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18.05.18 / Ein Fenstersturz löst ein Massensterben aus / Dem Prager Gewaltakt mit dem Dreißigjährigen Krieg eine der größten Katastrophen der deutschen Geschichte

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-18 vom 18. Mai 2018

Ein Fenstersturz löst ein Massensterben aus
Dem Prager Gewaltakt mit dem Dreißigjährigen Krieg eine der größten Katastrophen der deutschen Geschichte
Wolfgang Kaufmann

Bereits 1419 und 1483 hatten böhmische Rebellen Vertreter des Katholizismus aus dem Fenster des Prager Rathauses geworfen. Im erstgenannten Falle folgten die Hussitenkriege. Ungleich folgenschwerer geriet der Prager Fenstersturz, der sich am 23. Mai zum 400. Mal jährt. Er führte zur Entfesselung des Dreißigjährigen Krieges, der Europa von Grund auf veränderte und einen Tiefpunkt in der deutschen Geschichte darstellt.

Durch die im 16. Jahrhundert in Gang gekommene Reformation hatten sich auch in Böhmen zwei Lager gebildet. Auf der einen Seite standen die protestantischen Böhmischen Brüder, welche die Mehrheit im Lande bildeten, auf der anderen Seite die römisch-katholische Kirche und deren relativ kleine Anhängerschar. 

Diese genoss aber die Unterstützung der Habsburger in Wien, deren Statthalter ab 1526 das Sagen in Böhmen hatten. Hieraus resultierten vielfältige Konflikte – bis es ab 1609 zu einer Verbesserung der Situation kam, weil Kaiser Rudolf II., der auch König von Böhmen war, den protestantischen Ständen im „Majestätsbrief“ Religionsfreiheit zusicherte. 

Allerdings währte die Ruhe nur kurz, denn Rudolf verlor 1611 die böhmische Krone und starb im darauffolgenden Jahr. Anschließend betrieb Rudolfs Bruder Matthias, der 1611 den böhmischen und 1612 den römisch-deutschen Thron bestieg, mit seinem Neffen Ferdinand, der 1617 König von Böhmen wurde, eine rigide Rekatholisierung. Ausdruck derselben war unter anderem die Entlassung von Protestanten aus königlichen Ämtern sowie die Schließung beziehungsweise der Abriss der evangelischen Kirchen in Braunau und Klostergrab.

Das veranlasste den nichtkatholischen Adel Böhmens im März 1618 zu einem Protestschreiben an den Kaiser, in dem zugleich mit der Einberufung einer Ständeversammlung gedroht wurde. Als der Kaiser hierauf barsch antwortete, er werde jeden Organisator einer derartigen Zusammenkunft vor Gericht stellen lassen, eskalierte der Streit. Unter der Führung von Heinrich Matthias von Thurn kamen am 21. Mai 1618 um die 200 böhmische Adlige im Prager Karolinum zusammen und beschlossen dort eine Strafaktion gegen die beiden Statthalter der Habsburger. Jaroslav Borsita Graf von Martinic sowie Wilhelm Slavata von Chlum und Koschumberg hatten sich den besonderen Hass der Böhmischen Brüder zugezogen, weil sie einerseits als die eigentlichen Verfasser des provozierenden kaiserlichen Schreibens galten und anderseits für ihr intolerantes Vorgehen gegen Protestanten berüchtigt waren. Man sagte ihnen beispielsweise nach, sie ließen Menschen mit Hunden in die katholischen Kirchen hetzen, wo die Priester den Bedrängten mit Gewalt Hostien in die Münder stopften.

Also zog zwei Tage später, am 23. Mai 1618, eine wütende Menge auf die Prager Burg hinauf – an deren Spitze Thurn sowie Albrecht Jan Smirický von Smirice, Graf Joachim Andreas von Schlick, Wenzel Wilhelm von Roupov, Graf Wilhelm Kinsky von Wchinitz und Tettau, Leonhard Colonna von Fels sowie Wilhelm Popel von Lobkowitz. Was dann geschah, wird in den verschiedenen zeitgenössischen Quellen unterschiedlich geschildert. Wahrscheinlich liefen die Ereignisse folgendermaßen ab: Nachdem die aufgebrachten Protestanten in den großen Sitzungssaal der böhmischen Hofkanzlei eingedrungen waren, improvisierten sie einen Schauprozess gegen die beiden dort angetroffenen königlichen Statthalter, wobei Thurn den eher besonnen vorgehenden Ankläger spielte, während die anderen Adligen – vermutlich aufgepeitscht durch Roupov – immer drängender forderten: „Wozu die Umstände? Man werfe sie nach altböhmischem guten Brauch zum Fenster hinaus!“

