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04.05.18 / »Ein Verbrechen gegen den Weltfrieden« / Die Bombardierung Syriens und die Rechtslage

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18-18 vom 04. Mai 2018

»Ein Verbrechen gegen den Weltfrieden«
Die Bombardierung Syriens und die Rechtslage
Gerd Seidel

Die Bombardierung des syrischen Territoriums ist ein geradezu schulbuchartiges Beispiel für die Verletzung des Gewaltverbots gemäß Artikel 2 Absatz 4 der UN-Charta in Verbindung mit der Verletzung des Aggressionsverbotes gemäß der Aggressionsdefinition der UN-Generalversammlung vom 14. Dezember 1974. 

Am 14. April 2018 bombardierten die Streitkräfte der USA, Großbritanniens und Frankreichs Chemiewaffeneinrichtungen auf dem Territorium Syriens. Begründet wurde die Aktion damit, dass vorher Giftgas gegen die syrische Zivilbevölkerung eingesetzt worden sei, wofür die syrische Regierung verantwortlich gemacht wurde. Die Bombardierung sei eine Straf­aktion, die zugleich weitere Giftgaseinsätze verhindern beziehungsweise zumindest verringern solle.

Beweise dafür, dass der behauptete Giftgaseinsatz tatsächlich stattgefunden hat, das heißt, die in den Medien gezeigten Fotos echt sind, und dass bejahendenfalls die syrische Regierung und nicht eine Bürgerkriegspartei dafür verantwortlich ist, wurden nicht vorgelegt. Es wurde auch nicht das Ergebnis der Inspektionsgruppe der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) abgewartet, die ab dem 15. April das Vorliegen einer Verletzung der Konvention über das Verbot chemischer Waffen (CWK) vom 3. September 1992 untersuchen sollte. Es ging also den USA und ihren Verbündeten nicht darum, vor dem Einsatz militärischer Gewalt Gewissheit über den wahren Sachstand zu erlangen, sondern nur darum, verlorenen Einfluss im Nahen Osten wieder zu gewinnen und den russischen zurückzudrängen. Überdies hatten alle drei Regierungen wohl auch Gründe, von erheblichen inneren Problemen abzulenken.

Es fällt auf, dass die drei Regierungen die Militäraktion vom 14. April hauptsächlich mit politischen, weniger mit rechtlichen Argumenten zu rechtfertigen versuchen.

Außenminister Heiko Maas lobte die Militäraktion vom 14. April überschwänglich als „angemessenes und erforderliches Signal“ und wertete sie damit als völkerrechtskonform. Nachdem er, obwohl Volljurist, bereits als Justizminister seinen defizitären juristischen Kenntnisstand unter Beweis gestellt hat, offenbart er nun auch als Außenminister gravierende Wissenslücken im Völkerrecht.

Die tatsächliche Rechtslage nach dem Völkerrecht ist nämlich eine andere: Die Bombardierung des syrischen Territoriums ist ein geradezu schulbuchartiges Beispiel für die Verletzung des Gewaltverbots gemäß Artikel 2 Absatz 4 der UN-Charta in Verbindung mit der Verletzung des Aggressionsverbotes gemäß der Aggressionsdefinition der UN-Generalversammlung vom 14. Dezember 1974. Nach der UN-Charta ist die militärische Gewaltanwendung nur unter zwei Bedingungen rechtmäßig. Erstens darf ein Staat von seinem Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung nach Artikel 51 UN-Charta Gebrauch machen, wenn er vorher von einem anderen Staat militärisch angegriffen worden ist. Die USA, Großbritannien und Frankreich können sich hierauf nicht berufen, weil sie von Syrien vorher nicht militärisch angegriffen worden sind.

