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18.05.18 / Deutsche Technologie für sowjetische Raketen / Die Russen nahmen vom A4-Projekt mit, was die US-Amerikaner ihnen übriggelassen hatten

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-18 vom 18. Mai 2018

Deutsche Technologie für sowjetische Raketen
Die Russen nahmen vom A4-Projekt mit, was die US-Amerikaner ihnen übriggelassen hatten
Albrecht Willebrand/PAZ

Wie der Flugzeug- basierte auch der Raketenbau der Supermächte auf vorher im besiegten und besetzten Deutschland gemachter Kriegsbeute. So waren die V1 und die V2 Vorläufer der Raketen, mit denen die Sowjetunion und die Vereinigten Staaten ihren Wettlauf um die Eroberung des Weltraums austrugen.

Bei der durch die Propaganda als V1 bekannt gewordenen sogenannten Vergeltungswaffe Fieseler Fi 103 handelte es sich um den weltweit ersten militärisch eingesetzten Marschflugkörper. Ende 1942 fand auf dem Luftwaffenerprobungsgelände in Peenemünde der erste Katapultstart der Flugbombe statt. Als der Krieg bereits entschieden war, begann der Einsatz Mitte 1944 mit Angriffen auf London. 

Parallel dazu hatte eine große Mannschaft von Wissenschaftlern und Ingenieuren unter Wernher von Braun in Peenemünde ab 1939 an einer weltweit ersten funktionsfähigen Großrakete mit Flüssigkeitstriebwerken gearbeitet. Ihren Jungfernflug absolvierte die Rakete am 3. Oktober 1942. Die Aggregat 4 (A4) genannte und von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels als V2 bezeichnete Rakete durchstieß am 20. Juni 1944 zum ersten Mal die Grenzen des Weltraums und erreichte eine noch nie vorher erzielte Höhe von 174,6 Kilometern. Damit war die Orbitfähigkeit bewiesen. Dem Militär ging es aber vorrangig um eine zielgenaue Steuerung der A4, an der weiter gearbeitet wurde. 

Raketenforschung und -bau wurden aufgrund der Luftangriffe und der Luftüberlegenheit der Alliierten von dem offenen Gelände in Peenemünde wegverlegt. Das Militär entschied sich für Bergwerkstollen und noch von Häftlingen zu bauende unterirdische Fertigungsstätten im thüringischen Bleicherode. Bis Kriegsende wurden von den Häftlingen des KZ Dora Mittelbau Nordhausen noch unglaubliche 5000 V2 gebaut. Brauns Mannschaft arbeitete weiter an der wissenschaftlichen und technischen Entwick­lung bis zur A9 und A10. Diese Arbeiten konnten bis zum Kriegs­ende nicht abgeschlossen werden, bildeten jedoch einen nicht unwichtigen Teil der Wissenschaftsbeute der Alliierten.

Den größten Nutzen brachte den US-Amerikanern, die 1945 noch vor den Sowjets in Thüringen eintrafen, die Beute von 100 kompletten A4. Auch die Fertigungseinrichtungen und unvollendeten Bauteile wurden umgehend in die USA verschifft. Ähnlich wichtig waren Braun und seine hochqualifizierte Wissenschafts- und Ingenieursmannschaft, die ebenfalls in die USA verschifft wurden. Sie entwickelten die US-Raketentechnik bis zum Trägersystem „Saturn“, das den Flug zum Mond ermöglichte. 

Der erst zwei Monate nach der US Army einrückenden Roten Armee blieben nur einzelne Aggregatteile und von den US-amerikanischen Verbündeten zurückgelassene Mitarbeiter Brauns, von denen einige immerhin noch Skizzenbücher hatten. Diese zweite Garnitur schaffte es mit deutscher Akribie, Zähigkeit, Wissen und Können, die A4 in den noch vorhandenen Zulieferbetrieben für Brennkammern, Triebwerken und Bodenausrüstung unter der Aufsicht von Sergei Koroljow neu zu erschaffen.

Anfang Juli 1945 war der damals erst 38-jährige Ukrainer, der nach dem Zweiten Weltkrieg zum Chefkonstrukteur des zunächst nur militärisch orientierten sowjetischen Raketenprogramms innerhalb des NII (Wissenschaftliches Forschungsinstitut) aufstieg,  aus der UdSSR angereist, um die Deutschen zu kontrollieren. Josef Stalin war der Bau der A4 in der Nachbarschaft der westlichen Alliierten jedoch suspekt, und so ordnete er an, alles in die Sowjetunion zu transportieren. Im Ok­tober 1946 fuhr Koroljow deshalb mit einem eigenen Zug einschließlich Fertigungstechnik, fertiggestellter Raketen, Raketenteilen, Plänen, Konstruktionszeichnungen, Laborbüchern und vor allem der besten deutschen Köpfe des A4-Projekts, derer man habhaft geworden war, mit deren Familien in die UdSSR zurück. 1947 startete die erste der unter Koroljows Aufsicht in Thüringen gefertigten A4 vom Testgelände Kapustin Jar in den Himmel, 1948 die erste R-1, ein in sowjetischen Industrieanlagen produzierter Nachbau der A4. Von der R-1 bis zur „Sojus“ basierte alles auf deutscher Technologie.

Als die Chinesen den Sowjets noch als Brudervolk galten, erhielten erstere von letzteren zwei R-1 und die Techniker dazu, um eigene Entwicklungen beginnen zu können. Das Ergebnis war die Trägerrakete „Langer Marsch“. So basiert auch die chinesische Raketentechnik auf deutscher Technologie. Mit Recht wird folglich die deutsche A4 als Mutter aller (modernen) Raketen bezeichnet.

Das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, in dem Milch und Honig zu fließen schienen, hatte gegenüber dem selbsternannten Paradies und Vaterland der Werktätigen den Vorteil, dass es auf die meisten Deutschen anziehender wirkte. Die US-Amerikaner hatten deshalb ungleich stärker die Möglichkeit, die ins eigene Land verbrachten Deutschen als Mitbürger zu integrieren, die freiwillig langfristig ihr Bestes für das Raketenprogramm ihrer neuen Heimat geben. 

Wegen mangelnder Attraktivität konnte die Sowjetunion hingegen kaum auf eine freiwillige konstruktive Mitarbeit setzen und beschränkte sich deshalb eher darauf, das Wissen ihrer menschlichen Kriegsbeute mehr oder weniger mit Gewalt abzuschöpfen und sie dann nach Hause zu schicken, als sie vertrauensvoll in die eigene Raketenentwicklung zu integrieren. 1951 bis 1957 kehrte das Gros der deutschen Spezialisten aus der Sowjetunion nach Deutschland zurück.