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06.04.18 / Kontrapunkt zum US-Protektionismus / Freihandelsabkommen zwischen der EU und südamerikanischer Mercosur vor der Unterzeichnung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 14-18 vom 06. April 2018

Kontrapunkt zum US-Protektionismus
Freihandelsabkommen zwischen der EU und südamerikanischer Mercosur vor der Unterzeichnung
D. Jestrzemski

Im Windschatten der allgemeinen Aufregung über Präsident Donald Trumps Ankündigung von neuen US-Zöllen hat die Europäische Union hinter verschlossenen Türen ihre nächsten fünf Freihandelsabkommen voran getrieben. 

Die entsprechenden Verträge mit Singapur, Vietnam und Japan sind fast unterschriftsreif, desgleichen ein aktualisiertes Freihandelsabkommen mit Mexiko. Das Freihandelsabkommen mit den Ländern des „Gemeinsamen Marktes des Südens“ (Mercosur) Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay steht kurz vor dem Abschluss, wie bei einem informellen Treffen der europäischen Außenhandelsminister in Sofia am 27. Februar mitgeteilt wurde. Eigentlich hätte das Abkommen schon letzten Dezember unterzeichnet werden sollen.

Bereits seit 1999 besteht zwischen der EU und den Mercosur-Staaten ein Assoziationsabkommen als Vorstufe für ein späteres Freihandelsabkommen. Seit 2010 wird wieder verhandelt. Das EU-Mercosur-Abkommen betrifft nicht nur Importquoten und Zölle, sondern auch nichttarifäre Handelshemmnisse wie Umweltstandards oder Verbraucher- und Arbeiterrechte. Die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström stilisiert das Abkommen zum „Brückenschlag“ und Kontrapunkt zum protektionistischen Wirtschaftskurs der Trump-Regierung. Mit der angestrebten Öffnung der Märkte des Mercosur wollen die Europäer erklärtermaßen den Chinesen zuvor kommen.

In allen Mitgliedstaaten des Mercosur bestimmen seit 2016 neoliberal orientierte Regierungen die Handelspolitik. Diese Situation könnte sich im Wahljahr 2018 ändern, daher dringen beide Seiten zur Eile. Derzeit findet die womöglich letzte Verhandlungsrunde statt. 

Auf beiden Seiten des Atlantiks hat sich heftiger Widerstand zusammengebraut, seit Ende vergangenen Jahres Auszüge des geheim gehaltenen Vertragswerks durchgesickert sind. Der Agrarlobby in Polen, Irland, Frankreich, Österreich und der Bundesrepublik war schon länger alarmiert. Ende Februar protestierten in Frankreich bei einem landesweiten Aktionstag mehr als 20000 Landwirte in fast 90 Départements gegen Mercosur. Sie sind aufgebracht wegen der immer größeren Konkurrenz durch günstiges Fleisch aus Übersee. Indessen drängt die europäische Industrie, allen voran die Auto- und Maschinenbaubranche, massiv darauf, den Handelspakt endlich zu besiegeln. 

Bis zum Schluss bestand noch Uneinigkeit über die Importquoten für Rindfleisch aus dem Mercosur und über den Automobilsektor. Inzwischen wurde deutlich, dass die Lobbyarbeit der Bauernverbände erfolglos geblieben ist. Auf Druck der Mercosur-Länder boten Malmström und ihr  für Landwirtschaft und ländliche Entwicklung zuständige Kollege Phil Hogan ein zollfreies Einfuhrkontingent von 99000 Tonnen frisches und gefrorenes Rindfleisch an und damit 29000 mehr als vor einem halben Jahr. Die Südamerikaner hatten 200000 Tonnen verlangt. „Wenn die EU tatsächlich den Mercosur-Staaten eine Quote von 100000 Tonnen pro Jahr einräumt, ist dies der Todesstoß für den europäischen Sektor, weil wir heute schon bei den Produktionskosten über dem Verkaufspreis liegen, den wir am Markt erzielen“, erklärte der Vizepräsident des belgischen Bauernverbandes, Falys Hugues. Bereits jetzt importiert die EU 240000 Tonnen Rindfleisch aus dem Mercosur, was 75 Prozent der gesamten Importmenge in die EU entspricht. Dafür, dass die EU-Staaten im Gegenzug mehr Autos, Chemikalien und Maschinen in die Mercosur-Staaten exportieren und bei öffentlichen Ausschreibungen mitbieten dürfen, verzichtete Mahlström auf verschärfte Kontrollen gegen Hormon- und Gammelfleisch. Völlig inakzeptabel angesichts der Korruption in Brasilien, werfen Verbraucherschützer den EU-Verhandlungsführern vor. Handelskritiker und Umweltschützer verurteilen die Abmachungen, weil damit noch mehr Gen-Soja und mit Pestiziden hoch belastete Rohstoffe sowie Agro-Treibstoffe in die EU-Staaten kämen als jetzt schon. Für zusätzliche Weiden und den Anbau von Soja-Monokulturen würden in den Mercosur-Staaten Kleinbauern ihrer Felder beraubt, Wälder und Savannen zerstört. 

Besorgt sind auch die Gewerkschaften des Mercosur. Sie befürchten schwere Verwerfungen aufgrund des unterschiedlichen technologischen Niveaus in der Industrieproduktion beider Staatenbündnisse. Die Gewerkschaftsbewegungen des Mercosur und der EU haben ein gemeinsames Schreiben an die Verhandlungsführer beider Blöcke übergeben, worin sie erläutern, warum sie das Freihandelsabkommen nicht akzeptieren werden.