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06.04.18 / »Hartz IV bedeutet nicht Armut« / Die Worte von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn haben eine heftige Kontroverse ausgelöst

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-18 vom 06. April 2018

»Hartz IV bedeutet nicht Armut«
Die Worte von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn haben eine heftige Kontroverse ausgelöst
Peter Entinger

»Hartz IV bedeutet nicht Armut, sondern ist die Antwort unserer Solidargemeinschaft auf Armut« hatte vergangenen Monat der damals noch designierte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn gesagt und mit Hartz IV hätte „jeder das, was er zum Leben braucht“. Viele Feinde, Erzfeinde und Parteifreunde, nutzten seitdem die Gelegenheit, sich an der Gallionsfigur des rechten Flügels der CDU abzuarbeiten.   

Die Reaktionen auf Spahns Äußerungen in einem Interview mit der Funke-Mediengruppe ließen nicht lange auf sich warten, und sie fielen in der Regel heftig aus. In den sozialen Netzwerken wurde der 37-Jährige binnen Stunden zum Hassobjekt Nummer Eins. Daran änderte seine wenig später erfolgte Relativierung nur wenig. „Natürlich ist es schwierig, mit so einem kleinen Einkommen umgehen zu müssen, wie es Hartz IV bedeutet. Das deckt die Grundbedürfnisse ab und nicht mehr, da gibt es auch nichts zu diskutieren, und das habe ich auch nicht infrage gestellt“, sagte Spahn dem Fernsehsender N-TV wenige Tage später. „Ich finde es nur trotzdem wichtig zu sehen, dass unser Sozialsystem tatsächlich für jeden ein Dach über dem Kopf vorsieht und für jeden das Nötige, wenn es ums Essen geht“, sagte Spahn weiter. Der CDU-Politiker wies des Weiteren darauf hin, dass eine Verkäuferin im Einzelhandel weniger habe, um ihre Familie zu versorgen, als jemand, der den Hartz-IV-Satz bekommt. Das müsse auch einmal gesehen werden. 

Experten teilen diese Einschätzung Spahns. Immer wieder klagen Unternehmen, dass sie kaum Personal im Niedriglohnsektor fänden. Es sei dann attraktiver, „Stütze“ zu beziehen als arbeiten zu gehen. Die Möglichkeit, den Hartz-IV-Satz mit Ein-Euro-Jobs aufzustocken und so Zugang zum Arbeitsmarkt zu finden, habe sich in der Praxis als wenig sinnvoll erwiesen. 

Doch was nützt Spahn die Zustimmung von Experten, wenn er unter seinen Kollegen, den Politikern, mit seinen Einlassungen ziemlich allein auf weiter Flur steht. Vielen in der Union, die zum Umfeld Angela Merkels gehören, ist der forsche Ton des 37-Jährigen zuwider. Niemand aus der CDU-Führung sprang Spahn zur Seite. Der frühere Arbeitsminister Norbert Blüm vom linken Arbeitnehmerflügel der Union warf seinem jungen Parteifreund sogar fehlende Empathie vor. Wörtlich sagte er bei „Stern TV“: „Sie sind herzlos, und Sie sind ohne Empathie mit denjenigen, die Hartz IV empfangen müssen. Was ich am meisten bedaure, ist, dass sich viele Hartz-IV-Empfänger durch solche sozialbürokratischen, eiskalten Bemerkungen diskriminiert fühlen.“

Die Einschätzung Spahns, dass Hartz IV die Antwort auf Armut sei, wies Blüm vehement zurück: „Armut beginnt nicht, wenn du kein Dach über dem Kopf und nichts zu essen hast. Das Problem ist, wenn du ausgeschlossen wirst oder keine Chancen hast. Und viele dieser Hartz-IV-Empfänger fühlen sich ausgeschlossen.“ Wenn denjenigen, die sich anstrengten, auch noch vorgeworfen werde, sie seien faul oder arbeitsunwillig, „dann fügen wir dem materiellen Mangel auch noch die öffentliche Verachtung hinzu“, warnte Blüm.

Wie groß die Empörung ist, zeigte sich dann auch daran, dass sich schließlich auch der Bundespräsident in die Debatte einschaltete. „Unser Ziel muss höher gesteckt sein, als dass die Menschen von Hartz IV oder anderen Transferleistungen leben“, sagte Frank-Walter Steinmeier der „Rheinischen Post“. Das Zentrale sei, dass die Menschen von ihrem Einkommen aus Arbeit leben könnten. 

Steinmeier, Sozialdemokrat mit während seiner Präsidentschaft ruhender Parteimitgliedschaft, sprach damit wohl der Mehrzahl seiner Parteifreunde aus dem Herzen. Die waren jedoch auffallend um Deeskalation bemüht. Moderat kommentierte der kommissarische SPD-Chef Olaf Scholz die Äußerungen seines heutigen Kabinettskollegen in den ARD-„Tagesthemen“: „Wir haben andere Vorstellungen und das weiß auch jeder.“ Er glaube, „Herr Spahn bedauert ein wenig, was er gesagt hat“. Parteilinke wie Ralf Stegner nahmen die Debatte zwar zum Anlass, eine generelle Neuregelung der Sozialgesetze anzuregen. Aber die designierte Parteivorsitzende Andrea Nahles sagte: „Spahns Äußerungen sind sicher daneben, aber auch der Tatsache geschuldet, dass er neu im Amt ist.“ Man müsse nicht jede Äußerung höher hängen, als sie sei. 

Ganz im Sinne von Scholz’ Vermutung war Spahn selbst zuletzt um Deeskalation bemüht, kündigte Treffen mit Vertretern von Sozial- und Wohlfahrtsverbänden an. Währenddessen lehnt sich das CDU-Establishment um die Parteivorsitzende Merkel bequem zurück, schweigt und genießt. Wie so häufig lässt sie die Debatte laufen und beobachtet mit stiller Genugtuung, wie ein Kontrahent ins Kreuzfeuer der Kritik gerät. „Er ist erst mal mit sich selbst beschäftigt“, zitiert das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ ein Mitglied der CDU-Spitze

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