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06.04.18 / »Die Stimme Deutschlands muss die der Vernunft sein« / Ex-Außenminister Sigmar Gabriel kritisierte bei 25. Deutsch-Russischem Dialog in Berlin die EU-Sanktionspolitik

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-18 vom 06. April 2018

»Die Stimme Deutschlands muss die der Vernunft sein«
Ex-Außenminister Sigmar Gabriel kritisierte bei 25. Deutsch-Russischem Dialog in Berlin die EU-Sanktionspolitik
Jurij Tschernyschew

Die Ereignisse der letzten Zeit haben die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland deutlich abkühlen lassen. Deshalb hat der in Berlin feierlich begangene 25. Jahrestag des Deutsch-Russischen Forums geradezu symbolischen Wert. Seit 1993 ermöglicht diese Organisation die Entwicklung der deutsch-russischen Beziehungen und unterstützt den kulturellen und gesellschaftlichen Dialog. Nicht immer sind die Teilnehmer einer Meinung, weshalb es in der Vergangenheit bereits zu  stürmischen Diskussionen kam. Dennoch ist jeder überzeugt, dass partnerschaftliche Beziehungen und ein ständiger Dialog zwischen Deutschland und Russland notwendig seien. Das Forum beschäftigt sich mit verschiedenen Bereichen wie Politik und Wirtschaft, Kultur und Nachwuchsförderung. 

Die Jubiläumsveranstaltung fand auf Einladung des russischen Botschafters im Hotel Adlon am Brandenburger Tor statt,. Etwa 500 Gäste waren der Einladung gefolgt. Der russische Botschafter in Berlin, Sergej Netschajew, trug das Grußwort seines Außenministers Sergej Lawrow vor: „Seit einem Vierteljahrhundert hat sich das Forum als unveräußerlicher Bestandteil des deutsch-russischen zivilgesellschaftlichen Dialogs, als angesehene Dialogsplattform und gefragter Impulsgeber bewährt … Heute, da die Beziehungen zwischen Russland und Deutschland nicht die einfachsten Zeiten erleben, verdienen die vom Deutsch-Russischen Forum unternommenen konsequenten Anstrengungen zum Wiederaufbau einer hohen Qualität unserer Partnerschaft, zur Vertrauensbildung und Verständigung zwischen beiden Völkern einen tiefempfundenen Respekt und Unterstützung.“ Ein Grußwort hatte auch der Staatssekretär des deutschen Außenministeriums Walter Lindner geschickt. 

Sigmar Gabriel, dessen Amtszeit als deutscher Außenminister einen Tag vor dem Jubiläum geendet hatte, scherzte während seiner Rede zunächst: „Als a.D. musst du ja dankbar sein, wenn du noch wohin darfst.“ In seiner langen und emotionalen Ansprache hob er die Bedeutung der Arbeit hervor, die das Deutsch-Russische Forum im Rahmen der Aufrechterhaltung und des Aufbaus eines bilateralen Dialogs leistet. Neben lobenden Worten an die Jubilare teilte Gabriel seine Vision für die künftige Entwicklung der deutsch-russischen Beziehungen mit. Da er seinen Außenministerposten niedergelegt hatte, konnte er offener reden als während seiner Amtszeit: „Es ist unsinnig, dass man wartet, bis die ganze Minsker Erklärung umgesetzt ist.“ Er erklärte auch, dass es ein großer Fortschritt wäre, wenn die Blauhelm-Mission ihre Arbeit im Donbass aufnähme. In diesem Zusammenhang könne man die Sanktionen schrittweise aufheben. Gabriel nahm auch zur Situation um die Vergiftung des Ex-Agenten in Großbritannien Stellung: „Ich rate uns aber, als Deutsche oder Europäer, uns nicht hineintreiben zu lassen in eine immer schriller werdende Diskussion. Jemand ist so lange unschuldig, bis jemand das Gegenteil bewiesen hat.“ Derzeit fühle man sich an ganz schlechte James-Bond-Filme erinnert, wo beide Seiten sich in „skurrilsten Verdächtigungen“ ergingen und den eigenen Verschwörungstheorien nachgingen. „Wir müssen eine Haltung einnehmen, dass wir nie naiv sind, aber auch nicht zu ängstlich, dem Partner auf der anderen Seite immer wieder Dialog, Rüstungskontrolle, Abrüstungsbereitschaft anzubieten. Die Stimme Deutschlands muss immer die Stimme der Vernunft sein.“

Der offizielle Teil des Programms endete mit der Verleihung des  Friedrich-Joseph-Haass-Preises, der in diesem Jahr an den Sonderbeauftragten des russischen Präsidenten für internationale kulturelle Zusammenarbeit, den ehemaligen Kulturminister Michail Schwydkoj, ging. Als Zeichen der Dankbarkeit wandte er sich an das Publikum mit einer emotionalen Rede, in der er an seine lange und gute Zusammenarbeit mit deutschen Kollegen erinnerte. Seinen Preis spendet er der Stiftung des russischen Schauspielers Konstantin Kabenskij, welche die Behandlung von Hirntumoren bei Kindern unterstützt. Der Friedrich-Joseph-Haass-Preis wurde 1994 vom Deutsch-Russischen Forum ausgehoben und wird seitdem jährlich  an Personen verliehen, die einen wesentlichen Beitrag zur Stärkung des gegenseitigen Verständnisses zwischen den beiden Ländern geleistet haben. Frühere Preisträger waren Michael Gorbatschow, Daniil Granin und Wladimir Wojnowitsch sowie der deutsche Astronaut Sigmund Jähn. 





Wer war Friedrich Joseph Haass?

Friedrich Joseph Haass war Chefarzt der Moskauer Gefängnisse. In Preußen geboren,  zog er 1806 nach Russland. Auf seine Initiative wurden in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Russland erstmals gut ausgestattete Gefängniskrankenhäuser eröffnet, ebenso wie Schulen für die Kinder der Insassen. Er gewährte armen Patienten unentgeltliche Hilfe, gab seine persönlichen Ersparnisse für wohltätige Zwecke aus, versuchte, die Haftbedingungen der Gefängnisinsassen zu verbessern und genoss die unermessliche Liebe der gewöhnlichen Moskauer. 

Im Jahr 2011 hat die römisch-katholische Kirche den Prozess der Heiligsprechung von Haass in Gang gesetzt, und in der Erzdiözese Köln hatte 1998 das Seligsprechungsverfahren begonnen. Haass’ Tätigkeit ist ein Beispiel von vielen dafür, wie eng die Geschichte der beiden Länder miteinander verwoben ist. Es zeigt auch, welchen positiven Effekt der deutsche Auswanderer auf das kulturelle und soziale Leben Russlands im 19. Jahrhundert hatte.J.T.