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30.03.18 / Wissenswertes über Politik damals und heute in Polen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 13-18 vom 30. März 2018

Wissenswertes über Politik damals und heute in Polen
Karlheinz Lau

Das Konzept der Polen-Jahrbücher, die seit 2006 erscheinen, sind Schwerpunktthemen wie Frauen, Umwelt oder Minderheiten (siehe PAZ vom  20. Juli 2016). „Polen 2017 – Politik“ behandelt die Fragestellung, ob in dem Land gegenwärtig eine konservative Revolution stattfindet. Überwiegend polnische und wenige deutsche Autoren behandeln die verschiedenen Politikfelder jeweils aus ihrer persönlichen Sicht. 

Das Buch wird eingeleitet mit einem Nachruf auf den großen deutschen Polonisten Karl Dedecius, der 2016 verstarb. Die 14 Essays bemühen sich, die komplizierte innenpolitische Szene des gegenwärtigen Polen zu zeichnen. Es wird die Bedeutung der katholischen Kirche für Politik und Gesellschaft beschrieben sowie die Stellung der polnischen Juden vor 1933 und in der Gegenwart. Trotz aller offensichtlichen Streitigkeiten zwischen den großen politischen Strömungen PiS (Recht und Gerechtigkeit) und PO (Bürgerplattform) gibt es einen übergeordneten Konsens über die fundamentale Konstante der polnischen Erinnerungspolitik, aus der sich die offizielle staatliche Geschichtspolitik ableitet: die christlichen Wurzeln des polnischen Staates, der multikulturelle Charakter der alten Adelsrepublik, die republikanische Verfassungstradition seit 1791, die Tradition des Kampfes um die Unabhängigkeit im 

19. Jahrhundert bis 1916, dem Jahr der Wiederherstellung eines polnischen Staates seit den Teilungen, die Konfrontation mit zwei totalitären Systemen sowie das Erbe der „Solidarnosc“ mit der politischen „Wende“ 1989/90. 

Zentrales Projekt polnischer Geschichtspolitik ist das Museum des Zweiten Weltkriegs. Hier beklagen die Nationalkonservativen unter Jaroslaw Kaczynski die europäische Ausrichtung. Damit würden die polnischen Leiden im Zweiten Weltkrieg und das Heldentum im Kampf gegen den Hitler-Faschismus relativiert. Dahinter steht die immer wieder artikulierte Befürchtung einer Bedrohung durch die Russen und die Deutschen. Nicht minder umstritten ist das sogenannte Holocaust-Gesetz, das den Opferstatus des polnischen Volkes während der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft in Polen festschreibt und jegliche Verbrechen von Polen an polnischen Juden negiert.

Diese Denkrichtung in der polnischen Erinnerungskultur schlägt sich nieder in einer fast rigorosen Geschichtspolitik, die Lehrinhalte an Universitäten, Schulen und Lehrplänen bestimmt. Breiten Raum nimmt in dem Jahrbuch der Name Kaczynski ein. Der deutsche Osteuropa-Historiker Gerhard Gnauk schildert die Entwicklungsetappen Kaczynskis bis heute. Polens Gesellschaft wird beschrieben als eine durch „Acker und Gutswirtschaft geprägte Mentalität“. Diese verschwand zugunsten eines städtischen Bewusstseins und urbanen Lebensstils. Entscheidend dafür war die systematische Ermordung der Juden, hier entstand im Gefüge der Gesellschaft eine Leerstelle, die sich durch nichtjüdische Polen schnell füllte. Der polnische Autor Andrzej Leder beschreibt eindrucksvoll diesen Prozess. 

Die katholische Kirche spielt als geistige und geistliche Autorität bis heute eine wichtige Rolle nach dem  Wiederentstehen polnischer Staatlichkeit 1916, in der Zeit der deutschen Besetzung, nach 1945 im kommunistischen Polen sowie in den Jahrzehnten nach der politischen „Wende“. Leider erfährt man kaum etwas über den Einfluss von Radio Maryja. Der im einleitenden Essay ausgesprochene Anspruch, den deutschsprachigen Lesern verlässliche Informationen über die politische Szene Polens gerade in der aktuellen Situation zu geben, wird mit der Einschränkung erfüllt, dass selbst für Polen-Kenner manches zu unverständlich ist. Auch hätte man mehr über das Stadt-Land-Gefälle sowie über die erheblichen Unterschiede zwischen den einst zu Preußen und dem Deutschen Reich sowie den einst zum Zarenreich gehörenden Regionen der Republik Polen erfahren. Eine Auseinandersetzung mit dem deutschen Kulturerbe in den heutigen Westgebieten der Republik Polen wäre für deutsche Leser von Interesse. In ein Jahrbuch über Polen gehören zumindest die wichtigsten statistischen Daten des Landes sowie eine Übersichtskarte. Raumvorstellungen helfen den Leser gerade, wenn sie fernab von Oder und Neiße leben. Die Fotos zu den einzelnen Beiträgen sind dabei schon hilfreich. Die grundsätzliche Konzeption der Reihe „Jahrbuch Polen“ wird durch solche Ergänzungen nicht verändert.

„Jahrbuch Polen 2017 – Politik“, Band 28, Deutsches Polen-Institut  Darmstadt (Hg.), Harrassowitz  Verlag Wiesbaden 2017,, broschiert, 215 Seiten, 11,90 Euro