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13.04.18 / Wie Deutsche sich vom Krieg wieder erholten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 15-18 vom 13. April 2018

Wie Deutsche sich vom Krieg wieder erholten
Dagmar Jestrzemski

Mehr als 500 Menschen meldeten sich beim „Spiegel Online“-Ressort „einestages“, nachdem der „Spiegel“-Redakteur Uwe Klußmann um Zeitzeugenberichte aus der Nachkriegszeit für eine einschlägige Publikation gebeten hatte. Auszüge dieser Erinnerungen bilden den Rahmen und Hintergrund des neuen „Spiegel“-Magazins Geschichte „Die Nachkriegszeit 1945–1949. Als Deutschland sich neu erfand“. Das mit vielen Fotos und Abbildungen ausgestattete Heft umfasst Aufsätze und Interviews zu jener kurzen, dramatisch aufgeladenen Epoche, in der das zerstörte Land vor einem Neuanfang stand und die Teilung Deutschlands festgeschrieben wurde. Anfangs war es aber weder ersichtlich noch von irgendeiner Seite erwünscht, dass in wenigen Jahren zwei deutsche Staaten entstehen würden. 

In den drei Kapitelblöcken „In Trümmern“, „Unter Besatzung“ und „Vom Neuanfang“ werfen die drei Redakteure Uwe Klußmann, Eva-Maria Schnurr und Katja Iken Schlaglichter auf die prägnanten Ereignisse jener Jahre wie Kriegsgefangenschaft, Flüchtlingsströme und Flüchtlingselend, Frauen als Opfer sexualisierter Gewalt, Entnazifizierung sowie politische Neuorientierung in dem durch die Zonengrenze geteilten Land, das infolge des Krieges seine Ostgebiete verloren hatte. Von dem Heimweh der Millionen Flüchtlinge und Neuankömmlinge ist hier gar nicht und von ihrer Heimat, den verlorenen Territorien östlich der Oder-Neiße-Linie, kaum die Rede. In einem Interview erklärt der Historiker und Autor Andreas Kossert („Kalte Heimat“), die Politik habe mit ihren „irrealen Forderungen“ nach einer Revision der Ostgrenze die Traumatisierung der Flüchtlinge abfedern wollen. Tatsächlich aber war im Westen Deutschlands das Streben nach Wiedervereinigung mit Mitteldeutschland und den Ostgebieten vor und auch nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland aus Sicht der Politiker fast aller Couleur eine historisch verpflichtende Aufgabe gemäß der Präambel des Grundgesetzes. Selbst die SED vertrat bis 1947 diese Position. Bis in die 1960er Jahre war dieses Bestreben fest in den Schulbüchern der Bundesrepublik verankert. Alles nur ein Täuschungsmanöver? Oder verstellt uns die spätere Entwicklung die Sicht auf die Mentalität unserer Väter und Großväter?

„Leere Konservendosen aus dem Müll der US-Army brachte ich zum Ausspülen nach Hause, um etwas Geschmack in unser karges Essen zu bringen“, schreibt ein damals in Berlin lebender Zeitzeuge des Jahrgangs 1936 und berührt damit die miserable Ernährungslage als einen andauernd wichtigen Punkt. Dazu eine Frau, seinerzeit ebenfalls in Berlin: „Tauschhandel war verboten, erfolgte aber auf offener Straße entlang einem Bretterzaun, an dem unzählige Zettel hafteten mit Angeboten und Nachfragen.“ 

Mit den Ernährungssorgen der Menschen ging die hier eindrück-lich ins Bild gesetzte große Wohnungsnot einher. Etwa 400000 Besatzungskinder wurden nach dem Krieg geboren. Davon handelt der Kastentext „Das Geheimnis der Mutter“ mit einem Beitrag von Ilona Laudien, die 1946 in Naumburg geboren wurde. Sie gründete 2011 die Selbsthilfegruppe „Amerikanische Besatzungskinder“. Dass die Besatzungskinder erst spät den Mut zur Aufarbeitung von Stigmatisierung und Verheimlichung aufbrachten, wenn überhaupt, spricht für sich. 

Bei der sogenannten Erlebnisgeneration hinterließen die Nachkriegsjahre Erinnerungen und Stimmungen, die seither alle Generationen mit geprägt haben. Die Psychotherapeutin Christa Müller erläutert in einem Interview, warum diese Erfahrungen bis heute nachhallen. Es habe viel damit zu tun, dass weder in den Familien noch in der Gesellschaft eine ausreichende Würdigung der Nachkriegsgeneration stattfand. Politische Einflussnahme auf beiden Seiten der deutsch-deutschen Grenze, die Ablenkung durch Kino und kulturelle Angebote sind weitere Stichworte und Themen in diesem übersichtlich und höchst anschaulich gestalteten Heft.

Uwe Klußmann: „Die Nachkriegszeit 1945–1949. Als Deutschland sich neu erfand“, Spiegel Geschichte 1/2018, Spiegel Verlag, Hamburg 2018, broschiert, 140 Seiten, 7,90 Euro