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18.05.18 / »Das Ding muss weg« / Ulbrichts »Turmrede« führte zur Zerstörung von 60 Gotteshäusern, auch Leipzigs Paulinerkirche

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-18 vom 18. Mai 2018

»Das Ding muss weg«
Ulbrichts »Turmrede« führte zur Zerstörung von 60 Gotteshäusern, auch Leipzigs Paulinerkirche
Klaus J. Groth

Wie durch ein Wunder blieb die mittelalterliche Paulinerkirche beim Bombenangriff auf Leipzig 1943 unversehrt. Das DDR-Regime ließ das ihm verhasste Gotteshaus jedoch am 30. Mai vor 50 Jahren sprengen.

Die Rede, die Walter Ulbricht am 7. Mai 1953 in Stalinstadt, dem heutigen Eisenhüttenstadt, hielt, hörten die Leitungen der Kirchen in der Ostzone mit Entsetzen. Der Staatsratsvorsitzende sagte über den geplanten Wiederaufbau Ost-Berlins und der Bezirksstädte: „Ja, wir werden Türme haben, zum Beispiel einen Turm fürs Rathaus, einen Turm fürs Kulturhaus, andere Türme können wir in der sozialistischen Stadt nicht gebrauchen.“ 

Die sogenannte Turmrede kündigte das Ende jahrhundertealter Gotteshäuser an, die den Krieg überstanden hatten und nur beschädigt worden oder gar intakt geblieben waren. Von 1947 bis 1987 ließ das SED-Komitee etwa 60 sakrale Bauwerke vernichten. Als Ulbricht 1960 seine Vaterstadt besuchte, um die Oper einzuweihen, fiel sein Blick auf die 1240 geweihte Paulinerkirche. Turm und gotische Spitzgiebel ragten neben den Trümmern der Universität empor. „Das Ding muss weg“, ordnete Ulbricht an und fügte hinzu, dass er keine Kirche sehen wolle, wenn er aus der Oper komme. Sein Begleiter, der Sekretär der SED-Bezirksleitung Leipzig, Paul Fröhlich, stimmte seinem Chef eilfertig zu.

Beide mussten den Anblick der Paulinerkirche noch acht Jahre lang ertragen. Die Planung für den Wiederaufbau des Leipziger Zentrums und des Campus am Augustusplatz, nun wie die Universität nach Karl Marx benannt, zogen sich hin. Architektenbüros reichten fünf Entwürfe ein. Bei einem blieb die Paulinerkirche erhalten. Wie zu erwarten, entschied sich das Politbüro Anfang Mai 1968 für ihre Sprengung. 

Leipzig sollte eine sozialistische Vorzeigestadt werden. Euphorisch berichtete Paul Fröhlich in der SED-Zentrale von dem Berliner Beschluss. „Genossen, das Politbüro hat die Vorlagen der Bezirksleitung über den Aufbau des Zentrums der Stadt Leipzig bestätigt. Das bedeutet aber, dass die gesamte Altbausubstanz, also auch die Kirche, aus raum- und städtebaulichen Erwägungen keinen Platz mehr haben wird … Nun, die Stadtverordneten werden morgen beschließen, dann wird das durchgeführt. So etwas ist einmalig, Genossen, städtebaulich, architektonisch, künstlerisch.“

Am 23. Mai 1968 stimmte die Leipziger Stadtverordnetenversammlung dem Bebauungsplan samt Kirchensprengung zu. Über die Rede des damaligen Oberbürgermeisters Walter Kresse schrieb die „Leipziger Volkszeitung“ am Tag darauf: „Er entwirft ein imponierendes Bild der Entwicklung unserer Stadt in den nächsten Jahren … In diesem Zusammenhang stellt er fest, dass die Abgeordneten in ihrer Entscheidung darüber absolut souverän sind. Der Redner wendet sich energisch gegen Versuche einzelner Kirchenvertreter, Sachentscheidungen zu politischen Entscheidungen ummünzen zu wollen … Nachdrücklich erklärt der Oberbürgermeister, dass solchen Machenschaften alle Mittel der Gesetzlichkeit entgegengestellt werden.“ 