Und genau so passierte es auch: Obwohl die „Verurteilten“ um ihr Leben flehten, wurden sie ohne viel Federlesens aus einem etwa 17 Meter über dem Burggraben liegenden Fenster gestürzt. Dabei müssen sich hässliche Szenen abgespielt haben. Martinic erfuhr nur kaltherzigen Spott, als er im Angesicht des Todes nach einen Beichtvater rief, und Slavata zerschlugen die böhmischen Adligen sämtliche Finger der Hand, mit der er sich in höchster Not am Fenstersims festkrallte. Außerdem warfen die zuletzt offenbar völlig enthemmten Angreifer auch noch den unbeteiligten königlichen Kanzleisekretär Philipp Platter alias Fabricius in die Tiefe.

Wie durch ein Wunder überlebten alle Defenestrierten die Tat. Der protestantischen Legende nach milderte ein Misthaufen ihren Sturz, während die Katholiken auf das Eingreifen der Jungfrau Maria verwiesen. Tatsächlich nahmen aber wohl die dicken Mäntel der Betroffenen viel von der Fallenergie auf. Darüber hinaus war die Wand unter den Fenstern leicht angeschrägt, sodass die Drei eher in die Tiefe rutschten als frei hinabfielen.

Am Tage nach dem Gewaltexzess konstituierten die Verantwortlichen ein 30-köpfiges Direktorium, das unter dem Vorsitz von Roupov stand, und enthoben die bisherigen Regenten ihrer Macht. Außerdem formierten sie eine Armee, deren Kommando Thurn erhielt. Anschließend wurde damit begonnen, die Jesuiten aus Böhmen zu vertreiben und katholisches Eigentum zu beschlagnahmen. Und dann wählten die aufständischen Protestanten am 26. August 1619 schließlich auch noch den überzeugten deutschen Calvinisten Friedrich von der Pfalz zum neuen böhmischen König.

Die Wahl des sogenannten Winterkönigs sollte ihnen Verbündete unter den nichtkatholischen Mächten Europas bescheren. Trotzdem gerieten sie zunehmend in die Isolation. Die Konsequenz hieraus war eine vernichtende Niederlage gegen die Katholische Liga in der Schlacht am Weißen Berg bei Prag am 8. November 1620. Nach diesem Debakel floh Friedrich mit einem Teil des Direktoriums ins Ausland, während die Habsburger andere Führer des Aufstandes dingfest machen konnten. Dem folgte am 21. Juni 1621 deren groß inszenierte öffentliche Hinrichtung auf dem Altstädter Ring in Prag. An diesem Tag starb unter anderem der Rädelsführer des Fenstersturzes Schlick. Die Habsburger hatten die Rebellion niedergeschlagen. 

In der „Verneuerten Landesordnung“ wurde 1627 das Erbrecht der Habsburger auf den böhmischen Thron festgeschrieben. Anschließend zerschnitt der alte und neue böhmische König Ferdinand demonstrativ den „Majestätsbrief“ seines Onkels und Vorvorgängers Rudolfs II. Damit standen die Protestanten in Böhmen nun deutlich schlechter da als vor dem Prager Fenstersturz.

Die Herrschaftsfrage in Böhmen schien damit vorerst zugunsten der Habsburger gelöst. Der durch den Prager Fenstersturz entfesselte Dreißigjährige Krieg war damit allerdings noch lange nicht zu Ende. Er verwüstete das Zentrum Europas und schwächte das Reich. Ausländische Mächte setzten sich in Deutschland fest, und an der Peripherie kam es zu Abspaltungen. Da die Habsburger seit 1438 die römisch-deutschen Könige und Kaiser stellten, bedeutete die Schwächung des Reiches auch ihre Schwächung.