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11.05.18 / Koalitionskrise im Musterländle / Noch hält der Mangel an einer Alternative Grün und Schwarz in Baden-Württemberg zusammen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-18 vom 11. Mai 2018

Koalitionskrise im Musterländle
Noch hält der Mangel an einer Alternative Grün und Schwarz in Baden-Württemberg zusammen
Peter Entinger

Winfried Kretschmann genießt als Ministerpräsident Baden-Württembergs große Zustimmung. Er ist einer der beliebtesten Politiker der Bundesrepublik. Dennoch droht dem einzigen grünen Regierungschef der Machtverlust. Denn die Koalition in Stuttgart ist zerrüttet.

Wegen der Krise der Regierung wurde zuletzt spekuliert, dass das Bündnis bald platzen und eine Koalition aus CDU, SPD und FDP gebildet werden könnte. Noch gibt sich die Landes-SPD so widerspenstig wie die Bundes-SPD nach der letzten Bundestagswahl. So widersprach die SPD-Landesvorsitzende Leni Breymaier am letzten Aprilsonnabend beim SPD-Landesparteitag in Bruchsal entsprechenden Spekulationen und Gedankenspielen mit einem Verweis auf die Beschlusslage von 2016, gemäß der die SPD in dieser Legislaturperiode nicht mit der CDU koalieren werde. SPD-Fraktionschef Andreas Stoch erklärte im Südwestrundfunk (SWR), Neuwahlen seien die wahrscheinlichste und die beste Option. Stoch sagte weiter, hinter der grün-schwarzen Fassade gebe es keinen Inhalt. Die Koalition solle möglichst schnell die Bühne freimachen.

Bereits im Januar hatte die CDU-Landtagsfraktion gegen eine Reform des Landtagswahlrechts votiert, die den Frauenanteil an den Abgeordneten erhöhen sollte, und damit eine Koalitionskrise ausgelöst. In den monatelangen Gesprächen bewegte sich aber nichts – ein gemeinsamer Kompromiss fand sich nicht. In der vergangenen Woche begrub der Koalitionsausschuss das Thema endgültig. Die gescheiterte Einführung eines neuen Wahlrechts war jedoch ein grünes Herzensanliegen gewesen. Kretschmann äußerte sich anschließend ziemlich verärgert in Richtung CDU: „So was kann man sich nur einmal erlauben.“ Die Rache kam am Tag danach. Die CDU-Politikerin Sabine Kurtz schaffte es erst im zweiten Wahlgang ins Amt der Landtagsvizepräsidentin und wohl erst, nachdem Kretschmann seine Mannen noch einmal auf Kurs gebracht hat. 

Derzeit hält sich der Grüne Ober-Realo nur im Amt, weil es schlicht noch keine Alternative gibt. Zwar hat die FDP längst signalisiert, CDU und SPD als Mehrheitsbeschafferin zur Verfügung zu stehen, doch die SPD dringt ebenfalls auf eine Reform des Wahlrechts. Breymaier erklärte kürzlich, dass die SPD eine Wahlrechtsreform zur Bedingung mache für eine Regierungsbeteiligung nach einer Landtagswahl. Beschlusslage sei, dass die SPD zwei Stimmen bei der Landtagswahl wolle. Bislang haben die Bürger eine Stimme – anders als in anderen Bundesländern und auf Bundesebene, wo es eine Erst- und eine Zweitstimme gibt. FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke sagte mit Blick auf eine schwarz-rot-gelbe sogenannte Deutschlandkoalition: „Wenn die SPD die Einführung der Zweitstimme bei der Landtagswahl als Voraussetzung dafür sieht, dass Baden-Württemberg wieder eine stabile Regierung bekommt, dann ist die FDP gerne bereit, diese Forderung zu erfüllen.“

Die Probleme innerhalb der Regierung sind inhaltlicher und personeller Art. Ministerpräsident Kretschmann hat Mühe, die eigene Landtagsfraktion zusammenzuhalten, die mehrheitlich aus Vertretern des linken Parteiflügels besteht. Auch sein Kabinettskollege und Pendant beim Koalitionspartner CDU, der stellvertretende Ministerpräsident und Innenminister Thomas Strobl, liegt ebenfalls mit der eigenen Fraktion über Kreuz. Das sind denkbar schlechte Voraussetzungen für ein stabiles Bündnis. 

„Die grün-schwarze Landesregierung ist massiv beschädigt und verfügt selbst intern nicht mehr über eine handlungsfähige Mehrheit, daran besteht nicht der geringste Zweifel – und dieser Eindruck zieht sich über alle Fraktionen hinweg. Dies zeigte sich deutlich an den hämischen Lachsalven für den grünen Fraktionsvorsitzenden Andreas Schwarz, als er versuchte, das katastrophale 

Wahlergebnis vor den versteinerten Gesichtern seiner eigenen Fraktionskollegen schönzureden“, kommentierte der AfD-Fraktionsvorsitzende Bernd Gögel die Posse um die Wahl der Landtagsvizepräsidentin und glaubt: „Das geht nicht mehr lange gut.“ 

Das Verhältnis von Strobl und dem CDU-Fraktionsvorsitzenden Wolfgang Reinhart jedenfalls ist nach dem Debakel in der letzten Woche vollends zerrüttet. Der Merkel-Vertraute und Schäuble-Schwiegersohn mit bundespolitischen Ambitionen hatte monatelang versucht, die Fraktion zu einem Kurswechsel in Sachen Wahlrechtsreform zu bringen. Am Ende vergeblich. Das nervt selbst die eigenen Parteifreunde.

„Baden-Württemberg braucht eine handlungsfähige Regierung. Hierzu braucht es Verlässlichkeit auf beiden Seiten. Mit Kompromisslosigkeit kommt man in dieser Sache sicher nicht weiter“, betonte Europapolitiker Andreas Schwab, Chef des CDU-Bezirksverbands Südbaden.

Auch innerhalb der Grünen gibt es Spannungen. Intern ringt man seit Monaten um den richtigen Kurs in der Einwanderungspolitik. Die Fraktion besteht auf einem strikten Multi-Kulti-Kurs, Kommunalpolitiker wie Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer laufen dagegen Sturm. Kretschmann stärkte Palmer zuletzt mehrfach öffentlich den Rücken.

Grünen-Landeschef Oliver Hildenbrand sieht die grün-schwarze Koalition schon jetzt in einer Vertrauenskrise. Aber mit gutem Willen aller Beteiligten könne das Vertrauen wieder hergestellt werden. 

Doch der nächste Stolperstein ist bereits im Rollen. In absehbarer Zukunft wird sich die Landesregierung beim Thema Fahrverbote für Diesel positionieren müssen. Die CDU ist strikt dagegen. Kretschmann auch. Seine Fraktion sieht dies anders.