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11.05.18 / Die Ex-IM sind unter uns / Die Stasi hatte nicht nur die DDR-Gesellschaft mit Spitzeln durchsetzt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-18 vom 11. Mai 2018

Die Ex-IM sind unter uns
Die Stasi hatte nicht nur die DDR-Gesellschaft mit Spitzeln durchsetzt
Wolfgang Kaufmann

Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) hatte nicht nur die DDR-Gesellschaft mit Spitzeln durchsetzt, sondern seine Spione auch überall im Westen platziert. Dabei bediente es sich in der Regel freiwilliger Helfershelfer. Manche von diesen blieben bis heute unenttarnt.

Die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des MfS verfügte Ende der 1980er Jahre über 1500 bis 2000 Inoffizielle Mitarbeiter (IM) in der Bundesrepublik Deutschland. Dazu kamen noch einmal so viele Westdeutsche, die für andere Abteilungen der Stasi sowie auch den „Bereich Aufklärung“ der Nationalen Volksarmee der DDR tätig waren. Insgesamt spionierten in den vier Jahrzehnten der deutschen Teilung nach aktuellen Hochrechnungen der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU) mindestens 20000 Bundesbürger für den „ersten Arbeiter- und Bauernstaat auf deutschem Boden“. 

Dafür hatte das MfS das bundesdeutsche „Operationsgebiet“ wie einen Kuchen aufgeteilt. Die HVA-Außenstellen in den DDR-Bezirksstädten „betreuten“ jeweils ein Bundesland oder eine wichtige Institution wie das Auswärtige Amt. Rund ein Viertel aller Agenten agierte dabei in Nordrhein-Westfalen, wo sich die meisten „Feindobjekte“ befanden.

Die Liste der infiltrierten Institutionen war schier endlos: Kanzleramt, Bundespräsidialamt, sämtliche Bundesministerien, Bundesamt für Verfassungsschutz, Bun­des­nachrichtendienst, Bun­des­wehr, Bundeszentrale für politische Bildung, die Zentralen und Stiftungen der großen Parteien und so weiter und so fort. In besonders starkem Maße widmete sich die Arbeit der „Späher“ des MfS und der NVA Unternehmen und Hochschulen. 39 Prozent der Spione sammelten Informationen aus dem Bereich Wissenschaft und Technik, wohingegen nur acht Prozent militärische Einrichtungen und fünf Prozent die gegnerischen Geheimdienste ausforschten. Das führt die Schutzbehauptung von den „Kundschaftern für den Frieden“ ad absurdum. Statt um Friedenssicherung ging es der Stasi vorrangig um das Sammeln von Informationen, die geeignet waren, der maroden DDR-Wirtschaft aufzuhelfen und den technologischen Rückstand gegenüber dem Westen zu verringern. Deshalb standen auch Leute wie der Göttinger Professor für Physikalische Chemie Karl Hauffe oder der Siemens-Maschinenbau-Ingenieur Günter Sänger auf der Gehaltsliste des MfS.

Das schloss indes nicht aus, einige mehr oder weniger hochrangige Quellen in Bundeswehr und NATO zu besitzen, wo sie immensen Schaden anrichteten. Ein typisches Beispiel hierfür ist der HVA-Agent „Topas“ alias Rainer Rupp, welcher der Stasi Dokumente aus dem NATO-Hauptquartier von potenziell kriegsentscheidender Bedeutung mit der höchsten Geheimhaltungsstufe „COSMIC Top Secret“ zuspielte.

