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20.04.18 / Konservativ, christlich, halbkonspirativ / Was »Christen in der AfD« bewegt und was Nicolaus Fest dazu sagt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 16-18 vom 20. April 2018

Konservativ, christlich, halbkonspirativ
Was »Christen in der AfD« bewegt und was Nicolaus Fest dazu sagt
Erik Lommatzsch

Die Einladung ist mündlich ergangen. Sie war verbunden mit der Bitte, sie weiterzugeben, zugleich aber darauf zu achten, dass Zeit und Ort nicht allseits bekannt würden. Einlass bekommt, wer läutet und sagt, dass er „zur Veranstaltung“ möchte. Dafür gibt es trotz des eigentlich öffentlichen Charakters des Ganzen gewichtige Gründe. 

Die halbkonspirative Umrahmung betrifft eine Leipziger Veranstaltung der „Christen in der AfD“. Nahezu grotesk haben sich die Zeiten gewandelt. Noch vor wenigen Jahren hätte eine Zusammenkunft einer innerparteilichen, christlichen Gruppierung heftig gegen das Etikett „bieder“ ankämpfen müssen. Trotz breiter Werbung wäre wohl kaum nennenswert Publikum zu erwarten gewesen. Jeden zusätzlichen Gast hätte man dankbar begrüßt. 

Einige Zuhörer mehr wären dem Veranstalter, dem Stadtrat Jörg Kühne, auch sehr willkommen gewesen. Als Vortragender und zur Diskussion geladen ist der Publizist und AfD-Politiker Nicolaus Fest. Mit Blick auf den zwar gut gefüllten, aber bei weitem nicht ausgelasteten Saal betont Kühne, auch argumentativer Gegenwind des anderen politischen Lagers wäre ihm nicht unrecht gewesen. Aus Erfahrung weiß er jedoch, dass die „Antifa“ wenig für sachlich-inhaltliche Auseinandersetzungen übrig hat. Zum Schutz der Beteiligten und der Räumlichkeiten nimmt er lieber in Kauf, dass der eine oder andere wirklich Interessierte den Weg nicht findet. Unrecht hat Kühne mit seinen Befürchtungen nicht. Mitgeteilt wird ihm, dass die örtliche „Antifa“ die Veranstaltung trotz der zurückhaltenden Informationslage sehr wohl in ihrem Kalender vermerkt hat. Letztlich bleiben die „Aktivisten“ heute jedoch zu Hause. 

Wer sind die „Christen in der AfD“? Ist eine solche Gruppierung überhaupt nötig? Ein weiteres Mal wird hier der Wandel sichtbar. Konservativer Ehebegriff, Familie, Stellungnahme gegen Abtreibung und Sterbehilfe (bei gleichzeitiger Unterstützung für Menschen in entsprechenden Problemlagen), konfessioneller Religionsunterricht, Mahnung zu kritischer Auseinandersetzung mit dem Islam, Forderung nach Schutz für verfolgte Christen außerhalb Europas – all das hätte man unlängst noch ganz selbstverständlich bei den beiden großen „C-Parteien“ verortet. Dort haben sich die Schwerpunkte allerdings etwas verschoben. Auch das ist ein Zeichen eines Zeitalters, in dem die obersten deutschen Bischöfe beim Besuch des Jerusalemer Tempelberges ihre Amtskreuze ablegen wie lästigen Modeschmuck. Die so entstandene Lücke wird gefüllt – unter anderem von den „Christen in der AfD“, die sich für die genannten Anliegen stark machen.

Leitend für deren Engagement ist die bekannte Feststellung des Staatsrechtlers Ernst-Wolfgang Böckenförde, wonach der „freiheitliche, säkularisierte Staat“ von Voraussetzungen lebe, „die er selbst nicht garantieren kann“. Getragen wird dieser Staat von dem, was wahlweise als Gesinnung, Wertefundament, Sittlichkeitsvorstellungen oder Ähnliches bezeichnet werden kann. Es gilt für jeden Einzelnen und ist dadurch verbindend. Diesen Aspekt verliert die Politik der sogenannten etablierten Parteien – nicht nur nach Ansicht der „Christen in der AfD“ – immer mehr aus den Augen.

In diese Zusammenhänge reihen sich die Leipziger Ausführungen von Nicolaus Fest. Für ihn ist das Christentum unabdingbare Grundlage des Konservatismus, dieser sei damit jedoch nicht zugleich der „politische Arm“ des Christentums. Berührungspunkte erkennt Fest vor allem in vier Aspekten: Zunächst in der subjektiven Freiheit sowie der Menschenwürde, beides auch zentrale Prinzipien der Aufklärung. Zum dritten in dem etwas in Vergessenheit geratenen Begriff der Demut, also dem Bewusstsein der eigenen Fehlbarkeit und Unvollkommenheit wie auch der Tatsache, dass die Möglichkeit der menschlichen Erkenntnis begrenzt ist. Davon ausgehend, viertens, besteht eine Gemeinsamkeit in der Akzeptanz der Existenz unumstößlicher Wahrheiten. Es ist eben nicht alles dekonstruierbar, auflösbar oder beliebig umgruppierbar. Den Begriff „Wahrheit“ sieht Fest auch lieber an der Stelle des relativierbaren „Wertes“. Edmund Burke, maßgeblicher Theoretiker des Konservatismus, formulierte einmal, der Mensch sei ein „religiöses Tier“. Ob das mit Blick gerade auf das ehemalige DDR-Gebiet so aufrecht erhalten werden kann, bezweifelt Fest, schlägt die Verbindung zu seiner Argumentation aber dadurch, dass er den Menschen ein „Wahrheitstier“ nennt, der die Lüge nicht dauerhaft ertragen kann. Passend zum Ort seiner Ausführungen, der Stadt Leipzig, weist er darauf hin, dass das SED-Regime eben nicht aufgrund sozialer Spannungen, die Karl Marx für geschichtstreibend hielt, untergegangen ist, sondern an der völligen Entkopplung der realen Wahrnehmung des Einzelnen und dem durch Medien und Staatsapparat vorgespiegelten Bild eines freien, prosperierenden und „fortschrittlichen“ Landes. Und die Wahrheiten, ohne die ein freies demokratisches Gemeinwesen mittelfristig eben nicht existieren kann, wurzeln für Fest zwingend im Fixpunkt des Glaubens.

Zustimmung zu Fests Ausführungen gibt es reichlich. Ebenso reichlich ist die Kritik an der derzeitigen Amtskirche. Seelsorge wünsche man sich, keine politischen Pastoren. Augenzwinkernd, aber bestimmt nicht unzutreffend, bemerkt Klaus Grabenhorst von der Leipziger AfD mit Blick auf seine Partei: „Der Merkelismus hat uns erschaffen.“ Trauriges Stichwort ist das allerdings auch für die Atmosphäre in einem Land, in dem Veranstaltungen, die absehbar nicht einer bestimmten Meinungslinie folgen werden, von vornherein Gefahr laufen, attackiert zu werden. Die halbkonspirativen Begleitumstände der Leipziger Veranstaltung der „Christen in der AfD“ sind hierfür nur ein Symptom.