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18.05.18 / Der tiefe Fall des Martin Winterkorn / Dem Ex-VW-Vorstandsvorsitzenden droht neben Entschädigungsforderungen auch Freiheitsentzug

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-18 vom 18. Mai 2018

Der tiefe Fall des Martin Winterkorn
Dem Ex-VW-Vorstandsvorsitzenden droht neben Entschädigungsforderungen auch Freiheitsentzug
Peter Entinger

Der frühere VW-Chef Martin Winterkorn war einer der mächtigsten Männer der Bundesrepublik. Damit ist es vorbei. Seine politischen Freunde gehen auf Distanz, sogar der Ruin könnte ihm drohen.

Winterkorn drohen nämlich nicht nur strafrechtliche Konsequenzen, sondern auch der Verlust seines Vermögens. Der VW-Konzern prüfe, ihn für den entstandenen Milliardenschaden des Dieselskandals haftbar zu machen, berichtete die „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ kürzlich. 

Wie das Blatt hinzufügte, habe Winterkorn während seiner Tätigkeit innerhalb des VW-Konzerns mehr als 100 Millionen Euro verdient. Allein seine Pensionsansprüche summieren sich auf knapp 30 Millionen Euro. „Dieses Geld wäre im Extremfall komplett weg“, sagte der Berliner Rechtsprofessor Gregor Bachmann der Zeitung. 

Vorausgegangen waren eine Anklage in den USA sowie ein in den Staaten ausgestellter Haftbefehl gegen den 70-Jährigen. Experten kritisieren seit Längerem, dass die deutschen Behörden die strafrechtliche Aufklärung nur schleppend betreiben würden. Die neue Wendung aus den USA könnte nun auch in Deutschland Staub aufwirbeln und Maßnahmen gegen Winterkorn befeuern. Betrug und Verschwörung lauten die Anklagepunkte in den Staaten. „Die Anklage enthält den Vorwurf, dass Volkswagens Plan zu betrügen bis ganz an die Spitze des Unternehmens reichte“, sagte US-Justizminister Jeff Sessions. Es handle sich um ernste Anschuldigungen, „und wir werden sie mit der ganzen Härte des Gesetzes verfolgen“.

Die niedersächsische Staatsanwaltschaft nahm die Anklage in den USA nach eigener Aussage „interessiert zur Kenntnis“. Zwar ermitteln die Strafverfolger im Stammland von Volkswagen ebenfalls, auch gegen Winterkorn, doch obwohl es immer mehr Belege dafür gibt, dass den ehemaligen Konzernchef frühzeitig Informationen über die Manipulationen erreicht haben müssen, reicht es den Staatsanwälten hierzulande bisher nicht zur Anklage. Das Land ist zweitgrößter Anteilseigner des Konzerns. 

Früher galt Winterkorn als moderner Wirtschaftsführer mit besten Kontakten zur Politik. Doch das ist längst vorbei. Seit drei Jahren gilt er als Schlüsselfigur des Dieselskandals. Zwar dürfte ihm eine direkte Beteiligung am Betrug nur schwer nachzuweisen sein, aber für eine zivilrechtliche Verurteilung könnte schon ausreichen, wenn er seinen Kontrollpflichten nicht nachgekommen wäre. Und dass Winterkorn früher als zugegeben von den Abgasmanipulationen gewusst hatte, gilt mittlerweile als sicher. Das Land unterstützt daher die Prüfung von Schadenersatzansprüchen gegen den ehemaligen Konzernchef. Der VW-Aufsichtsrat habe in diesem Zusammenhang eine Anwaltskanzlei beauftragt, sagte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil. „Das geschieht mit ausdrücklicher Unterstützung der Vertreter Niedersachsens im Aufsichtsrat von VW“, meinte der SPD-Politiker gegenüber dem „Manager-Magazin“.

Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ ließ zwischenzeitlich den Mannheimer Staranwalt Markus Wintterle ein düsteres Szenario über Winterkorns Zukunft entwerfen. Der Jurist berät Vorstände, Geschäftsführer und Angestellte in Führungspositionen regelmäßig zu Haftungsfällen bei Pflichtverletzungen und Gesetzesverstößen. Winterkorn drohe eine harte Strafe und könne Deutschland nicht mehr verlassen. „Man liefert ihn nur deshalb nicht aus, weil im Grundgesetz steht, dass der deutsche Staat seine Bürger zu schützen hat und nicht an andere Staaten ausliefern darf. Würde Winterkorn zum Beispiel die Grenze zu Frankreich überqueren, müsste er damit rechnen, sofort festgenommen zu werden. Und der Haftbefehl in den USA erhöht auch den Druck auf die deutsche Staatsanwaltschaft.“ Wintterles hartes Fazit: „Für einen Menschen wie Winterkorn ist die aktuelle Situation schon der Super-GAU. Er ist wirtschaftlich geächtet, seine Vita verbrannt.“ 

Ein Vorsitzender müsse mittlerweile nicht nur beweisen, dass er sich pflichtgemäß verhalten, sondern auch, dass er nicht schuldhaft etwas unterlassen habe. Der Mannheimer Jurist ist sich sicher, dass Winterkorn auch in Deutschland zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden wird: „Und ich sehe derzeit nicht, dass diese zur Bewährung ausgesetzt werden kann.“ 

Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft sagte der „Frankfurter Allgemeinen“, dass den Verteidigern der Beschuldigten „im Sommer“ Akteneinsicht gewährt werden solle. „Wenn man sich die Ermittlungen, die im Dieselverfahren Vorgänge bei VW aus etwa zwölf Jahren aufklären sollen, als Marathonlauf vorstellt, beginnt damit quasi die Runde im Stadion mit Sicht auf die Ziellinie.“

In Braunschweig zeigte man sich nicht überrascht von der Anklage und dem Haftbefehl gegen Winterkorn. Man habe schon seit längerer Zeit sehr gute Rechtshilfebeziehungen mit den US-amerikanischen Kollegen. „Die Quellen der Erkenntnis sprudeln auf beiden Seiten des Atlantiks und wir tauschen regelmäßig Informationen aus.“ Derzeit wird neben Winterkorn gegen 49 mutmaßlich weitere Beteiligte ermittelt, bei 39 wegen Software-Manipulationen zum Stickstoffdioxid-Ausstoß, bei sechs im Zusammenhang mit falschen Kohlendioxid- und Verbrauchsangaben. In drei Fällen geht es um Marktmanipulation, in einem Fall um einen Mitarbeiter, der zur Datenlöschung aufgerufen habe.

Winterkorn, so heißt es aus Justizkreisen, sei als ehemaliger Vorstandsvorsitzender aber der Hauptverantwortliche. Die Schadenersatzansprüche könnten sich auf bis zu einer Milliarde Euro belaufen.