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11.05.18 / Gegenwind / Warum es keine Plebiszite auf Bundesebene gibt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-18 vom 11. Mai 2018

Gegenwind
Warum es keine Plebiszite auf Bundesebene gibt
Florian Stumfall

Die Maxime, dass es auf der Ebene des Bundes keine Volksbegehren oder Abstimmungen gebe, gehört zu den scheinbar unveränderlichen politischen Eckdaten der Bundesrepublik Deutschland. Das Grundgesetz lasse das nicht zu, heißt es, derlei Elemente seien den Ländern und in diesen den Kommunen vorbehalten. Gegen diese Lesart hat sich nie eine Stimme erhoben. 

Ebenso herrschte in der Bonner Republik die felsenfeste Überzeugung, genährt durch immer und unverdrossen wiederholte Beteuerungen in Tausenden von Politikerreden, dass die Bundeswehr nur zur Verteidigung und dies nur auf dem Vertragsgebiet der NATO eingesetzt werden dürfe. Heute stehen deutsche Soldaten in 17 Ländern der Welt, die nicht der NATO angehören. Bezeichnenderweise ließ man vom überlieferten alten Glauben an die militärische Selbstbeschränkung Deutschlands in dem Au­gen­blick ab, als die Bedrohung durch den Kommunismus weggefallen war und sich daher das nordatlantische Bündnis strategisch und politisch überholt hatte. Dabei beruhte die deutsche Zurückhaltung tatsächlich auf Geist und Buchstaben des Grundgesetzes, was bei der Frage nach der direkten Demokratie nicht der Fall ist.

Im Artikel 20, Absatz 2 des Grundgesetzes steht zu lesen: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen … ausgeübt.“ Um es zu widerholen: „in Wahlen und Abstimmungen“. Man sieht also: Es ist nicht wahr, dass das Grundgesetz für den Bund keine Volksabstimmungen vorsehe. Das Gegenteil ist richtig. Die offizielle Darstellung des einschlägigen Sachverhalts widerspricht der Verfassung. Woher aber kommt dann die uralte Legende, im Bund seien keine Plebiszite vorgesehen? Um diese Frage zu beantworten, tut es not, die Konsequenzen auszuleuchten, die eine direkte Demokratie auf die Regierungsarbeit im Bund hätte.

Wahlen entscheiden über Parteien und ihre Programme sowie über die Personen, die sich damit verbinden. Abstimmungen dagegen entscheiden über konkrete politische Vorhaben und Projekte. Da es sich bei Wahlen und Abstimmungen um zwei grundsätzlich verschiedene Ausdrucksweisen des Volkswillens handelt, kann es geschehen, dass der Anhänger einer Partei A einer Planung, die seine Partei betreibt, aus übergeordneten oder aber auch persönlichen Gründen seine Zustimmung verweigert. Man kennt das vielfach aus den Ländern, wo sich beispielsweise eine Personengruppe durch Maßnahmen der Infrastruktur, einen Straßenbau oder ähnliches, behelligt fühlt und daher ein Volksbegehren dagegen anstrengt. Dies geschieht unabhängig von der parteipolitischen Präferenz der beteiligten Bürger.

Für die Partei, die das Projekt betreibt, bedeutet das eine Minderung der eigenen Machtbasis. Des Weiteren bedeutet es die Einschränkung ihrer Machtausübung in einer konkreten Sachfrage. So entsteht durch Abstimmungen eine gegenüber den Wahlen konkurrierende Form der Willensbildung. Das haben die Autoren der Länderverfassungen wohl erkannt und daher durchgehend Steuer- und Haushaltsfragen der Überprüfung durch eine Volksabstimmung entzogen. Das hat den ganz einfachen, praktischen Grund, dass anderenfalls das gesamte Regierungssystem kollabieren könnte.

Doch zurück zum Grundgesetzartikel 20. Es ist unbestreitbar, dass er Plebiszite auf Bundesebene vorsieht. Warum aber finden diese nicht statt? Nun – eben wegen der Einschränkung der Machtbasis der Parteien und damit der Politiker. Der Zug geht ja ohnehin in die andere Richtung, nach noch mehr Kontrolle und Zentralisierung. 