Gerüchte über die geplante Sprengung machten bereits seit Mitte der 60er Jahre die Runde. Proteste der Kirchengemeinden blieben ohne Erfolg. Echte Diskussionen in der Bevölkerung wurden unterdrückt. Die Mehrheit der Leipziger empörte das Schicksal ihrer Kirche, in der Johann Sebastian Bach musiziert und Martin Luther gepredigt hatte. Die Paulinerkirche, auch St. Pauli genannt, gehörte bis zur Reformation zum Konvent der Dominikaner. 1545 ging sie im Zuge der Säkularisierung in den Besitz der Universität über. Offenen Widerstand gegen die Sprengung gab es von Studenten der Theologischen Fakultät. Bei einer Kundgebung wurden die jungen Leute von Polizisten verjagt, einige wurden festgenommen. 

Die Sache musste nun schnell über die Bühne gehen. Es blieben nur zwei Tage, um wertvolles Inventar herauszuschaffen. Dabei kam es zu skandalösen Vorfällen. Bodenplatten über der dreistöckigen Gruft wurden herausgerissen und Gräber geplündert. Die Auswahl der zu rettenden Epitaphien überließ man Handwerkern. Trotz des Chaos konnten noch rund 80 zum Teil mittelalterliche Kunstwerke gerettet werden, darunter der spätgotische Paulineraltar, Grabplatten, Holzfiguren aus dem 14. Jahrhundert und liturgische Gerätschaften.

Es war die zweite Sprengung eines sakralen Bauwerks innerhalb weniger Wochen. Als ob es auch in der Zerstörung von Gotteshäusern einen Jahresplan zu erfüllen galt, wurden die beschädigte Potsdamer Garnisonkirche und ihr intakter Turm ab dem 14. Mai in die Luft gejagt. Die Sprengung der Paulinerkirche erfolgte am 30. Mai um 9.58 Uhr. Als das Dynamit an den historischen Mauern angebracht wurde, läuteten alle Glocken der Stadt. Unter den tausenden Zuschauern waren der Schriftsteller Erich Loest und seine Frau. „Wir standen am Grassi-Museum und sahen, wie der Dachreiter einknickte und die Kirche in einer gewaltigen Staubwolke versank“, erinnerte sich der 2013 verstorbene Autor. „Wir wuss­ten, das war eine Barbarei, und wir wussten, wir können nichts dagegen machen. Das ganze Leben ist weitergegangen ohne einen richtig großen Protest, darunter haben wir Leipziger 20 Jahre lang gelitten, dass wir uns das haben bieten lassen.“ Die Trümmer der Paulinerkirche wurden in der Etzoldschen Sandgrube in Leipzig-Probstheida entsorgt.

International publik wurde die Sprengung beim III. Bachwettbewerb fünf Wochen später. Von einer Automatik betrieben entrollte sich ein großes gelbes Plakat mit den Umrissen der Paulinerkirche in der voll besetzten Leipziger Kongresshalle. Darauf stand: „Wir fordern den Wiederaufbau.“ Einer der Urheber, ein junger Physiker, wurde denunziert und verhaftet. 

Die Gebäude der Karl-Marx-Universität waren bald marode. Die Arbeiten für einen Neubau der Universität Leipzig begannen 2005. Was aus DDR-Zeiten blieb, ist ein denkmalgeschütztes Bronzerelief von Karl Marx. Es steht auf dem neuen Campus. Am 1. Advent vergangenen Jahres weihten die Leipziger das „Paulinum – Aula und Universitätskirche St. Pauli“ ein. Es enthält architektonische Elemente der gotischen Paulinerkirche.