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11.05.18 / Gier frisst Hirn – eine kurzweilige Geschichte der »Spitzeder’schen Privatbank«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 19-18 vom 11. Mai 2018

Gier frisst Hirn – eine kurzweilige Geschichte der »Spitzeder’schen Privatbank«
Erik Lommatzsch

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ein Werk über ein „Schneeballsys-tem“, welches einigen Anlegern satte Gewinne, Tausenden den Verlust ihrer Ersparnisse und die Urheberin hinter Gitter brachte, ausgerechnet im FinanzBuch Verlag erschienen ist. Dieser veröffentlicht schwerpunktmäßig eher Analysen und Ratgeber in Fragen der möglichst ertragreichen, aber eben auch zuverlässigen Geldvermehrung. Der genannte Skandal liegt nahezu 150 Jahre zurück. Handlungsort war vor allem das München in der Zeit um die Reichseinigung.

Alleinige Hauptperson der von Julian Nebel kurzweilig und historisch dargestellten Geschichte ist die 1832 in Berlin geborene Adele Spitzeder. Als Schauspielerin war sie zwar nicht unbedingt erfolglos, Verdienst und Ansprüche vermochte sie allerdings nicht so recht in Einklang zu bringen. 

Schulden und unmittelbarer Geldbedarf, um nicht das Dach über dem Kopf zu verlieren, waren es, welche die Spitzeder dazu trieben, einem Zimmermannspaar von einer Geldanlagemöglichkeit zu erzählen. Zinsen von zehn Prozent gäbe es – monatlich! Unklar bleibt, ob bereits ein langfristiger Plan hinter diesen Äußerungen steckte. Sicher ist hingegen, dass das Paar ihr sein Erspartes übergab und, entgegen ihrem – vorgeblichen – Wunsch nach Diskretion, eifrig von seinem Glück erzählte.

In der Folge entstand die „Spitzeder’sche Privatbank“. Für sagenhafte Zinssätze brachten vor allem „kleine Leute“ ihr Geld. Durch steten Zustrom war es möglich, die Zusagen aus den Neuanlagen zu erfüllen. Investitionen wurden kaum getätigt. Spitzeder, die sich mit Zigarre präsentierte, raue Kommandos gab und eher Frauen zugeneigt war, dürfte in der bayerischen Metropole eine Ausnahmeerscheinung gewesen sein. Die schauspielerische Begabung kam ihr wohl zupass, auch ihre nach außen getragene Frömmigkeit. Anklang fand die soziale Ader. Sie war großzügig, kurz vor dem Ende ihrer Unternehmungen kam es noch zur Errichtung einer „Volksküche“.

Vertrauen ist wichtiges Kapital. Das wusste auch Adele Spitzeder, deren „Bank“ aufgrund von Gerüchten mehrfach gefährdet war. Zumindest für besser Unterrichtete war es nicht allzu schwer, ihr „System“ zu durchschauen. Die Spitz-eder bediente Gläubigeranstürme notfalls vor der Fälligkeit der Wechsel – eine ganze Weile mit dem gewünschten Effekt, dass sich die Lage nicht nur beruhigte, sondern in kurzer Zeit neues Geld zufloss. 

In puncto Öffentlichkeitsarbeit zog sie fast alle denkbaren Register. Zeitungen wurden „unterstützt“ und dankten es ihr publizistisch, es gab sogar Geld für Bänkelsänger, die dem Unternehmen gewogen waren. Polizisten wurden abgeworben und eingestellt. 

Am Ende brach, beschleunigt durch Neider und Konkurrenten, die „Bank“ erwartungsgemäß zusammen. Verschuldet war die Spitz-eder mit zehn Millionen Gulden, in ihrem Besitz befanden sich lediglich zwei Millionen. Mindestens 33000 Gläubiger wurden gezählt, es kam zu Selbstmorden.

Spitzeder bleibt auch am Ende des Buches, welches sie mittels Zitaten aus ihren Memoiren erfreulich oft selbst zu Wort kommen lässt, ein Rätsel. Sie selbst sah sich als Hintergangene. Die Möglichkeit, mit dem bei ihr angehäuften Vermögen zu fliehen, hat sie ausgeschlagen. Man kann ihr Unterfangen mit Fug und Recht als „Betrug“ bezeichnen – der niemals ohne die blinde Gier der Anleger möglich gewesen wäre. Die Spitzeder selbst rief in ihrer „Bank“ einst aus: „Kalbsköpfe, ich sag euch rundheraus, dass ich keine Sicherheit für euer altes Geld gebe!“

Julian Nebel: „Adele Spitzeder. Der größte Bankbetrug aller Zeiten“, FinanzBuch Verlag, München 2018, gebunden, 169 Seiten, 17,99 Euro