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18.05.18 / Bordkommando: Zahlmeisterassistent / Ihr Chronist Heinz Schön erinnert sich an die »Rettung über See«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-18 vom 18. Mai 2018

Bordkommando: Zahlmeisterassistent
Ihr Chronist Heinz Schön erinnert sich an die »Rettung über See«

Heinz Schön überlebte im Januar 1945 als 18-Jähriger den Untergang der „Wilhelm Gustloff“. Bei der Torpedierung des Schiffes vor der pommerschen Ostseeküste kamen mehr als 9000 Menschen ums Leben. Dieses Ereignis prägte sein Leben. Er galt als einer der besten Kenner der Geschichte des deutschen Ostseeraumes während des Dritten Reiches und der unmittelbaren Nachkriegszeit. Bereits kurz nach dem Krieg begann er, Dokumente, Fotos und Zeitzeugenberichte zu sammeln. Er war Verfasser zahlreicher Bücher über das Schicksal der Gustloff und der „Rettungsaktion Ostsee 1945“ und war Fachberater bei vielen TV-Dokumentationen und Spielfilmen über die Schiffsuntergänge und Rettungsaktionen.

In der letzten Januarwoche 1945 wurde die „Wilhelm Gustloff“ zum Flüchtlingstransporter umgerüstet und trat am Mittag des 30. Januar mit mehr als 10000 Menschen an Bord, darunter etwa 9000 Flüchtlingen, ihre Fahrt mit Ziel Swinemünde an. Noch am selben Abend, um 21.15 Uhr, zerstörten zwölf Seemeilen querab Stolpmünde drei Torpedos des sowjetischen U-Bootes „S 13“ die Schiffswände. Die „Wilhelm Gustloff“ sank innerhalb von 62 Minuten und riss mehr als 9000 Menschen, darunter mehr als 8000 Frauen und Kinder, mit in den Tod. Ich hatte großes Glück. Als einer von 1252 Überlebenden verließ ich am Mittag des 31. Januar im pommerschen Hafen Saßnitz auf Rügen das Torpedoboot „T 36“, das mich aus den eiskalten Fluten der Ostsee gerettet hatte.

Wenige Wochen später stand ich erneut am Eisenbahnkai in Saßnitz, wieder mit einem Marschbefehl der Kriegsmarinedienststelle Hamburg. Dieses Mal ging es als Zahlmeister-Assistent auf das Verwundeten- und Flüchtlingstransportschiff „General San Martin“. Der Dampfer lag auslaufbereit auf Reede. Ein Verkehrsboot brachte mich zum Schiff, dass Verwundete und Flüchtlinge von Gotenhafen nach Saßnitz gebracht hatte. Seit Tagen bemühte sich die Schiffsleitung, die Menschen von Bord zu geben, was sich als sehr schwierig erwies. Erst als drei kleinere Schiffe, die „Wullenweber“, die „Stettin“ und die „Binz“, die Verwundeten und Flüchtlinge übernommen und an Land gebracht hatten, war der Dampfer „General San Martin“ auslaufbereit.

Durch die siebentägige Liegezeit auf der Reede waren die Proviantvorräte verbraucht. Sie wieder aufzufüllen, war eine meiner Aufgaben. Doch alle Bemühungen, in Saßnitz Verpflegung zu beschaffen, blieben erfolglos. Mein Chef, Zahlmeister Wurl, machte deshalb Kapitän Buuck den Vorschlag, auf der Rückreise nach Gotenhafen einen Zwischenstopp in Swinemünde einzulegen, um dort Verpflegung, Öl und Wasser an Bord zu nehmen. Als die „General San Martin“ am frühen Abend des 5. März die Reede von Saßnitz verließ und Richtung Swinemünde dampfte, ahnte ich nicht, bald ein weiteres Mal dem Tod ins Auge sehen zu müssen, der in Gestalt eines britischen Luftangriffs über Swinemünde, den Hafen und die Reede hereinbrechen sollte.

Am 6. März in Swinemünde angekommen, mussten wir wie viele andere Schiffe auch auf Reede ankern und warten. In den folgenden Tagen bemühten wir uns um Öl, Wasser und Verpflegung. Öl und Wasser erhielten wir. Da jedoch alle auf Reede und im Hafen liegenden Schiffe Verpflegung angefordert hatten, wurden wir immer wieder auf den nächsten Tag vertröstet. 

