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27.04.18 / Marx-Opa auf allen vieren / Ein großväterliches Schreckgespenst geht um – Mario Adorf schlüpft für einen TV-Film in die Haut von Karl Marx

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 17-18 vom 27. April 2018

Marx-Opa auf allen vieren
Ein großväterliches Schreckgespenst geht um – Mario Adorf schlüpft für einen TV-Film in die Haut von Karl Marx
Harald Tews

Das ZDF verkauft es als einen Coup: Mario Adorf spielt Karl Marx. Tatsächlich dürfte diese Besetzung für zusätzliche Einschaltquoten sorgen, wenn am 2. Mai um 20.15 Uhr (auf Arte schon am 28. April um 20.15 Uhr) zum 200. Geburtstag des Kapitalismuskritikers das Dokudrama „Karl Marx – der deutsche Prophet“ gesendet wird. Mit dem „Coup“ besteht aber auch die Gefahr einer ideologisch korrekten Heiligsprechung.

Eines ist klar: An Marx kommt auch das deutsche Fernsehen nicht vorbei. Den 200. Geburtstag am 5. Mai kann man nicht stillschweigend umgehen. Aber wie nähert man sich angemessen einer historischen Figur, deren Lehren vom Sozialismus und dem Paradies auf Erden zu millionenfachem Massenmord geführt ha­ben? Marx selbst kann man nicht dafür verantwortlich machen, was seine Adepten später angerichtet haben, aber ganz freisprechen kann man ihn für seine Heilslehren auch nicht.

Eine heikle Geschichte also, und den Verantwortlichen vom ZDF war es bewusst, in welches Minenfeld sie damit treten würden. In der Frage, wie man Marx am besten historisch gerecht wird, entschied man sich für ei­nen Mix aus Fiktion und Dokumentation. Dieses Format bietet den Vorteil, Marx als schauspielerische Figur wiederauferstehen zu lassen, während als Korrektiv dazu mit Dokumentationsmaterial lehrmeisterhaft eingeschritten wird. Statt Marx pur jetzt also Marx mit Kommentaranhang für den Zuschauer, den das öffentlich-rechtliche Fernsehen ohnehin meist nicht zu einem eigenständigen Urteil für fähig hält. In 90 Minuten soll so der ganze Marx, der Privatmann, seine revolutionären Ideen und seine Wirkungsgeschichte, verarbeitet werden. Ein ehrgeiziges Unterfangen, das dazu noch mit einer Schauspielikone gekrönt wird.

In dem Dokudrama spielt Mario Adorf den Karl Marx. Die Rolle mit einem für Fieslinge spezialisierten Schauspieler zu besetzen, hielt man beim ZDF wohl zu Recht für unangebracht. Aber mit einem uneingeschränkt beliebten Star, wie es Adorf nun einmal ist, schlägt man sich dann doch wohl allzu eindeutig auf die Seite von Marx. Jedenfalls auf den Marx in seiner letzten Lebensphase, als er im Vergleich zu Adorf noch relativ jung war. Marx war 64 Jahre alt, als er starb. Adorf hat inzwischen das 88. Lebensjahr erreicht. Gut, dass der für Marx typische Vollbart einiges zu kaschieren hilft. Rund zweieinhalb Stunden verbrachte Adorf täglich in der Maske, um sich zwar in Marx, aber nicht in einen Marxisten zu verwandeln.

Als Brecht-Schüler, erklärte Adorf bei der Präsentation des Films in Hamburg, habe er als Schauspieler nie die Identifikation mit der Rolle gesucht: „Ich habe in allen Rollen und be­sonders in den historischen Figuren versucht, sie dem Publikum glaubhaft darzustellen, aber habe mich nie mit ihnen identifiziert.“ Obwohl Adorf durch die Maske dem Bild von Marx immer ähnlicher wurde, sei er selbst nie Marx geworden.

Im Film mimt Adorf auch weniger den Revoluzzer als den liebevollen Opa, der mit dem Enkel auf dem Rücken auf allen Vieren in der guten Stube herumkriecht. Den Part des jüngeren Marx, der mit Friedrich Engels am „Kommunistischen Manifest“ feilt, auf der Flucht vor der preußischen Obrigkeit im Londoner Elendsviertel Soho dahinvegetiert und sich in Paris mit den Sozialdemokraten überwirft, übernimmt in Rückblenden Oliver Posener.

