20.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
13.04.18 / Wenn man es mit der Heiratspolitik übertreibt / Von geistigen und körperlichen Leiden gezeichnet: Österreichs vor 225 Jahren geborener zweiter Kaiser, Ferdinand I.

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-18 vom 13. April 2018

Wenn man es mit der Heiratspolitik übertreibt
Von geistigen und körperlichen Leiden gezeichnet: Österreichs vor 225 Jahren geborener zweiter Kaiser, Ferdinand I.
Manuel Ruoff

Bella gerant alii, tu felix Austria nube. Nam quae Mars aliis, dat tibi diva Venus (Kriege lasse andere führen, du, glückliches Österreich, heirate! Denn was Mars den anderen, gibt dir die göttliche Venus), lautete das Motto des Habsburgerreiches. Was allerdings passieren kann, wenn man es mit einer derartigen Heiratspolitik übertreibt, zeigt Österreichs zweiter Kaiser, Ferdinand I. 

Normale Menschen haben zwei Elternteile, vier Großelternteile und acht Urgroßelternteile. Bei Ferdinand war das anders. Aufgrund sogenannten Ahnenschwunds hatte er nur vier Urgroßelternteile. Das lag daran, dass sein Großvater väterlicherseits und seine Großmutter mütterlicherseits sowie seine Oma väterlicherseits und seine Opa mütterlicherseits Geschwister waren. Das blieb offenkundig nicht ohne Folgen. 

Der Habsburger litt unter der Englischen Krankheit, Epilepsie, Konzentrationsschwächen, motorischen Störungen und Artikulationsschwierigkeiten, Hemmungen im mitmenschlichen Umgang und Kränklichkeit. Außerdem war er mit einem sogenannten Wasserkopf, einer unproportional hohen Stirn, einem platten Kopf, einer hervortretenden Nase und der sogenannten Habsburgerlippe geschlagen. 

Noch als Neunjähriger soll er außerstande gewesen sein, ein Glas Wasser einzuschenken, eine Tür zu öffnen oder Treppen zu steigen, ohne sich „anzuhalten“. Angesichts seines Zustandes wurde ihm sogar der Militärdienst erspart, was ungeachtet des gängigen Klischees vom militaristischen Preußen auch für einen Thronfolger Österreichs in jener Zeit ungewöhnlich war. 

Wohlwollend wurde der Sohn des „guten Kaisers Franz“ (siehe PAZ Nr. 6 vom 9. Februar) wegen seiner harmlos-gütigen Natur als „Ferdinand der Gutmütige“ bezeichnet. Weniger wohlwollende Geister verballhornten dies zu „Gütinand der Fertige“ oder sprachen von „Nandl dem Trottel“ oder dem „Nanderltrotterl“.

Ungeachtet der nicht nur körperlichen, sondern auch geistigen Leiden wurde der älteste Sohn des Kaisers als Kronprinz erzogen. Hier wurde strikt nach dem Legitimitätsprinzip, also gemäß der rechtmäßigen Erbfolge, verfahren. Schließlich wollte man sich nicht vorwerfen lassen, selber gegen die Grundsätze zu verstoßen, mit denen man den Kampf gegen den aus der Französischen Revolution hervorgegangenen „Usurpator“ Napoleon Bonaparte sowie die Neuordnung Europas auf dem Wiener Kongress moralisch-ethisch gerechtfertigt hatte. Kein Mann stand für diese Ideologie wie der österreichische Staatskanzler Klemens von Metternich. Und so war er es denn auch, der sich gegen ein Übergehen Ferdinands in der Thronfolge aussprach. Zudem versprach die Thronbesteigung eines schwachen Kaisers dessen erstem Minister einen Machtgewinn. Dieses galt umso mehr, als Franz seinen Sohn dazu anhielt, nichts zu verändern und Metternich zu vertrauen.