Ebenso nahm der DDR-Geheimdienst in vielfältiger Weise Einfluss auf die bundesdeutsche Politik und die Medien im Westen. So bestach die HVA die beiden Bundestagsabgeordneten Julius Steiner (CDU) und Leo Wagner (CSU) 1972 mit jeweils 

50000 D-Mark aus der Stasi-Kasse, damit sie das Misstrauensvotum gegen Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) durch ihre Stimmenthaltung zum Scheitern brachten. Gekaufte und als IM tätige Journalisten wiederum waren unter anderem der Leiter der Politischen Redaktion des Deutschlandfunks, Gerhard Fleischle, der „Spiegel“-Redakteur Dietrich Staritz und der Berliner Studioleiter der Deutschen Welle, Karl-Heinz Maier. Manche der Angeworbenen beteiligten sich dabei auch als Desinformanten – zum Beispiel im Rahmen der Kampagne gegen Bundespräsident Heinrich Lübke, der vermittels vom MfS gefälschter Unterlagen als „KZ-Baumeister entlarvt“ werden sollte. 

Zu den besonders skrupellosen Handlangern der Stasi im Westen gehörten der Busfahrer Aribert Freder und die rund 50 sogenannten „Entführer-IM“. Ersterer beging 1980 den Auftragsmord an dem ausgereisten Dissidenten Bernd Moldenhauer, letztere halfen dem MfS in rund 400 Fällen, geflohene Systemkritiker oder „Verräter“ aller Art in die DDR zu verschleppen, wo dann ebenfalls der Tod oder zumindest lange Haft auf sie warteten. Diese Leute wurden ausschließlich von Geldgier geleitet, wohingegen die sonstigen Spione im Dienste des Mielke-Imperiums oft andere Motive hatten. Einsame Sekretärinnen in Ministerien oder Vorzimmern von Politikern fielen auf „Romeos“ der HVA herein, die ihnen die große Liebe vorgaukelten und sie dann nachrichtendienstlich einspannten. Andere wiederum trieb der Ehrgeiz oder die Sucht nach Anerkennung. Und zwei Drittel waren lupenreine Überzeugungstäter. Sie handelten aus ideologischer Übereinstimmung mit dem Unrechtsregime im Osten. Deshalb brauchte die Stasi im Westen auch fast nie zur Erpressung oder ähnlich rabiaten Rekrutierungsmethoden zu greifen.

Insgesamt gesehen erzielte das MfS in der Bundesrepublik beachtliche Erfolge, obgleich mehr als 100 seiner Agenten noch vor der sogenannten Wende in der DDR und der Öffnung der Stasi-Archive aufflogen. Insbesondere erfuhr die HVA viele wichtige Interna von NATO, Bundeswehr und Geheimdiensten. Manchmal genügte eine einzige Quelle an der richtigen Stelle, um an hochbrisante Informationen heranzukommen, wie beispielsweise Listen der Telefonanschlüsse in der Bundesrepublik, die von den 

US-„Partnern“ abgehört wurden.

Auch heute, fast drei Jahrzehnte nach der Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit, ist das Thema „Die Stasi im Westen“ kein abgeschlossenes Kapitel der Geschichte. Denn aller Wahrscheinlichkeit nach befinden sich immer noch manche ehemalige IM aus den Altbundesländern in Amt und Würden und bestimmen die Geschicke Deutschlands mit. So geben die sogenannten Rosenholz-Dateien, mikroverfilmte personenbezogene Unterlagen der HVA, dringenden Anlass zu der Vermutung, dass neben Steiner und Wagner weitere Bundestagsabgeordnete mit bundesdeutscher Biografie im Dienste der Stasi agierten – möglicherweise auch solche, die derzeit im Berliner Parlament sitzen. Allerdings wird die gründliche Untersuchung derartiger Verstrickungen durch den zunehmend restriktiveren Umgang mit den MfS-Akten behindert. 

Zwar besteht grundsätzlich das Recht auf Einsicht in dieselben, jedoch beklagen Historiker und Journalisten eine offensichtliche Blockade ihrer Tätigkeit durch die Behörde des BStU. Außerdem steht nun bald die Überführung der Unterlagen ins Bundesarchiv an, womit neue Zugangsregularien, sprich Einschränkungen, drohen.