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11.05.18 / Schwimmer gegen den Strom / Wie es die DDR mit Bundesbürgern und Westberlinern hielt, die an einer ständigen Einreise interessiert waren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-18 vom 11. Mai 2018

Schwimmer gegen den Strom
Wie es die DDR mit Bundesbürgern und Westberlinern hielt, die an einer ständigen Einreise interessiert waren
Heidrun Budde

Viele DDR-Bewohner wollten in den Westen rübermachen. Es gab aber auch ein paar Bundesbürger und Westberliner, die aus den unterschiedlichsten Gründen einen ständigen Wohnsitz in der DDR beantragten. Wie reagierte die DDR auf dieses Begehr?

Die immerhin bis zum 9. April 1968 geltende erste DDR-Verfassung vom 7. Oktober 1949 stellte gleich im ersten Artikel klar, dass „Deutschland eine unteilbare demokratische Republik“ sei und dass es „nur eine deutsche Staatsangehörigkeit“ gebe. Gemäß Artikel 8 der Verfassung wurden die „persönliche Freiheit“ und das „Recht, sich an einem beliebigen Ort niederzulassen“, gewährleistet. Alle Bürger waren vor dem Gesetz gleichberechtigt. 

Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit sind allerdings zweierlei Schuh und klafften in der DDR weit auseinander. Grundsätzlich misstrauten die SED-Funktionäre jedem Antragsteller. Bereits seit 1955 wurden im Zuständigkeitsbereich des Innenministers umfangreiche „Vertrauliche Verschlusssachen“ erarbeitet, die das Eindringen von „kriminellen und asozialen Elementen“ sowie von Personen, bei denen Zweifel bestanden, dass sie „sich in das gesellschaftliche Leben der DDR einordnen würden“, unterbinden sollten. Innenminister Karl Maron regelte am 22. Oktober 1960: „Die Aufnahme und gesellschaftliche Eingliederung von … Zuziehenden aus den Westzonen und Westberlin muss der politischen Situation in Deutschland und der Festigung der DDR, insbesondere der Stärkung der inneren und äußeren Sicherheit entsprechen … Die Aufnahme in der DDR kann gewährt werden … Zuziehenden, die sich nachweislich der Militärpflicht in der Bundeswehr entziehen wollen; die wegen ihrer antifaschistischen und antimilitaristischen Tätigkeit verfolgt werden; die sich in ehrlicher Arbeit eine gesicherte Existenz schaffen wollen und von denen zu erwarten ist, dass sie die Normen des gesellschaftlichen Zusammenlebens und die Gesetze der DDR achten sowie aktiv am sozialistischen Aufbau teilnehmen werden.“

Bei den Aufnahmeentscheidungen stand die Frage im Mittelpunkt, welchen Nutzen der SED-Staat hätte, wenn den Antragstellern ein Bleiberecht eingeräumt würde. Personen, deren „Verhalten in den Westzonen und nach dem Grenzübertritt erkennen ließen, dass sie gegen die DDR und den sozialistischen Aufbau eingestellt“ waren, oder „offensichtlich asoziale Elemente (Landstreicher, Bettler, Prostituierte und Ähnliches)“ sowie „Geistesgestörte und unheilbar Kranke“ waren abzuweisen. Eine bevorzugte Behandlung bekamen hingegen Personen, „an denen ein besonderes staatliches Interesse“ bestand wie „zum Beispiel hochqualifizierte Fachkader, Spezialisten, Wissenschaftler“. Maron regelte 1960 wörtlich: „An Angehörige der Intelligenz und andere Personen, an denen ein staatliches Interesse besteht, kann der Personalausweis der DDR … früher ausgegeben werden.“

Marons Nachfolger ab 1963, Friedrich  Dickel, setzte diese Politik der selektiven Aufnahme von Bundesbürgern und Westberlinern je nach „staatlichem Nutzen“ fort. Gemäß seiner Dienstvorschrift IX/12 vom 30. Dezember 1965 waren neben „unheilbar Kranken“ und „asozialen Elementen“ nun auch alte oder pflegebedürftige Deutsche abzuweisen, die keine nahen Angehörigen in der DDR hatten. Wollte sich ein Antragsteller seiner Unterhaltspflicht entziehen, so war auch er nicht aufzunehmen, allerdings mit dieser ausdrücklichen Einschränkung: „… soweit nicht im staatlichen oder gesellschaftlichen Interesse eine Aufnahme geboten erscheint.“ 

Die Aufnahmeentscheidungen waren willkürlich, und einen Klageweg gab es nicht. Jede Entscheidung musste mit der Staatssicherheit abgestimmt werden, aber die Hauptarbeit leisteten Mitarbeiter des Innenministeriums.

