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04.05.18 / Phantasien mit makabrer Note

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 18-18 vom 04. Mai 2018

Phantasien mit makabrer Note
D. Jestrzemski

Es ist schon eine ungewöhnliche literarische Reminiszenz an Prag und Böhmen, die Rhea Krcmárová mit ihrem Erzählband „Böhmen ist der Ozean“ geschaffen hat. Einen Zusammenhang zwischen Böhmen und dem Meer herzustellen, überfordert erst einmal das Vorstellungsvermögen. Krcmárová hat jedoch konsequent ihr Konzept durchgezogen, in neun Erzählungen und Textkollagen, die zwischen Phantasie und Erinnerungen, Gegenwart und Vergangenheit changieren, dem Wasser eine zentrale Bedeutung zuzuweisen. Dazu braucht es viele Kunstgriffe und Brücken im übertragenen Sinne des Wortes, was aber der einfallsreichen Autorin, die sich als „Nixenkind“ geriert, offenbar aber keine Mühe gemacht hat. 

1981 emigrierte die in Prag geborene Autorin als Kind mit ihrer Familie nach Österreich. Als Schriftstellerin experimentiert sie unter anderem mit transmedialen Kunstprojekten wie Videopoesie, Literaturperformance und Buchkunst. Sie erhielt zahlreiche Preise und Auszeichnungen.

Seit jeher habe sie ein ausgeprägtes geografisches Interesse für Bäche, Flüsse und Meere gehegt, verrät Krcmárová und macht als Ich-Erzählerin mit Bekenntnissen wie diesen ihre eigene Erzählperspektive kenntlich. Daneben nimmt sie wechselnde Identitäten an. Ihre Geschichten – Geschichten im weitesten Sinne des Wortes – sind überwiegend in Prag und Südböhmen angesiedelt. Häufig wird auf Geschehnisse in der Tschechoslowakei bis zur Samtrevolution angespielt. In der Erzählung „Übergänge“ bilden die schauderhaften Ereignisse während der Fackelbewegung um Jan Palach den Hintergrund. Mit diesen Erzählungen und anderen, in denen Selbsterfahrenes anklingt, kann sie aufgrund ihrer sprachlichen Raffinesse überzeugen, auch wenn sich inhaltlich manches erst nach zweimaligem Lesen erschließt. 

Einen zwiespältigen bis befremdlichen Eindruck hinterlassen dagegen die Texte, in denen sich überwiegend oder ausschließlich die Vodniks und Rusalkas tummeln, oder wie die Wassergeister sonst noch heißen. „Ich bin elf oder zwölf, als ich an die Moldau zurückgespült werde, besuchsweise. Nichts hat sich verändert, an jeder Ecke Golems und Geister, überall glaube ich den Vodnik zu sehen. Du erkennst den Wassermann, Kind, sagen meine Märchenbücher, an seinen nassen Rock-schößen.“ 

Allem Anschein nach misst die Autorin diesen mystischen Gestalten und Fabelwesen nach wie vor ernsthafte Bedeutung zu. Nach altböhmischer Überlieferung helfen oder schaden sie mit ihren Irrlichtern von Fall zu Fall den Menschen, das ist ihre Bestimmung. 

Derartige, weidlich ausgeschmückte Phantastereien haben teils eine makabre Note, strahlen gar eisige Kälte aus. Über Geschmack lässt sich bekanntlich nicht streiten, deswegen sei an dieser Stelle immerhin eine Warnung ausgesprochen.

Rhea Krcmárová: „Böhmen ist der Ozean. Erzählungen“, Kremayr und Scheriau Verlag, Wien 2018, gebunden, 208 Seiten, 19,90 Euro