist von einzelnen der dort anwesenden Personen und zum Teil erst nach dem Krieg schriftlich festgehalten worden. Doch abgesehen von der Seriosität und Authentizität der übermittelten Ausführungen Hitlers erfordert es schon ein sehr großes Maß an Vorsatz, aus ihnen die Definition eines klar konturierten Kriegszieles zu entnehmen. Ähnlich wie bereits in „Mein Kampf“, beklagt er zumeist nur die von ihm als unzureichend empfundene Größe des dem Reich zur Verfügung stehenden Territoriums, welches keine hinlänglichen Möglichkeiten zur Versorgung der deutschen Bevölkerung biete. 

Als wichtigstes Schlüsseldokument in der Beweisführung für einen von vornherein auf die Gewinnung neuen Lebensraums hinzielenden Krieg gelten der sogenannte Generalplan Ost sowie verschiedene mit diesem in Bezug stehende Schriften. Am 24. Juni 1941 beauftragte Heinrich Himmler den Wissenschaftler Konrad Meyer damit, planerische Überlegungen zum Umgang mit den besetzten Territorien zu verfassen. Wie zuvor schon beim Polenfeldzug ließen deutsche Regierungsstellen immer erst nach Beginn der jeweiligen militärischen Operationen grundlegende Überlegungen entwickeln, wie mit dem eroberten Gebiet schließlich verfahren werden sollte. Im Generalplan Ost trug Meyer Gedanken zum Aufbau der Infrastruktur und dessen Finanzierung in den besetzten Gebieten zusammen, befasste sich aber eben zentral auch mit Fragen der Umsiedlung der ansässigen Bevölkerung und der Neuansiedlung von deutschen Volksteilen. Obwohl der Name des Dokuments etwas anderes nahelegt, handelte es sich dabei weniger um einen Plan als vielmehr um eine vorbereitende Denkschrift. In ihr wurde die Zuständigkeit Himmlers für das beschriebene Vorhaben zunächst erst einmal unterstellt, da diese gar nicht eindeutig feststand. 

Meyer wurde aufgrund seiner Autorenschaft nach dem Krieg vor dem Nürnberger Tribunal der Siegermächte wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Der Gerichtshof kam jedoch zu dem Schluss, dass der von ihm angefertigte Generalplan Ost nicht als Grundlage für das Vorgehen der deutschen Besatzungsbehörden in den besetzten Gebieten betrachtet werden könne, die dort ohnehin nur Umsiedlungen in sehr begrenztem Ausmaß durchgeführt hatten. Lediglich wegen seiner Mitgliedschaft in der SS wurde er zu einer geringen Haftstrafe verurteilt.