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04.05.18 / Erdogans Überraschungscoup / Warum der türkische Präsident sich für vorgezogene Parlaments- und Präsidentschaftswahlen entschied

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18-18 vom 04. Mai 2018

Erdogans Überraschungscoup
Warum der türkische Präsident sich für vorgezogene Parlaments- und Präsidentschaftswahlen entschied
Bodo Bost

Am 24. Juni und damit schon anderthalb Jahre vor Ablauf der Legislaturperiode lässt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan vorgezogene Neuwahlen zum Parlament und für das Präsidentenamt abhalten. Was sind seine Motive?

Einen Tag nach dem vernichtenden EU-Bericht zum rechtsstaatlichen Zustand und dem Stand den EU-Beitrittsverhandlungen der Türkei hat dessen Präsident Recep Tayyip Erdogan vorgezogene Neuwahlen zum Parlament und für das Präsidentenamt für Parlament und Präsidentschaft bekanntgegeben. Am 24. Juni und damit anderthalb Jahre vor Ablauf der Legislaturperiode sollen die Wähler ihr Votum abgeben. Es werden die ersten Parlaments- und Präsidentschaftswahlen seit der Verfassungsreform sein, die zukünftigen Präsidenten erweiterte Befugnisse verleiht. 

Im April 2017 hatte ein Verfassungsreferendum, das vom Regierungslager knapp gewonnen wurde, das parlamentarische in ein Präsidialsystem verwandelt. Die im Referendum beschlossenen Verfassungsänderungen geben dem nächsten Präsidenten neue Befugnisse, wie die Ernennung von Vizepräsidenten, Ministern, hochrangigen Beamten und Richtern. Sie erlauben dem Präsidenten auch, das Parlament aufzulösen, Exekutivdekrete zu erlassen und den Ausnahmezustand zu verhängen. Das Amt des Premierministers wird abgeschafft. Alle Macht wird dann in den Händen des Präsidenten liegen.

Erdogan, der außer Staats- auch Parteichef der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) ist, betonte in seiner Ankündigung die Notwendigkeit, zu einem für die Türkei entscheidenden Zeitpunkt einen Exekutivpräsidenten zu haben. „Die Entwick-lungen in Syrien und anderswo haben es entscheidend gemacht, auf das neue Exekutivsystem umzusteigen, damit wir die Zukunft unseres Landes stärker vorantreiben können“, fügte er nach seinem Treffen mit seinem Verbündeten Devlet Bahçeli hinzu, der die Nationalistische Bewegung (MHP) leitet. Ende Januar begannen türkische Streitkräfte und islamische Kämpfer eine Militäroperation auf die nordsyrische Stadt Afrin, um die von den USA unterstützten kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) zu vertreiben. Diese Miliz hatte zuvor den USA geholfen, ar-Raqqa, das Hauptquartier des Islamischen Staates (IS) zu erobern und dessen Kämpfer in die Wüste zu treiben. Erdogan hatte dabei nur zugesehen, benutzte allerdings die Terrorismuskeule um alle seine innen- und außenpolitischen Gegner zu brandmarken und ins Gefängnis zu schicken.

Nach der Bekanntgabe des vorgezogenen Wahltermins erholten sich sowohl die türkische Lira, die sich zuletzt in einem rasanten Abwärtstrend befand, als auch die türkischen Aktienmärkte. Erdogan, der seit über eineinhalb Jahrzehnten als Premierminister oder Präsident an der Macht ist, hat den wirtschaftlichen Übergang der Türkei zu einer aufstrebenden Industrienation in die Wege geleitet und damit für eine gewisse Stabilität gesorgt, die für die Wirtschaft entscheidend ist. Allerdings hatte er auch für eine politische Einmischung in die Währungspolitik gesorgt, was zwar das Wirtschaftswachstum angekurbelt, aber auch die Lira weiter in den Sinkflug getrieben hat. Im Jahr 2001, ein Jahr bevor er Ministerpräsident wurde, lag die Inflationsrate der Türkei bei 70 Prozent. Letztes Jahr lag sie bei zwölf Prozent.

Mehrere Analysten beschrieben die Entscheidung von Erdogan und Bahceli, die Wahlen vorzuziehen, als einen Schritt, die Gunst der Stunde auszunutzen. Wirtschaftliche Sorgen und der Krieg in Syrien könnten die Volksmeinung schnell wieder kippen lassen. Kein anderer Politiker kann Erdogan so gefährlich werden wie sein ehemaliger Mitstreiter Abdullah Gül. Dieser ehemals engste Weggefährte und ehemalige Staatspräsident wurde vor einigen Jahren von Erdogan ausrangiert und könnte sich nun rächen. Meral Aksener, die Chefin der neuen nationalkonservativ bis nationalistisch, laizistisch-kemalistisch ausgerichteten IIyi Parti (Gute Partei), wird von den Kurden abgelehnt, könnte aber in der konservativen Stammwählerschaft der AKP wildern. Der charismatische Chef der kurdenfreundlichen HDP (Demokratische Partei der Völker), Selahattin Demirtas, sitzt im Gefängnis. Kemal Kilicdaroglu, der Chef der sozialdemokratischen und kemalistischen Partei CHP (Republikanische Volkspartei), nominell der Oppositionsführer, ist farblos. Weder Aksener noch Kilicdaroglu könnten alle Erdogan-kritischen Wähler hinter sich vereinen, das könnte nur Gül. Zum jetzigen Zeitpunkt sind die potenziellen ernsthaften Rivalen im Nachteil, weil ihnen in zwei Monaten nicht genug Zeit bleiben wird, um sich gegen Erdogan zu positionieren. 

Etwas Positives hat der kurzfristige Wahltermin für den gesellschaftlichen Frieden in der Bundesrepublik. Er verhindert nämlich, dass Erdogan im Wahlkampf wieder nach Deutschland kommt, denn die Anmeldepflicht für Wahlkampfauftritte beträgt hierzulande derzeit drei Monate.