In der deutschen Gegenwart bieten sich zwei große Themenfelder an, um auf ihnen die Wirkweise eines Plebiszits auf Bundesebene zu exemplifizieren. Das eine ist der Komplex um EU und Euro. Andere EU-Staaten haben, so wie Irland, den Brüsseler Gewaltigen schon manche Angstschauer über den Rücken gejagt, wenn wieder einmal ein Regelwerk der weiteren „Vertiefung“, das heißt: Zentralisierung, der EU von den nationalen Autoritäten gutgeheißen werden musste, und dort eben auch durch Volksabstimmungen.

Tatsächlich sind Europas Politiker und vor allem auch die deutschen, nie autorisiert worden – weder durch Wahl noch durch Abstimmung –, ihre Länder Stück für Stück aufzulösen. Verfassungen verstehen sich als sakrosankt, die dürfen nicht außer Kraft gesetzt werden. Das Grundgesetz sieht als einzigen Weg für seine Auflösung vor, dass es seine Gültigkeit an dem Tage verliert, „an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volk in freier Entscheidung beschlossen worden ist“. Die Forderung, im Rahmen der Politik der EU-Vertiefung müsse eine Volksabstimmung über Sein und Nicht-Sein Deutschlands entscheiden, wurde oft erhoben, jedoch nie mit dem Hinweis auf den Gundgesetzartikel 20 eingeklagt.

Und hier ist wieder die direkte Demokratie im Grundgesetz. Das deutsche Volk hat über die Verfassung und ihre Gel­tungsdauer zu befinden, nicht der Bundestag oder ein höchstes Gericht oder eine andere Instanz. Tatsächlich aber entscheiden in der Praxis darüber Kanzlerin Angela Merkel und ihre jeweilige Regierung, welche die Souveränität des Landes mehr und mehr preisgeben. 

Man sieht: Wo Abstimmungen stattfinden, wird die Macht der Politiker kontrolliert, wo sie unterbunden werden, obwohl verfassungsmäßig vorgesehen, entzieht sich die Macht der Politiker immer mehr der Kontrolle. Dass Machenschaften wie die Abenteuer der Politik der Euro-Rettungen, die allein über die Europäische Zentralbank bisher über eine Billion Euro verheizt haben, vor einer Volksabstimmung nicht standhielten, dürfte jedem klar sein, vor allem denen, die dafür Verantwortung tragen. 

Der zweite Bereich, bei dem ein bundesweites Plebiszit die derzeitige Politik von Grund auf umstürzen würde, sind die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Auch hier sollte das Grundgesetz maßgeblich für alle Entscheidungen sein, und auch hier wird es systematisch missachtet. Der Grundgesetzartikel 26 hält fest: „Handlungen, die geeignet sind … die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, sind verfassungswidrig. Sie sind unter Strafe zu stellen.“ Also schon die Vorbereitung eines Angriffskrieges ist verboten, um wie viel mehr dann seine Durchführung!

Allerdings – gilt hier, zwar nicht rechtlich, aber in der politischen Praxis, das Wort eines früheren SPD-Verteidigungsministers, dass Deutschlands Freiheit am Hindukusch verteidigt würde. Ein makabres Bonmot, bestenfalls, denn es stellt sich doch die Frage: Wann je haben die Taliban Deutschland angegriffen? Oder die Tuareg in Mali? Oder die geschundenen Völker Somalias? Oder die im Jemen? Islamische Anschläge in Deutschland dürften eher die Antwort auf deutsche Kriegsführung im Ausland sein, und wäre es nur die Hilfe, welche die USA über die Basis Ramstein für ihre Drohnenkriege empfangen.

Zurück zum Plebiszit: Selbstverständlich weiß Merkel und weiß ihre Ministerin Ursula von der Leyen, dass sie vom deutschen Volk niemals die Zustimmung für ihre Kriegseinsätze in der halben Welt bekommen würden. Grund genug, um an der alten Regel festzuhalten: Dem Volk wird ein grundgesetzlich verbrieftes Recht vorenthalten, nämlich seinen Willen nicht nur durch Wahlen, sondern auch durch Abstimmungen auszudrücken. Das ist ein täglicher Bruch der Verfassung, der seit Jahrzehnten anhält.