Endlich, am 12. März, sollte es klappen. Ein Verkehrsboot brachte mich und unseren Proviantmeister gegen Mittag in den Swinemünder Hafen. Als wir ausgestiegen waren und am Kai standen, gab es Fliegeralarm. Was danach kam, glich der Hölle. Fast pausenlos fielen Bomben auf die Trecks, die durch die Stadt zogen, auf die abfahrbereiten, mit Flüchtlingen überladenen Güterzüge, auf die Menschenansammlungen auf dem Bahnhof und im Hafen, auf die Hafenanlagen und die Schiffe auf Reede. Der Angriff der alliierten Bomber galt nicht militärischen Zielen, sondern wehrlosen Frauen und Kindern, alten und kranken Menschen. Zahllose verwundete, blutende Menschen, Tote und Trümmer. Ich entging dem Tod nur, weil ich mich in einen nahen Luftschutzbunker hatte retten können.

Am 14. März verließ unser Schiff im Geleit mit den Dampfern „Malgache“ und „Masuren“ die Reede von Swinemünde mit Fahrtziel Gotenhafen. Der Tod war unser ständiger Begleiter. Am 17. März entkamen wir einem Angriff sowjetischer U-Boote. Am 18. März erreichten wir Gotenhafen, nahmen Flüchtlinge und mehr als 3000 Verwundete an Bord und liefen unter russischem Artilleriebeschuss wieder aus. Zielhafen war noch einmal Saßnitz. Danach sollte es wieder zurück gehen.

Da die Häfen von Danzig und Gotenhafen inzwischen unter ständigem Artilleriebeschuss standen und Angriffen aus der Luft ausgesetzt waren, musste die „General San Martin“ wie viele andere Schiffe auch auf der Reede von Hela ankern. Auf der Halbinsel Hela warteten etwa 200000 Flüchtlinge und Verwundete auf ihre Rettung über See. Ihre Anbordnahme wurde tagsüber immer schwieriger und erforderte immer mehr Zeit, weil sie durch ständigen russischen Artilleriebeschuss und Bomber- und Jagdfliegerangriffe behindert wurde. Wir mussten unser Schiff immer wieder auf der Reede verlegen, um zu verhindern, dass sich die russische Artillerie auf uns einschoss oder eine Fliegerbombe uns traf. 

Nachdem wir die ganze Nacht geladen hatten, war am frühen Morgen des 7. April die „General San Martin“ bis auf den letzten Winkel besetzt. An Bord befanden sich 800 liegende und 1300 sitzende Verwundete, zusätzlich rund 1400 Flüchtlinge. Dabei handelte es sich ausschließlich um Mütter mit Kindern und um 200 kinderlose Frauen und Mädchen, die sich zur Verwundetenbetreuung bereiterklärt hatten. Mit Sanitätspersonal, Kriegsmarine- und Zivilbesatzung waren mehr als 4000 Menschen an Bord. Gegen 16.00 Uhr erfolgte nochmals ein Fliegerangriff, der aber keinen großen Schaden anrichtete. Um 19.00 Uhr verließ das Schiff die Reede von Hela. Über Funk war der Schiffsleitung der Zielhafen benannt worden: Kopenhagen. Aufatmen unter den Flüchtlingen und Verwundeten, als er bekanntgegeben wurde.

Am 9. April kam die „General San Martin“ im Hafen von Kopenhagen an. Sie wurde rasch entladen und konnte schon am Abend des 10. April den Heimweg antreten. Zurück auf Hela-Reede kamen erneut Verwundete und Flüchtlinge an Bord. Erst am 15. April konnte das Schiff im Geleit Hela-Reede verlassen, einen Tag vor dem Dampfer „Goya“. Es war der 13. und letzte Flüchtlings- und Verwundetentransport der „General San Martin“, die damit insgesamt 35111 Menschen über die Ostsee gerettet hatte.

Mit Genehmigung des Verlages entnommen dem Buch: „Pommern auf der Flucht. Rettung über die Ostsee aus den Pommernhäfen“, 56 bisher unveröffentlichte Erinnerungen und Texte zu Flucht­orten und Fluchthäfen Pommerns, 444 Seiten, viele bislang unveröffentlichte Abbildungen, Karte Ostsee, Ortsregister, Namensregister, 2. Auflage Juli 2016, Zeitgut Verlag, Berlin, Klappenbroschur, 19,90 Euro