1835 war es so weit. Ferdinands Vater starb. Entsprechend dem Testament wurde eine Geheime Staatskonferenz mit der Führung der Staatsgeschäfte beauftragt. Ihr gehörten je zwei Vertreter des regierenden Hauses und des Kabinetts an. Den Vorsitz übernahm Ferdinands Onkel väterlicherseits Erzherzog Ludwig. Weitere Mitglieder waren der desgnierte Thronfolger, Ferdinands nächstjüngerer Bruder Erzherzog Franz Karl, sowie Metternich und der für die Innenpolitik zuständige Staatsminister Franz Anton Graf von Kolowrat-Liebsteinsky. Sie bestimmten in der Ära Ferdinands die Politik und die Geschicke des Kaisertums. „Wir haben jetzt eine absolute Monarchie ohne Monarchen. Das Prinzip der Legitimität hätte nicht furchtbarer angegriffen werden können als durch diese törichte Anwendung und konsequente Aufrechterhaltung desselben“, kommentierte der zeitgenössische österreichische Staatsmann Karl Friedrich von Kübeck mit Wortwitz die Lage.

Die von Frankreich ausgehende 1848er Revolution erreichte auch Österreich. Auch zu dieser Zeit liegen uns Anekdoten bezüglich Ferdinand vor. Im Angesicht der Revolutionäre soll er Metternich gefragt haben: „Was mach’n denn all die viel’n Leut‘ da? Die san so laut!“ Jener habe geantwortet: „Die machen eine Revolution, Majestät.“ Ferdinand darauf konsterniert: „Ja, dürfen’s denn des?“ Unabhängig davon, ob sie das durften oder nicht, waren sie derart mächtig, dass Metternich als Hauptverantwortlicher für die dem napoleonischen Zeitalter folgende Restauration und Reaktion nicht mehr zu halten war. Er demissionierte im März 1848 und floh nach London. 

Trotz Metternichs Rücktritt und Ferdinands angeblichen, Konzessionsbereitschaft signalisierenden Worten: „Sagt dem Volk, dass ich allem zustimme“, sah sich die kaiserliche Familie schließlich gezwungen, ebenfalls die Flucht anzutreten. Im Mai floh sie nach Innsbruck. Ferdinand wurde das Ausweichen nach Tirol als Spazierfahrt schmackhaft gemacht. Nach einer kurzzeitigen Rückkehr nach Wien floh die Familie im Okto­ber erneut, diesmal ins mährische Olmütz. 

Dort endete Ferdinands Regierungszeit im Dezember. Unter dem Einfluss der Familie stimmte er einem Regierungsverzicht zu und verzichtete Erzherzog Franz Karl als nächster in der Thronfolge zugunsten von dessen ältestem Sohn, Erzherzog Franz Joseph, auf eine Regierungsübernahme. So wurde Österreichs sicherlich berühmtester Kaiser 1848 im Alter von gerade einmal 18 Jahren der direkte Nachfolger seines Onkel. Dass Franz Karl zugunsten Franz Josephs verzichtete, lag nicht zuletzt am Zureden der Erzherzogin Sophie, der Ehefrau Franz Karls und Mutter Franz Josephs, Freunden der „Sissi“-Trilogie bekannt als strenge, um nicht zu sagen: böse Schwiegermutter der Titelfigur. „Gott segne Dich, sei nur brav, Gott wird dich schützen, es ist gern geschehen!“, soll Ferdinand seinem Neffen und Nachfolger bei der Regierungsübergabe in Olmütz gesagt haben.

Seine ihm nun noch verbleibenden drei Lebensjahrzehnte verbrachte Ferdinand in Mähren und auf dem Hradschin in Prag. Wenn er auch die Regierung an Franz Joseph übergeben hatte, so behielt er doch seinen Kaisertitel und auch sein Vermögen. Dafür, dass Ferdinand zwar geistig eingeschränkt, aber kein Trottel war, sprechen auch die geschickte Verwaltung der geerbten böhmischen Güter und sein Kommentar zur Niederlage seines Neffen und Nachfolgers in der Schlacht von Königgrätz: „Na, des hätt’ i a noch z’sammbracht!“