Der zweite Fall der rechtmäßigen Anwendung bewaffneter Gewalt liegt vor, wenn der UN-Sicherheitsrat die Bedrohung oder den Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung feststellt und darauf fußend militärische Maßnahmen zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit beschließt (Artikel 39 UN-Charta). Ein solcher Beschluss erfordert in dem mit 15 Staaten besetzten Sicherheitsrat eine Mehrheit von neun Stimmen, unter denen in jedem Falle die Stimmen der fünf ständigen Mitglieder des Rates (Russland, China, USA, Großbritannien und Frankreich) sein müssen. Macht nur eine der fünf Mächte von ihrem Vetorecht Gebrauch, dann kommt kein Beschluss dieser Art zustande. Im Falle Syriens wurden vor dem 14. April 2018 im UN-Sicherheitsrat sowohl von US-amerikanischer als auch von russischer Seite Resolutionsentwürfe eingebracht, die aber jeweils am Veto der anderen Seite scheiterten. Auf diese Weise hat der für solche Fälle einzig zuständige UN-Sicherheitsrat vor dem 14. April keine Ermächtigung zur militärischen Gewaltanwendung erteilt. Somit war die einseitige militärische Gewaltanwendung durch die drei Staaten gegen Syrien völkerrechtswidrig, denn sie hatten nicht das dafür notwendige Mandat des UN-Sicherheitsrates. Sie können für das Fehlen des Mandats nicht einfach Russland verantwortlich machen, denn in vielen anderen Fällen haben die USA und ihre Verbündeten ihrerseits durch ihr Veto das Zustandekommen von Entscheidungen des Rates verhindert, die von der anderen Seite für wichtig gehalten wurden.

Die Aggressionsdefinition von 1974 ist eine allgemein anerkannte Konkretisierung der UN-Charta. Nach deren Artikel 3b ist „die Bombardierung des Territoriums eines anderen Staates oder der Einsatz jeglicher Waffen durch einen Staat gegen das Territorium eines anderen Staates“ ein Akt der Aggression.

Daraus ergibt sich der eindeutige Befund: Die USA, Großbritannien und Frankreich haben mit der Bombardierung Syriens eine Aggression begangen. 

Artikel 5 der Aggressionsdefinition bestimmt, dass keinerlei Erwägungen als Rechtfertigung für eine Aggression dienen dürfen. Damit laufen die von den Aggressorstaaten vorgetragenen Rechtfertigungsversuche ins Leere.

Schließlich zeigt Artikel 5 der Aggressionsdefinition auch die Konsequenzen auf, indem er in Absatz 2 festlegt: „Ein Aggressionskrieg ist ein Verbrechen gegen den Weltfrieden. Die Aggression hat die völkerrechtliche Verantwortlichkeit zur Folge.“

Das Völkerrecht enthält zwar ein umfangreiches Reglement für die Verantwortlichkeit sowohl der Staaten als auch ihrer politischen Entscheidungsträger für Verbrechen, aber dessen Anwendung ist in der vorliegenden Konstellation derzeit wohl nicht zu erwarten.

Wie geht es nun weiter? Die Truppen des Assad-Regimes erobern gegenwärtig die letzten von den Aufständischen besetzten Gebiete. Bei den zu erwartenden Verhandlungen über die Befriedung des Landes wird kein Weg daran vorbeiführen, neben den Hauptakteuren auch das Assad-Regime mit einzubeziehen. Ungeachtet großer Worte des deutschen Außenministers wird Deutschland dabei kaum eine Rolle spielen. Dennoch: Statt weiterhin – nunmehr auch auf dem Luftweg – syrische Bürger nach Deutschland zu holen, sollte die Bundesregierung rechtzeitig die Rückführung von Syrern vorbereiten, die hier Schutz gefunden haben. Asyl ist ein zeitlich begrenztes Recht. Diese Menschen werden sehr bald schon dringend für den Wiederaufbau ihrer Heimat benötigt. Dazu ist es erforderlich, schon jetzt Kontakt zu den syrischen Behörden aufzunehmen, um einen geordneten Rücktransport zu sichern. Solche Kontakte sind auch deshalb wichtig, weil die syrische Seite Hinweise zur Identifizierung von Personen geben kann und schließlich Garantien für eine Nichtverfolgung von zurückgeführten Syrern geben muss. Für die Herstellung einer derartigen Zusammenarbeit mit syrischen Behörden wären gute Beziehungen zu Russland als dem Verbündeten Syriens gewiss vorteilhaft.