Marx ist auf diese Weise praktisch aufgeteilt in „böser Junge“/ „guter Junge“. Man habe die Widersprüchlichkeiten in seinem Leben darstellen wollen, so die TV-Macher. Da sei zum einen der Sozialist, der sich in Burschenschaften herumtrieb. Zum anderen der wortreiche Ökonom, der aber nicht mit Geld umgehen konnte. Dann ist da der Kapitalismuskritiker, der andererseits mit Aktien spekulierte und in Monte Carlo am Roulettetisch mit dem Geld um sich warf, das ihm sein Gönner Engels überwies. Und da ist der sanftmütige „Mohr“, wie er im Familienkreis genannt wurde, der auch ein Despot sein konnte, dem sich alle zu unterwerfen hatten. Als die Lebensgefährtin seines Freundes Engels starb, reagierte er nur mit weiteren Geldforderungen. Irgendwie war er doch ein heimlicher Kapitalist. Dazu passt, was Marx laut Engels von sich behauptet haben soll: „Ich weiß nur dies, dass ich kein ,Marxist‘ bin.“

All das erfährt man im Film durch Kommentare einer Handvoll von Marx-Experten, die auch darauf hinweisen, dass der Dialektiker Marx den Widerspruch zum Prinzip erkoren hat. „An ihm schieden sich die Geister“, schrieb schon kurz nach seinem Tod seine Tochter Eleanor, aus deren Briefen viel zitiert wird.

An dem Dokudrama werden sich wenige Geister scheiden. Es ist solide recherchiert und spannt einen Bogen von einer unbekannten Episode aus Marx’ Leben, einem Kuraufenthalt in Algier im Jahr 1882, bis hin zum Zusam­menbruch der Lehman-Bank im Jahr 2008. Als schlechtes Gewissen des Kapitalismus habe Marx, so die Botschaft, die Folgen der Globalisierung früh prophezeit.

Der französische Marx-Biograf Jacques Attali erklärt im Film, warum: „Marx liefert kein Werkzeug, um ein politisches System zu errichten, da er nicht in den Kategorien eines Landes dachte, er dachte in globalen Maßstäben, und so weit sind wir noch nicht.“

Trotz kurzer Erinnerung an die „Systemerneuerer“ Lenin, Stalin, Mao und Co. erfolgt doch noch die Heiligsprechung des Karl Marx. Dafür sorgt Adorf selbst, der persönlich Sympathien für die Person Marx aufbringt. Schon 2004 wollte er einen Film über die Algier-Episode auf die Beine bringen, die aber daran gescheitert sei, weil alle warnten: „Um Gottes Willen, nicht Marx!“ Wie es sich anfühlte, als „Lohnsklave“ ausgebeutet zu werden, erlebte Adorf in den Zeiten des Wiederaufbaus, als er in der Eifel für sein Philosophiestudium in einem Tagebaubetrieb für Bimsstein malocht hatte. „Da gab es bei mir einen großen Lesehunger, und ich habe Bücher geklaut, auch um Marx zu lesen“, gibt er offen zu.

Politisch habe er sich jedoch auch in jungen Jahren nie betätigt. „Man muss aber zugeben:“, so Adorf, „jeder Schauspieler hatte mal ein linkes Herz.“ Auch er habe früher an das Ende des Kapitalismus geglaubt: „Doch heute glaube ich nicht mehr daran.“ Das „Schreckgespenst des Kommunismus“, das laut „Kommunistischem Manifest“ in Europa umgeht, ist also vertrieben. Das Schreckgespenst Karl Marx wird aber weiterhin in so manchen Köpfen herumspuken. Aber wenn es in der Person von Adorf so friedlich und großväterlich auftritt, wird es wenigstens keinen großen Schaden mehr anrichten können.


Lektüreempfehlung: Von den vielen Buchveröffentlichungen zum Marx-Jahr wagt die Biografie Karl Marx. Politik in eigener Sache (Theiss Verlag, Darmstadt 2018, gebunden, 240 Seiten, 29,95 Euro) des 1935 in Königsberg geborenen Historikers Wolfgang Schieder einen einmaligen kritischen Blick auf die „neue Aktualität von Marx“. Ausstellungstipp: Am 5. Mai beginnt in Marx’ Geburtsstadt Trier die Landesausstellung zu Le­ben. Werk. Zeit. von Karl Marx (siehe auch Seite 21). Internet: www. karl-marx-ausstellung.de.