Weigerte sich ein Antragsteller, die DDR wieder zu verlassen, so erwartete ihn eine „Rückschleusung“, später „Rückweisung“ genannt. Die abgewiesenen Deutschen wurden mit Polizeibegleitung an die Grenze gebracht und abgeschoben. Damit diese Verfahrensweise nicht so auffiel, verfügte Dickel 1965: „Rückweisungen sind aus Sicherheitsgründen einzeln (außer Familien) über verschiedene Grenzübergangsstellen, nur bei vorliegender Notwendigkeit in kleineren Gruppen bis zu drei Personen, durchzuführen. Sie sind bis zu den Grenzübergangsstellen durch Volkspolizei-Angehörige zu begleiten.“

Am 20. Februar 1967 wurde per Gesetz die DDR-Staatsbürgerschaft verkündet. Bundesbürger und Westberliner wurden nun gezwungen, die DDR-Staatsbürgerschaft anzunehmen, wenn sie in den bevorzugten Personenkreis kamen, dem eine Aufnahme gestattet wurde. Im Aufnahmeheim wurden ihnen der Ausweis und der Pass abgenommen. Bis zur Aushändigung der Urkunde über die Verleihung der DDR-Staatsbürgerschaft war die Wahl des Wohnsitzes eingeschränkt. Und die Antragsteller durften nicht in andere Staaten und nach West-Berlin ausreisen. Lehnte der Antragsteller die DDR-Staatsbürger­schaft ab, so war die „unverzügliche Rückweisung in die Bundesrepublik“ zu veranlassen. 

Doch auch nach der Verleihung der DDR-Staatsbürgerschaft war das Misstrauen den Antragstellern gegenüber noch lange nicht beendet. Jeder bekam eine „Personenkontrollakte“, die von den Abteilungen Pass- und Meldewesen der Polizei geführt wurde. Bis zu fünf Jahre lang wurden die heimlichen Überwachungsmaßnahmen durchgeführt. Innenminister Dickel befahl dazu am 10. Mai 1977: „Zur Durchführung der Kontrolle sind insbesondere folgende Kotrollmaßnahmen anzuwenden: Eigene Feststellungen durch Ermittlungen und Beobachtungen, Sammlung von Informationen und Auswertungen bereits vorhandener Unterlagen, Aufträge an Angehörige der Deutschen Volkspolizei, Mithilfe freiwilliger Helfer der Deutschen Volkspolizei und Einbeziehung anderer Personen, insbesondere die Gewinnung von Auskunftspersonen … Diese Maßnahmen sind legendiert (geheim(dienstlich)) durchzuführen … Die operative Kontrolle ist unter strenger Wahrung der Geheimhaltung durchzuführen.“ 

Wurde durch heimliche Bespitzelungen festgestellt, dass die zu überwachenden Bürger einen „undurchsichtigen Lebenswandel“ führten oder zur „Asozialität“ neigten, so war ein Widerruf der Verleihung der DDR-Staatsbürgerschaft innerhalb der ersten fünf Jahre möglich. Die Erklärung des Widerrufs erfolgte mündlich mit dieser Ansage: „Gegen die Entscheidung des Ministerrates der Deutschen Demokratischen Republik über den Widerruf der Verleihung der Staatsbürgerschaft der Deutschen Demokratischen Republik gibt es kein Rechtsmittel der Beschwerde.“ 

Eine gerichtliche Nachprüfung der Willkür gab es nicht. Der DDR-Bürger auf Zeit bekam seinen Ausweis, mit dem er eingereist war, zurück und wurde per Rück­weisung in die Bundesrepublik oder nach West-Berlin abgeschoben. So einfach war das. 

Es bleibt die Frage, ob es sich hier um Einzelfälle handelte, wie viele Zuzugsanträge es überhaupt gegeben hat. Zahlenmaterial konnte für das Jahr 1982 aufgefunden werden. Es wurden insgesamt 449 Anträge gestellt, davon 56 aus West-Berlin. Die höchste Zahl der Anträge mit 98 kam aus dem bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen. Am zweitmeisten kamen mit 61 aus Niedersachsen. Insgesamt 272 Anträgen, davon 43 aus West-Berlin, wurde entsprochen. Für 272 Kandidaten musste die Polizei Personenkontrollakten anlegen, die heute allerdings nicht mehr archiviert sind. Wie viele neue DDR-Bürger nach dem Widerruf der Staatsbürgerschaft zurückgeschickt wurden, ist unbekannt. 

1967 sagte Walter Ulbricht auf dem VII. Parteitag der SED, zeitgleich zur Einführung der DDR-Staatsbürgerschaft: „Die Deutsche Demokratische Republik ist der sozialistische deutsche Rechtsstaat. Er verwirklicht Gerechtigkeit und Menschlichkeit für alle Bürger.“ Die einstmals geheim gehaltenen Akten zeigen heute auf, wie dreist damals gelogen wurde.